Afrikanisches Tagebuch 1. – 6. September

31.8.

Afrika hat mich schon lange interessiert und in vielen Fällen fasziniert – jedenfalls seit meiner Studentenzeit. Meine Aufenthalte in den – ehemaligen – Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien, speziell in Paris und London, haben mich mit Afrikanern und der europäischen Auseinandersetzung mit Afrika in Kontakt gebracht. Die Beschäftigung mit europäischen Künstlern wie Picasso und Gauguin haben mich mit „primitiver Kunst“ in Berührung gebracht. Und so habe ich auch immer wieder in Paris, Brüssel und Wien Afrikanische Kunst gekauft – soweit ich mir das leisten konnte. Und mit meinen bescheidenen Mitteln der Acrylmalerei habe ich selbst auch von Fall zu Fall afrikanische Themen und Motive festgehalten. Einige Reisen in afrikanische Länder – privat und beruflich – haben mir zusätzliche Erkenntnisse und Erfahrungen gebracht.

Da ergab es sich als selbstverständlich, dass die Flucht bzw. Migration in Afrika ein Thema ist, das mich interessiert. Und so habe ich gerne den Vorschlag aufgegriffen, eine Konferenz zu diesem Thema in Kampala, der ugandischen Hauptstadt – mit der Hilfe vieler – zu kuratieren. Bei meinem letzten Aufenthalt in der ugandischen Hauptstadt habe ich gemeinsam mit Stephanie Fenkart vom IIP einige interessante ExpertInnen kennengelernt, die uns bei der Organisation dieser Tagung helfen sollten. Uganda ist besonders von vielen Flüchtlingen etwa 1,3 Millionen (!) betroffen und bemüht sich sehr sie gut zu versorgen. So war es naheliegend, die Konferenz in diesem Land zu organisieren.

Heute habe ich den Flug von Wien nach Amsterdam angetreten, um morgen von dort nach Entebbe zu fliegen, dem ugandischen Flughafen in der Nähe von Kampala. Mit mir fliegt dann die jetzige EU Abgeordnete Kati Piri. Ich kenne sie sehr gut und schätze sie sehr noch aus Zeiten meiner Zusammenarbeit mit ihr, als sie Mitarbeiterin der Fraktion im EU Parlament war.

1.9.

In wenigen Stunden soll ich von Amsterdam in Richtung Entebbe abfliegen. Die Konferenz, die mich nach Kampala in Uganda bringt, soll ein Konzept erarbeiten, wie die Fluchtbewegungen aus Afrika besser und vor allem humaner gemanagt werden können. Wenn man die Medien aufmerksam verfolgt, so kann man jeden Tag mehrere Nachrichten über menschliche Katastrophen entlang der Fluchtrouten bzw. in einigen Fluchtländern – aus denen Menschen fliehen bzw. in die sie fliehen bzw. emigrieren – erfahren. Menschen verdursten in der Sahara und sie ertrinken im Mittelmeer. Sie fliehen in ein vom Bürgerkrieg, ausländischer Intervention und von Cholera geplagtes Jemen. Sie werden aus Saudi-Arabien ausgewiesen, ansonsten droht ihnen eine Gefängnisstrafe. Und auch die gegenwärtige israelische Regierung geht immer wieder gegen Flüchtlinge vor. Besonders schlecht geht es Ihnen in Libyen, wo sie oft misshandelt werden und ihnen neuerlich Geld abgepresst wird. Wenn sie keines mehr haben, dann müssen die Verwandten zu Hause Geld sammeln und an Mittelsmänner übergeben.

Das Netzwerk von Menschenhandel und Finanzströmen funktioniert reibungslos. Unter diesen Umständen einfach von „Schließung der Mittelmeerroute“ zu reden ist grotesk. Da braucht es schon mehr Fantasie, Organisation und vor allem Humanität. Der neue französische Präsident Macron hat die Idee aufgegriffen bzw. propagiert, die Flüchtlinge/MigrantInnen schon in Afrika selbst zu registrieren und wo sinnvoll ein Asylverfahren durchzuführen. Das macht sicher prinzipiell Sinn, vor allem wenn man den AfrikanerInnen ein gefährliche Reise übers Mittelmeer ersparen kann. Aber wie macht man das ohne mit den kriminellen Schleppern zusammenzuarbeiten?

Erst dieser Tage ist das Gerücht/die Information aufgetaucht, dass der italienische Geheimdienst einige Schlepperbanden mit Geld bestochen hat, um die Flüchtlingsströme einzudämmen. Dazu heißt es in der heutigen Ausgabe der Zeitung Die Welt: „Im August sanken plötzlich die Zahlen der MigrantInnen, die nach Europa kamen… – Das liegt wohl auch an der Brigade 48. Diese älteste, grausamste und korrupteste libysche Miliz, ein Geschwader aus Banditen und Polizisten, hat ihre Menschenhändler offenbar angewiesen, die Arbeit einzustellen, wohl, weil es zurzeit in Libyen günstiger ist, die Boote zu stoppen, statt ihre Fahrt zu organisieren. Die libysche Regierung bezahlt diese Brigade 48 bereitwillig. Laut der auf den Nahen Osten spezialisierten Nachrichtenagentur „Middle East Eye“ tut das auch die italienische Regierung, die den Bericht nicht kommentieren wollte.“

Dieser kurze Absatz zeigt die ganzen verworrenen Verhältnisse in Libyen, wo schwer zwischen Milizen, Schlepperbanden und der Polizei zu unterscheiden ist. Da ist es derzeit sicher fast unmöglich, funktionsfähige und humane „hot spots“ zur Aufnahme von Flüchtlingen/MigrantInnen zu errichten. Hinzu kommt die Frage ob solche Migrationszentren nicht erst recht einen Anreiz darstellen, sich auf den Weg zu machen, um nach Europa zu kommen. Müsste man nicht vor allem in den Ländern ansetzen, die eine große Emigration bzw. Flucht aufweisen, also sehr nahe der Fluchtursachen? Mit all diesen Fragen wollen wir uns in Kampala der ugandischen Hauptstadt beschäftigen und zwar vornehmlich mit ExpertInnen aus Afrika selbst. Vor allem geht es darum, was Europa in Kooperation mit Afrikanern tun kann, um der Jugend ein menschenwürdiges Leben in Afrika selbst zu ermöglichen.

Es ist ja nicht nur Europa und Uganda vom Flüchtlingszustrom betroffen. In der heutigen Financial Times findet sich eine Einschaltung aus dem Tschad, einem anderen armen afrikanischen Land, das viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Es befindet unter den ersten 10 Aufnahmeländern der Welt. In der Einschaltung, in der um finanzielle Unterstützung gebeten wird, heißt es: “ For a poor country, Chad is rich in humanity. The landlocked African nation is among the world’s top refugee host countries. It hosts the third largest number of refugees in Africa. And despite the struggle it must be to feed and house the uninvited, Chad doing all this with a smile.“ Ich würde mir manchmal eine solche Aussage von Verantwortlichen in Europa wünschen.

Sicher geht es auch darum, die terroristische Gefahr zu bannen, die immer wieder Jugendliche in ihren Bann zieht. Dabei wird Religion immer mehr als Argument verwendet, um einfach Macht auszuüben und zu morden. In der heutigen Le Monde findet sich ein Artikel auf der Basis mehrerer Interviews mit jungen West-Afrikanern die von Boko Haram und ähnlichen Terrororganisationen geflüchtet sind. Ihnen war das Töten wichtiger als das Lesen des Korans, war die einhellige Aussage. Sie wollten dem eintönigen Alltag entgehen und Macht haben. Daneben gab es auch das „religiöse“ Motiv als Angehörige einer Elite in den Himmel zu kommen. Also Religion spielt schon eine Rolle aber zuerst kommt die Sehnsucht nach Macht, Geld und Gruppenzugehörigkeit. Das ergibt sich übrigens auch aus den Bekenntnissen und Lebensläufen etlicher Terroristen in Europa. Kriminalität steht oft am Anfang einer terroristischen Karriere.

Bezüglich des Zusammenhangs von Religion und Terror ist heute auch ein interessanter Beitrag in der FAZ zu lesen. Es scheint so, dass insbesondere in der spanischen Enklave/Exklave auf afrikanischem Boden Melilla ein religiöser Fanatismus gepflegt und verbreitet wird. Dabei gibt es auch direkte Verbindungen zur jüngsten „katalanischen“ Terrorgruppe. So erweist sich wieder einmal das Behalten von kolonialem Besitz als Nachteil.

Eine andere Nachricht, die gerade noch auf das iPad ins Flugzeug gekommen ist, ist besonders interessant. Der Oberste Gerichtshof von Kenia hat soeben die letzten Präsidentschaftswahlen annulliert. Und das kommt im Afrika von heute selten vor. Ich kenne noch nicht die detaillierte Begründung, aber es könnte spannend werden im Nachbarland von Uganda. Aber vielleicht ist das auch ein Zeichen der Demokratie. Nun, aber bin ich neugierig wie sich der schon als wieder gewählt fühlende Präsident Kenyatta verhalten wird.

Es ist 5h45 mitteleuropäische Zeit. Der Afrikanische Kontinent unter mir ist durch spezielle Verhältnisse in ein helles Blau gefärbt. Es wirkt fast als ob wir übers Meer fliegen. Erst mit zunehmender Dämmerung bekommt Afrika eine hellbraune/beige Farbe. Langsam nähern wir uns Kigali, der Hauptstadt von Ruanda. Hier wurde erst kürzlich Paul Kagame der Langzeitpräsident mit beinahe 100% wiedergewählt. Immerhin Wahlen haben stattgefunden und Kagame hat unzweifelhaft große Verdienste der Versöhnung nach den Horrorzeiten, die Ruanda während der Periode des Genozids erlebte. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo eine Nachfolgerin/ein Nachfolger sein Erbe antreten muss. Und hoffentlich kann dann Ruanda die Politik der Versöhnung fortsetzen.

2.9. Erster Tag in Uganda

Gestern Abend hatten wir eine pünktliche Ankunft am Flughafen Entebbe. Die Visa Formalitäten waren schnell erledigt und dann ging es über die holprige Verbindungsstraße in die ugandische Hauptstadt Kampala ins Spekehotel, wo wir um Mitternacht eincheckten. Speke, nach dem dieses Hotel benannt wurde, war ein Offizier der British India Army und lebte von 1827 bis 1864. Er versuchte den Ursprung des Nils zu finden – was ihm auch gelang – und war der erste Europäer der den Victoria See erreichte. Ich war überrascht, dass das Foyer des Hotels mit einem großen Gemälde ihm zu Ehren geschmückt ist.

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Der erste Termin führte uns (Stephanie Fenkart, Kati Piri und mich) am Morgen zur Day Star School am Rande eines weit ausgestreckten Slum Gebiets. Der Principal der Schule, Jude, den ich schon bei meinem ersten Besuch in Kampala kennengelernt habe, zeigte uns die inzwischen erweiterte und modernisierte Primär-Schule. Selbstverständlich ist sie nicht mit einer Schule in Österreich vergleichbar. Aber der Fortschritt gegenüber meinem/unserem Besuch das letzte Mal ist offensichtlich. Und das Besondere ist, dass viel österreichisches Spendengeld in diesen Ausbau geflossen ist. Und dafür ist Jude und sind Lehrer und Kinder sehr dankbar. Das Problem mit den wenigen öffentliche Schulen ist, dass die Lehrer besonders schlecht bezahlt sind und daher oft nicht zum Unterricht erscheinen, so gibt es viele private und oft davon konfessionelle Schulen.

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Anschließend an den Schulbesuch besuchten wir das unmittelbar angrenzende Slumgebiet woher auch die meisten Kinder der Schule stammten. Es ist unfassbar, in welchen miserablen Situationen die Menschen hier leben. Wasser gibt es nur aus einer einzigen Quelle und muss selbstverständlich abgekocht werden, sollte es fürs Essen oder Trinken verwendet werden. Es gibt nur öffentliche Gemeinschafts-Toiletten und das natürlich sind keine Wassertoiletten. Abfall auf öffentlichen „Plätzen“ wird von Ziegen „bewohnt“. Aber die Kinder sind fröhlich, wollen gerne fotografiert werden und sind sehr zugänglich – in großer Distanz zur tristen Lebenssituation.

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Nach einem kurzen Besuch in einer kleinen Galerie für Afrikanische Kunst ging es dann durch die Stadt an einem indischen Tempel vorbei zur größten Mosche Ostafrikas. Aber der Weg dorthin war von einer Lebendigkeit und Buntheit gekennzeichnet, wie sie kaum größer und beeindruckender sein könnte. Die Straßen sind voll von Fußgängern, Motorradfahrern und vor allem Kleinbussen, die vollgestopft mit Fahrgästen den „öffentlichen“ Verkehr bewältigen. Dazwischen gibt es bunte und lebendige Märkte, wobei ich angesichts der Art und Weise wie das Fleisch präsentiert wurde, gemeint habe, dass ich hier zum Vegetarier werden würde.

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Es war jedenfalls, ein beeindruckender Marsch zur Moschee. Dort hatten wir eine Führung durch einen soeben fertig studierten jungen Mann. Er führte uns sehr „undogmatisch“ durch die Moschee und auf das Minarett hinauf, um uns die Gotteshäuser der anderen Religionen zu zeigen. Recht unkritisch schilderte er allerdings, dass Idi Amin das Grundstück zur Verfügung stellte und Gaddafi die Finanzierung des Baus ermöglichte. Nicht gerade zwei Demokraten, die für diese Moschee Pate gestanden sind.

3./4.9. Hotel Speke im Kampala

Entgegen den Erwartungen begann die Konferenz zur Flucht und Afrikanischen Jugend pünktlich. Und auch der Minister, der für diese Fragen in Uganda zuständig ist, war sehr pünktlich.  Er blieb sogar länger als vorgesehen, hörte sich auch kritische Bemerkungen an und sollte am nächsten Tag nochmals kommen und an einer Diskussion über die Forderungen an den EU-Afrika Gipfel Ende November teilzunehmen.

Es war eine bunte Mischung, die wir in Kampala versammeln konnten. Es kamen politische Mandatare wie der Minister, eine Abgeordnete aus dem Uganda Parlament aber auch Kati Piri von europäischen Parlament und ein Vertreter der Afrikanischen Union. Dann waren einige wissenschaftliche ExpertInnen aus Ost-, West- und Südafrika gekommen aber auch VertreterInnen verschiedener afrikanischer Jugendorganisationen. Wichtig war uns aber vor allem die aktive Teilnahme von Flüchtlingen, die in Uganda Zuflucht gefunden haben. Und so hatten wir Flüchtlinge aus Süd-Sudan, dem Kongo und aus Burundi. Sie waren eine große Bereicherung.

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Viele Flüchtlinge hatten erst vor kurzem Englisch gelernt aber sie konnte sich sehr gut ausdrücken. Sie waren froh über die Möglichkeiten, die ihnen Uganda bot. Aber sie berichteten auch über Fälle, wo Ihnen die ihnen zustehenden Rechte verwehrt wurden bzw. eine finanzielle Gegenleistung verlangt wurde. Und im Falle der Vergewaltigung reagierten die Polizeidienststellen nicht rasch genug. Auch in Europa werden Gesetze nicht immer eingehalten und sicher ist d in weniger organisierten und strukturierten Staaten noch mehr der Fall. So wurde aus anderen Ländern wie Ghana und Nigeria über den Mangel an Umsetzung an sich vorbildlicher Gesetze für Flüchtlinge berichtet.

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Was mich an den Debatten am meisten erstaunt hat war, daß sich die Mehrheit der kritischen Äußerungen nicht an und gegen Europa wandte sondern an die eigenen, Afrikanischen politischen und wirtschaftlichen Missstände. Sicher wurden die Versuche Europas, die Migration zu stoppen und manche Diskriminierung an europäischen Grenzen für legale afrikanischen Einreisende, kritisiert. Aber meine Forderung im Einleitungsstatement, die Migration besser zu managen und vor allem humaner zu organisieren, wurde voll unterstützt. Siehe dazu auch mein Grundsatzpapier in Vorbereitung der Kampala Konferenz.

Die afrikanischen TeilnehmerInnen waren nicht interessiert, die Migration aus Afrika zu fördern. Migration wurde dabei nicht verteufelt, aber sie sollte als eine Möglichkeit unter vielen gesehen werden, sich weiterzubilden und neue Erfahrungen zu sammeln. Sie sollte jedenfalls nicht die erste Wahl sein, um die eigene wirtschaftliche Situation zu verbessern. Und die, die emigrieren, sollten jedenfalls ihr Wissen und ihre Erfahrungen an diejenigen, die in Afrika bleiben, weiterleiten. Dabei sollten auch die EU und die einzelnen Mitgliedsländer behilflich sein.

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Wir hatten also eine Debatte mit nur geringen Schuld- oder Verantwortungszuweisungen an Europa. Die meiste Schuld für den Willen vieler AfrikanerInnen, den Weg nach Europa zu suchen, wurde in den misslichen politischen Verhältnissen, in den wirtschaftlichen Mängeln und in einer verfehlten Agrar- und Lebensmittelpolitik gesehen. Eine bessere Governance, eine vernünftigere Wirtschaftspolitik und eine Agrarpolitik, die auf Eigenversorgung Afrikas ausgerichtet werden würde, könnte die Migration radikal eindämmen. Und wenn die afrikanischen Staaten und die Afrikanische Union sich stärker gegen die verschiedenen inneren „ethnisch“ motivierten oder ausgerichteten Konflikte engagieren würde, könnte viel an erzwungener Migration vermeiden werden.

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Dabei ist Europa keineswegs unbeteiligt an dieser problembehafteten Lage Afrikas. Europa bzw. die Kolonialherren haben oftmals ethnischen Merkmale hervorgehoben und die einen und die anderen Gruppen gegen einander ausgespielt. Europäische PolitikerInnen und vor allem Geschäftsleute sind in einer Verbindung auch mit undemokratischen politischen Kräften und Politikern. Und unsere Handels, Agrar- und Fischereipolitik trägt auch nicht immer zu einer ausgeglichenen Entwicklung in Afrika bei. Auch wenn sich manches verbessert hat, noch sind diese Politiken nicht partnerschaftlich gestaltet.

Aber genau um diese Partnerschaft ging es bei der Diskussion, die wir in den beiden Konferenztagen in Kampala hatten. Dabei waren alle TeilnehmerInnen in den „Plenarsitzungen“, vor allem aber auch in den vielen Arbeitsgruppen, aktiv beteiligt, um zu einigen Empfehlungen zu kommen, die realistisch sind aber auch einen langfristigen Weg nach vorne zeigen könnten.

Am Abend des ersten Tages ging es noch ins Ndere Cultural Centre, dessen Errichtung auch von Österreich unterstützt wurde. Ich befürchtete eine oberflächliche, rein auf TouristInnen ausgerichtete, Darstellung ugandischen Brauchtums. In Wirklichkeit war es eine sehr qualitätsvolle und rasante Darbietung unterschiedlichster Tänze und Lieder aus den verschiedenen Regionen und auch aus Nachbarstaaten. Es sollte auch das gute Zusammenleben von Menschen verschiedener Ethnien, Sprachen und Kulturen demonstriert werden. Und das ist auch mit Witz – aber immer mit Niveau – gelungen.

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5.9. Speke Hotel und Stadtmitte von Kampala

Am Morgen des letzten Tages unserer Konferenz und meines Uganda Aufenthalts ging es nochmals um die Jugend des Kontinents und die Voraussetzungen dafür, dass sie in der Migration nicht die einzige und erste Chance sehen, ihr Leben zu verbessern. Einer der afrikanischen Jugendvertreter, der auch viel nach Europa reist meinte, er werde immer bei seiner Rückkehr gefragt, ob er was in Afrika vergessen habe, weil er nicht in Europa bleibt, sondern immer wieder zurückkehrt. Die einhellige Meinung der DiskussionsteilnehmerInnen war, die afrikanische Jugend müsste wieder stolz sein (können) und nicht immer nach Europa schielen. Ja, so meinte ein anderer, es gibt viele Gründe aus Afrika auszuwandern aber noch viel mehr Gründe in Afrika zu bleiben.

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Aber für die Motivation, in Afrika zu bleiben, müssen die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse geändert werden. Das ist vor allem die Aufgabe derer, die heute in Afrika Verantwortung tragen. Aber Europa muss dazu deutlich beitragen. Und zwar nicht nur zur Wiedergutmachung kolonialer Schuld, sondern im eigenen Interesse. Und da wieder nicht nur um die Migration nach Europa einzudämmen, sondern auch weil wir mit Afrika eine bessere wirtschaftliche Entwicklung und mehr politische Stabilität erreichen können – vom Klimawandel gar nicht zu reden.

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Zu einer dieser gemeinsamen Verantwortung gehört auch, die Jugend Afrikas und Europas stärker zu vernetzen. Das wurde immer wieder in den Debatten gefordert. Das ist sowohl wichtig, um der afrikanischen Jugend unsere Erfahrung zu vermitteln als auch in Europa Verständnis für die Sorgen und Anliegen der afrikanischen Jugend zu wecken.

Nach dem Abschluss der Konferenz gingen Kati Piri und ich nochmals in das Zentrum der Stadt. Und wieder bot sich uns ein unheimlich bewegtes und buntes Bild. Tausende von Menschen boten ihre Waren an, wobei ich mir nicht vorstellen kann, wer alle diese angebotenen Früchte, Kochgeschirre etc. kaufen sollte. Was uns aber beeindruckt hat, ist der Mangel an Aggressivität. Man kommt unterwegs dauernd mit den Autos, den Motorrädern, die vor allem als Taxi dienen, und den Menschen, die sich vor allem dieselbe Straßen teilen, in Berührung. Aber man hat nie das Gefühl, dass man belästigt oder gar bedroht wird. Und während der eineinhalb Stunden in den dicht gedrängten Straßen – es gibt wenige Gehsteige – sah ich nur ein weißes Gesicht und übrigens nur zwei voll verschleierte Frauen.

Was aber dieser Weg durch Kampalas Straßen auch zeigt, ist, dass viel gehandelt wird, dass aber wenig davon in Afrika produziert wird. Und so beklagten sich auch einige KonferenzteilnehmerInnen, dass immer mehr billige Produkte aus China kommen und dass das aber oft Produkte sind, die Afrika ebenso gut und ebenso billig erzeugen könnte. Aber das erfordert ein starkes Umdenken vom Übermaß an Handel zu mehr Produktion in Industrie und Landwirtschaft. Afrika hat also noch einen großen Transformationsprozess vor sich, aber die, die ihn durchführen können, verdienen unsere volle Unterstützung.

Übrigens was China betrifft, so war interessant, dass die meisten Fernsehkameras und Journalisten bei unserer Tagung zu chinesischen Medien gehörten, auch wenn die Journalisten durchwegs Schwarzafrikaner waren.

6./7.9. Zurück in Wien

Es ist naheliegend, dass mich Afrika auch nach der Rückkehr aus Kampala nicht loslässt. Und so habe ich in Wien Zeitungen und Magazine, die sich mit Afrika beschäftigen, gekauft. In einem deutschen Magazin namens IP – Internationale Politik (Ausgabe September/Oktober) schreibt ein Experte am Institute for Peace and Security, Studies der Universität Addis Abeba, also in Äthiopien namens Sunday Okello einen Beitrag zu Emigration, genau im Sinne unserer Tagung in Kampala. So meint er unter dem Titel: „Viele kleine Marshallpläne“: „Korruption, schlechte Regierungen, mangelnde Rechtsstaatlichkeit, Tribalismus: Die Fluchtursachen in Afrika sind so vielfältig wie die möglichen Lösungen. Dazu zählen Graswurzelinitiativen und Informationsoffensiven über die Wirklichkeit in Europas Städten. Denn die sieht ganz anders aus, als es sich viele Auswanderungswillige vorstellen.“

Good Governance steht für ihn so wie auch für uns, die wir in Uganda waren, im Mittelpunkt der Forderungen an die afrikanische Politik. Und dann schildert er die vielen Möglichkeiten, die auch wir bei der Konferenz in Kampala diskutierten, von der besseren Ausbildung bis zu einer ausgeglichenen Landwirtschaftspolitik sowie Möglichkeiten der legalen Zuwanderung nach Europa. Europa wird also nicht durch die Fehler und Mängel der afrikanischen Politik entlastet.

Um diese Auffassung zu unterstreichen braucht man nur die Geschichte des Kolonialismus studieren. So habe ich noch am Flughafen in Kampala ein Buch über die Geschichte und Entwicklung Algeriens begonnen zu lesen. Ich lasse einmal die Schilderungen der Algerier über die Untaten der französischen Kolonialherren weg und stütze mich nur auf Schilderungen und Beschreibungen von Franzosen aus dieser Zeit. Die vielen Gräuel- und Untaten erklären wie viel an gesellschaftlichen Strukturen zerstört wurden und wie keine neuen tragfähigen aufgebaut wurden – und das bei ungeheurem menschlichen Leid und vielen Toten. Und das war nicht nur in Algerien so!

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