Von der Krise lernen: Mehr Mut zu mehr Europa

P1000791Unabhängig von den Ursachen und konkreten Ausformungen der Krise zeigt sich, dass die Währungs- und Sozialunion und der Euro ohne Wirtschaftsunion nur auf einem Bein stehen und beide daher besonders anfällig sind. Schon zu Zeiten der Gründung der Währungsunion und bei der Einführung des Euro haben Experten und Politiker festgestellt, dass es einer stärkeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit bedarf. Die EU mag vielleicht darauf „vergessen“ haben, die Krise hat uns diese Binsenwahrheit wieder in Erinnerung gerufen. Jetzt gilt es zu handeln und das Versäumte nachzuholen. Dabei kann Österreich durchaus eine Vorreiterrolle spielen, die in unserem Interesse und jenem der EU liegt.
Das Beispiel der Vereinigten Staaten zeigt uns, wie entscheidend die wirtschaftliche Integration für eine gemeinsame Währung ist. Wir müssen daher die wirtschaftliche Integration im Interesse der starken, aber auch der schwachen Staaten vorantreiben. Jedoch, anstatt das zu tun, wird immer nur das gerade Nötigste getan. Statt langfristigen Lösungen gibt es nur mühsam zusammengestückelte kurzfristige, ad-hoc Hilfsmaßnahmen. Wir sollten die Chance nutzen und Europa auf solide wirtschaftliche und finanzielle Beine stellen. Dazu braucht es folgende Schritte:

Eurorettungsschirm und Staateninsolvenz
– Der Rettungsschirm muss so ausreichend dotiert und effizienter gestaltet werden, dass die Akteure auf den Finanzmärkten, die versucht sind, gegen bestimmte Staaten zu spekulieren, keine Chance sehen, dadurch hohe Gewinne einzustreichen.
– Die bisherige Strategie der EU, mittels Haftungen und Garantieerklärungen den Ländern der Euro-Peripherie unter die Arme zu greifen, ist dabei, zu scheitern. Deshalb ist es hoch an der Zeit, Wege aufzuzeigen, wie zahlungsunfähigen Ländern eine Insolvenz ermöglicht werden kann, ohne dass dies zu Panik führt.
– Mögliche Insolvenzverfahren müssen an starke Reformkonditionen gebunden sein. Anstelle von bedingungslosen Schuldenentschuldigungen von privaten Gläubigern kann einem langfristigen Mechanismus zum Beispiel die Umwandlung von bank credit in bonds zugrunde liegen. Diese Bonds könnten dann vom EFSF gekauft werden. Ähnliche Pläne gab es bereits in den 80er Jahren in Lateinamerika (Brady-Plan) und 2001/2002 in Argentinien. Diese Ideen scheiterten allerdings an der mangelnden Koppelung der Staatenentschuldigung an langfristige Strukturreformen. Moral hazard muss auf jeden Fall vermieden werden.

Eurobonds
– Wir brauchen einen leistungsfähigen, entsprechend großen Euro-Kapitalmarkt. Dazu dient auch die Auflage von Eurobonds, die von einem beauftragten Institut aufgelegt werden könnten. Durch die Größe eines solchen Marktes kann auch erwartet werden, dass die Zinsen nicht oder nur geringfügig über den Zinsen der bestbewerteten Länder wie Deutschland etc. liegen. Die dadurch eventuell entstehenden Mehrkosten liegen wahrscheinlich unter den Kosten, die ohne solche gemeinsame Schritte entstehen würden. Die Abdeckung entstandener oder neu entstehender Schulden sollte allerdings nur bis zu einem bestimmten Anteil der Staatsverschuldung (zum Beispiel 60%) möglich sein. Viele Fragen bezüglich einer möglichen Ausgestaltung und Definition sind noch offen. Wie dabei mit der im TEV festgelegten „no Bail-out Klausel“ umgegangen werden soll, bedarf dringend einer Diskussion.
– Mittelfristig sind im Interesse der Beschleunigung eines nachhaltigen Wachstums auch sogenannte Projektbonds aufzulegen, also von Anleihen zur Finanzierung der gemeinsamen europäischen Infrastruktur, vor allem in Energie- und Verkehrswesen sowie im Bereich von Wissenschaft und Forschung. Aber auch eine europaweite oder zumindest die Eurozone umfassende Finanztransaktionssteuer könnte wesentliche Beiträge zum Ausbau der europäischen materiellen und immateriellen Infrastruktur leisten. Dabei müsste sichergestellt werden, dass zumindest die unmittelbaren Nutzen solcher Investitionen nur denen zugute kommen, die sich an der Finanzierung beteiligen.

Wirtschaftsregierung
– Grundsätzlich bedarf es als ersten Schritt einer viel stärkeren wirtschafts- und sozialpolitischen Koordinierung, bei der nicht nur das Budgetdefizit, sondern auch das Leistungsbilanzdefizit betrachtet wird. Wichtig ist also ein Maßhalten sowohl bei der öffentlichen wie auch bei der privaten Verschuldung. In der Tat sind die makroökonomischen Ungleichgewichte viel relevanter als die rein budgetären bzw. führen erst in der Folge zu Budgetdefiziten. So ist sowohl im Falle Griechenlands, aber besonders im Falle Spaniens und Portugals, eine über mehrere Jahre nicht nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu beobachten gewesen – vor allem im Vergleich zu Deutschland, den Niederlanden und Österreich. Blieb in diesen Ländern zum Teil die Lohnentwicklung hinter den Produktivitätssteigerungen zurück, so gab es in den ersteren eine umgekehrte Entwicklung: die Produktivitätsentwicklung blieb hinter der Lohnentwicklung zurück. Das musste zwangsweise einerseits zu einer überhöhten Nachfrage und Importen in diesen Ländern führen und anderseits zu entsprechenden Exportsteigerungen in Deutschland etc. Da ein Ausgleich durch Veränderung des Wechselkurses auf Grund des gemeinsamen Euros nicht mehr möglich war, kam es zu extremen Ungleichgewichten, die dann die Spekulanten auf den Plan gerufen haben. Um eine solche Entwicklung zu verhindern, ist eine starke wirtschaftliche Koordination – inklusive Budget und Steuern – als erster Schritt notwendig. Und das betrifft auch die Lohnentwicklung. Diesbezüglich müssen sich die Tarifpartner, insbesondere die Gewerkschaften, verstärkt absprechen und sich prinzipiell an den Produktivitätssteigerungen orientieren.
– Es muss einen klaren Sanktionsmechanismus geben, wenn bestimmte Staaten sich nicht an die notwendige fiskalische Disziplin halten oder auch die volkswirtschaftlichen Empfehlungen missachten. Abgesehen von der oben genannten Begrenzung würden Staaten, wenn sie eine höhere Verschuldung eingehen oder nicht bereit sind, die volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte zu beseitigen, sogar der Vorteile von Anleihen aus den Eurobonds generell verlustig gehen.
– Eine solche stärkere wirtschaftliche Integration als Vorbereitung für eine europäische Wirtschaftsregierung geht nicht ohne die Mitarbeit und bessere Koordination unter den Mitgliedstaaten. Die EU-Kommission muss die federführend Rolle spielen. Sie muss der Motor dieser Entwicklung sein, wie dies auch dem Geist des Vertrags von Lissabon entspricht. Langfristig sollte der Prozess in einem Konvent zur Vereinheitlichung der Wirtschafts- und Sozialunion münden. Wenn derzeit im Rahmen der deutschen Bundesregierung an einem Vorschlag für einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ gebastelt wird, ist das durchaus zu begrüßen. Völlig abzulehnen ist jedoch der Versuch, die EU-Kommission zur Seite zu schieben und deren Rolle zu schmälern. Von der österreichischen Bundesregierung ist zu fordern, dass sie diesen Versuchen eine Absage erteilt.

Zusammenfassende Erklärung: Othmar Karas / Hannes Swoboda / Ulrike Lunacek; 1. Februar 2011