Auf dem Weg zur politischen Union?

Hannes-lächelndDer bekannte ungarische Schriftsteller Peter Esterhazy meinte unlängst in einer Literaturpreis- Festrede: „Provinzialismus und Nationalismus erzeugen Feindbilder. Das Symbol dieser Kulturauffassung ist die Burg. Und die Burg muss verteidigt werden. Gemeinsames Charakteristikum der Burgen aber ist, dass jede von ihnen, ausnahmslos jede von ihnen irgendwann zur Ruine wird.“

Wenn ich mir die jüngsten Beschlüsse zu Schengen ansehe, dann sehe ich InnenministerInnen am Werk, die wieder einmal Burgen bauen bzw. sie verteidigen wollen. Was sie nicht sehen bzw. nicht sehen wollen ist, dass sie dabei die Ruinen von morgen bauen. Die Tatsache, dass sie durch eine Änderung der Rechtsbasis das Mitspracherecht des Europäischen Parlaments durchlöchern und dass sie an vermehrte Möglichkeiten denken, die Grenzen in „Notfällen“ zu schließen gehen Hand in Hand. Denn es war und ist das Europäische Parlament, das die gewonnene Reisfreiheit in Europa als große Errungenschaft verteidigt. Wir sind nicht blind gegenüber Gefahren offener Grenzen, aber wir sind auch nicht blind gegenüber den Versuchen, so mancher Innenminister auf rechtspopulistische Forderungen einzugehen oder mit entsprechenden Feindbildern – vor allem vor Wahlen – selbst zu spielen.

Gegen die Gefahren neuer Abschottungen müssen wir mit allen rechtlichen und politischen Möglichkeiten kämpfen. Denn es gibt schon genug „geistige“ Grenzziehungen in Europa: Nord gegen Süd, Nettozahler gegen Nettoempfänger. Wir brauchen nicht die Wiedererrichtung nationaler Grenzen, außer in wirklichen Notfällen.  Im Gegenteil, wir müssen zu einer wirksamen Union der Völker und Staaten fortschreiten, wie es auch der Vertrag von Lissabon vorsieht. Und daher ist es erfreulich, dass jetzt wieder einmal von einer Politischen Union die Rede ist. Aber viele Handlungen gehen genau ins Gegenteil. Nicht nur die Entscheidung zu Schengen, sondern auch der jedenfalls institutionell missglückte Fiskalpakt und viele andere Signale (zum Beispiel zum EU-Budget) die die Regierungschefs aussenden, zeugen davon, dass es ihnen nicht um eine wirkliche Union mit mehr Rechten für die Gemeinschaftsinstitutionen geht. Die EU- Kommission betrachten sie lediglich als Instrument zur Vorbereitung und zur Durchführung ihrer Entscheidungen und das EU-Parlament als notwendiges Übel. Wo es mögliche ist, versuchen sie beide Gemeinschaftsinstitutionen zu umgehen.

Und in vielen Fällen kommen sie erst zwei oder mehr Jahre später und damit oft zu spät auf die Vorschläge und Ideen von Parlament und Kommission zurück. So auch beim jüngsten Vorschlag zur Bankenunion. Eigentlich handelt es sich ja nicht um eine Bankenunion. Die Banken sind ja schon längst eng miteinander verflochten. Es geht vielmehr um eine gemeinsame, europäische Aufsicht und um eine ebensolche Einlagensicherung. Wir müssen also die Konsequenz aus der europäischen Verflechtung der Banken ziehen und auf diese eine ebenso europäische wirtschaftspolitische Antwort finden. Manchmal wird allerdings mit dem Ruf nach einer Bankenunion versucht, das Verlangen nach einer Fiskalunion abzuwürgen. Aber will man eine politische Union, dann brauchen wir beides. In dieser Hinsicht wurde ja auch durch die europäische Gesetzgebung seitens des EU- Parlaments schon viel gemacht. Da braucht es keinen Neuanfang, sondern einige ergänzende Schritte. Vor allem muss man sich vor Augen halten, dass wir nur dann den Euro als Gemeinschaftswährung behalten können, wenn wir sowohl auf eine Banken- als auch auf eine Fiskalunion, also auf eine wirksame wirtschaftspolitische Union zusteuern.

In diesem Zusammenhang ist auch vor einer weiteren Grenzziehung und Spaltung der EU zu warnen: nämlich der zwischen der Eurozone und den anderen Mitgliedsländern. Ja, es kann und soll durchaus bestimmte Sonderregelung für die Eurozone geben. Aber wir sehen ja täglich, dass die wirtschaftliche und insbesondere die Verflechtung der Banken nicht vor den Grenzen der Eurozone Halt macht. Und das gilt auch für die Risiken  bei eventuellen Bankzusammenbrüchen. Und so soll der europäische Zusammenhang nie durch neue Grenzziehungen und neue Institutionen wie eigene Euro-Parlamente etc. zerrissen werden. Wir müssen als EU zusammenbleiben und so die schrittweise Erweiterung der Eurozone vor Augen haben, wenngleich mit mehr Vorsicht und Sorgfalt als bisher. Allerdings werden wir bei der Bevölkerung für  Schritte einer weiteren Integration nur Gehör finden, wenn wir in Europa nicht nur ein Wirtschaftsprojekt sehen. Peter Esterhazy hat in der erwähnten Rede gemeint: „Globalismus und Provinzialismus wachsen miteinander, die Offenheit wächst und auch die Zahl derer wächst, die ihr mit Argwohn begegnen. Die integrative Kraft der EU nimmt zu, und auch der Nationalismus nimmt zu.“

Wir Europäer befinden uns also in einer Zwickmühle. Und diese Situation verlangt nach klaren Entscheidungen und guten Argumenten. Den globalen Entwicklungen können wir nicht durch Nationalismus und Provinzialismus begegnen. Offenheit aufzugeben bzw. zu reduzieren hilft auch nichts. Das sollten nicht nur die Innenminister sondern auch die Regierungschefs bedenken. Es geht in allen Fällen um mehr Gemeinsamkeit und zwar nicht erst dann wenn die Probleme auftreten und fast unlösbar sind, wie das in den letzten Jahren der Fall war. Wir brauchen Gemeinsamkeit auch bei der Vermeidung von Problemen bzw. deren raschen Lösungen. Das gilt für die Einwanderung aus der Nachbarschaft und bei Störungen auf den Finanzmärkten gleichermaßen. Nur eine solche Haltung stärkt Europa. Und dabei müssen wir uns auch einer Sprache befleißigen, die die BürgerInnen verstehen.

Den populistischen und nationalistischen Vereinfachern müssen wir mit klaren Argumenten entgegentreten. Ihnen nach dem Mund zu reden hilft nicht. Genau darum ist die jüngste Entscheidung so ärgerlich: denn die Debatte um eine Änderung der Schengen Regeln begann nach einem angeblichen Massenansturm nach dem arabischen Frühling in Tunesien. Der war dann keiner, aber niemand der damals die öffentliche Meinung mitradikalisiert hat bekennt sich zu seiner Demagogie. Im Übrigen gab es den wirklichen Flüchtlingsansturm – nicht zuletzt auf Grund der europäischen Intervention in Libyen – von dort nach(!) Tunesien und nicht von dort nach Europa. Aber den Tatsachen trotzend, haben die InnenministerInnen den populistischen Wettlauf fortgesetzt.  Wir sollten die wirklichen Probleme, wie die an der griechisch- türkischen Grenze lösen und zwar gemeinsam. Das wäre besser als nicht vorhandene Probleme zu benützen um Ängste zu schüren und Europa zurückzudrehen.

Der Weg zu einer politischen Union wird jedenfalls ein langer. Durch das nicht eingelöste Versprechen die Krise rasch und mit geringen Kosten zu lösen, wurde viel Vertrauen zerstört. Jetzt, da manchen PolitikerInnen die Einsicht in die mangelnde Konfliktlösung kommt, kann man nicht von heute auf morgen die Menschen für “ mehr Europa“ gewinnen. Zu versuchen einen verkorksten Nationalismus mit europäischen Lösungen zu verbinden, indem man den Intergouvernementalismus (Regierungszusammenarbeit) zum Baustein eines neuen Europas macht,  löst auch nicht die Probleme. Nur eine wirkliche europäische Gemeinschaft durch Zusammenarbeit aller europäischen Institutionen hilft die Probleme – von den Banken bis zur Zuwanderung – zu lösen. Alles andere ist weder demokratisch noch effizient. Eine deutliche Mehrheit im Europäischen Parlament ist bereit rasch und effizient die notwendigen Schritte zu unternehmen, rascher jedenfalls als der sich immer wieder selbst blockierende Rat der Regierungschefs.