Wir brauchen einen Marshallplan

Kairo

Kairo

Die Revolten in Nordafrika sind nicht zuletzt von einer neuen Migrationswelle begleitet und Europa weiß nicht, damit umzugehen. Allerdings ist es nicht leicht, eine gemeinsame Antwort zu finden.

Neue Migrationswelle

Die neuerliche Migrationswelle wirft sowohl praktische als auch politische Probleme auf. Einerseits ist die Versorgung der Flüchtlinge in den betroffenen Gebieten ein großes Problem, insbesondere auf Malta, aber auch auf der italienischen Insel Lampedusa. Anderseits wird die Flüchtlingsfrage von der nationalistischen Rechten politisch ausgenützt, so auch in Österreich, das von dieser spezifischen Migration bisher gar nicht betroffen ist. Dennoch ist die Uneinigkeit der EU in dieser Frage beschämend.
Dass sich vor allem Italien über die mangelnde Solidarität beklagt, ist dabei von der Sachlage her verständlich, politisch allerdings grotesk. Denn vom Italien unter Berlusconi hat man bisher wenig an Solidarität vernommen. In all seinen Äußerungen und Interviews kommt Europa kaum vor. Und die Migrationsfrage wollte er allein mit seinem Freund Gaddafi lösen. Erst spät hat sich Berlusconi zur europäischen Solidarität gegen Gaddafi bekannt. Auch die einseitige Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen an die – nicht verfolgten – Flüchtlinge aus Tunesien mit der prinzipiellen Gültigkeit im gesamten Schengenraum ist kein solidarischer Akt.

Gemeinsame und solidarische Flüchtlingspolitik

Unabhängig davon sollte man sich aber innerhalb der EU zu einer gemeinsamen und solidarischen Flüchtlingspolitik bekennen. Diese muss allerdings schon bei der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beginnen. Und sie muss vor allem in der Hilfe zum wirtschaftlichen Aufbau in unseren Nachbarländern bestehen.
Wir müssen den Auswanderungsdruck verringern. Wir müssen parallel dazu wirksame Rücknahmeabkommen schließen und zwar für ganz Europa. Und denjenigen, denen wir aus humanitären Gründen einen vorübergehenden Aufenthalt gewähren oder die ein begründetes Asylansuchen stellen, sollten wir eine praktische Ausbildung ermöglichen. Diese können die Flüchtlinge dann im Rahmen eines legalen Aufenthalts in Europa oder nach einer Rückkehr in ihren Heimatländern entsprechend verwenden.

„Marshallplan“

Es ist jedenfalls absolut unsinnig, Menschen für eine Zeit lang einen Aufenthalt zu gewähren, ohne ihnen irgendeine „Beschäftigung“ zu geben und in diesem Fall sollte dies eine Kurzausbildung sein. Darauf hat mich Christine Vranitzky zu Recht unmittelbar nach den ersten Flüchtlingsströmen aufmerksam gemacht. Das müsste Europa organisieren, auch wenn die Ausbildung primär in den Ländern der Erstaufnahme, also vor allem in Italien, stattfinden sollte. Derartige Ausbildungsmaßnahmen sollten Teil eines umfassenden „Marshallplanes“ sein, den wir jedenfalls für die Region des nördlichen Afrika und auch für den Nahen Osten entwickeln müssen.
Es ist richtig, kurzfristig sind Diktaturen und autoritär regierte Länder in unserer Nachbarschaft für uns billiger. Jedenfalls ist das die indirekte Empfehlung der Rechten, wie der FPÖ. Die will ja weder einen Marshallplan noch eine Hilfe für Flüchtlinge. Den Rechten sind diktatorische Systeme de facto lieber. Aber diese Systeme sind nie von Dauer. Irgendwann brechen sie zusammen. Und dann kosten sie uns kurzfristig etwas durch die Versorgung von Flüchtlingen oder besser durch Hilfe für den Wirtschaftsaufbau. Aber langfristig sind sie bessere Wirtschaftspartner, und das bringt uns wieder etwas. Soweit die rein wirtschaftlichen Überlegungen. Aber es gibt auch und vor allem die menschliche Perspektive. Und diese spricht eindeutig für die Hilfe derer, die in Not geraten sind und vor allem für eine systematische Unterstützung der Nachbarn, damit sie sich erholen und einen neuen Anfang machen können. Immerhin wollen wir ja auch etwas von ihnen, zum Beispiel Öl und Gas.

Wien, 13.4.2011