BAUKULTUR UND DIE WENDUNG ZUM GUTEN

Referat anlässlich der Verleihung der Baukulturpreise 2017

Theodor W. Adorno hat in seinen „Minima Moralia“ einen sehr apodiktischen Satz geprägt: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Dieser Satz fand sich übrigens in einem Kapitel mit der Überschrift „Asyl für Obdachlose“. Kann es in unserem falschen Leben, in unserer unvollkommenen Gesellschaft, eine richtige Architektur geben?

Nun wenn man Adornos Satz völlig ernst nimmt, dann besteht ein unauflöslicher Widerspruch, denn dann wäre ja ein richtiges Leben nie erreichbar. Wir befinden uns in einem Teufelskreis. Die Frage, die sich aber stellt, ist die, ob Kunst und dazu zähle ich auch die Architektur, zu einem richtigen Leben, zu einer besseren Gesellschaft beitragen kann? Und dann stellt sich die Frage wie Bauherrn, Bauauftraggeber und ArchitektInnen zu einer besseren und das heißt humaneren Gesellschaft beitragen können.

Wenn wir eine immer wieder zitierte Schrift eines Klassikers weit vor Adorno zu Rate ziehen, nämlich Friedrich Schillers Schrift zur „Ästhetischen Erziehung“ dann besteht „Aussicht auf Heilung“. Da heißt es dann: „gib der Welt, auf die du wirkst die Richtung zum Guten“.

Und außerdem meint Schiller: „Der Künstler ist zwar der Sohn seiner Zeit, aber schlimm für ihn, wenn er zugleich ihr Zögling oder gar noch ihr Günstling ist“. Und das sollte in eingeschränktem Maße doch auch für den Bauherrn gelten.

Was ist nun aber die Richtung zum Guten? Worauf müssen wir uns alle einstellen? Sogar die EU, die keine Kompetenz hinsichtlich Architektur und Bauen hat – sich aber über das Wettbewerbsrecht nicht immer positiv einmischt – hat sich des Themas angenommen. Interessant ist dabei, dass der Städtebericht 2016 ein Foto aus Wiens Innenstadt am Titelblatt hat. In aber zu einigen fundamentalen Herausforderungen für das Bauen heute.

– Nichts deutet auf einen Stillstand, auf ein stabiles Gleichgewicht in unserer Gesellschaft. Die Bevölkerung wächst, vor allem nimmt auch die Verstädterung zu und auch die Migration innerhalb der Staaten, grenzüberschreitend und auch über Kontinente hinweg. Wir müssen zusätzliche Flächen als Bauland ausweisen aber vor allem höhere Dichten ermöglichen, um den gerade auch in Österreich stattfindenden Flächenfraß zu verringern.

Die Bodenpolitik bekommt dabei eine immer größere Bedeutung. So hat jüngst auf der Architektur Biennale in Chicago der Film „The Property Drama“ für Furore gesorgt. Überall dort, wo sich die öffentliche Hand aus der Bodenpolitik inklusive vom Grundeigentum zurückzog, kam es zu katastrophalen sozialen Missständen.

– Bevölkerungswachstum und Migration aber auch viele technologische Veränderungen erzeugen Unsicherheit und soziale Spannungen. Die Spanne zwischen Arm und Reich vergrößerst sich aber darüber hinaus wird der gesellschaftliche Zusammenhalt prekärer. Sozialer Wohnbau, aber auch entsprechende gedeckte und öffentliche Freiflächen – auch mit sozialer Betreuung – sind absolut notwendig, um ein Minimum an Integration zu erreichen. Und da spielt die Bodenpolitik wieder eine entscheidende Rolle. Im Übrigen kann gerade bei der Gestaltung öffentlicher sozialer Räume auch Platz für Partizipation gemacht werden.

– Die Klimaveränderungen bringen neue Unsicherheiten und Risiken mit sich und nachhaltiges Bauen wird dringender. Dabei geht es auch um Recycling und um eine Architektur, wie sie die Turner PreisträgerInnen „Assemble“ entwickelt und jüngst auch im Architektur Zentrum Wien präsentiert haben. Die neue AZW Direktorin Angelika Fitz meinte dazu: „Assemble verbinden in ihrer architektonischen Arbeit in einzigartiger Weise soziale Aktivierung und Koproduktion, poetische Räume sowie ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit.“

– Natur wird trotz oder wegen der Verstädterung wieder gesucht und soll auch(!) in den Städten gefunden werden. Urban gardening und der Blick vom Fenster auf zumindest einen Baum soll dem Rechnung tragen. Leider wird immer wieder auf solche einfache Interventionen „vergessen“.

– Die Digitalisierung der Arbeitswelt durch verstärkten Robotereinsatz und Automatisierung, aber auch des Konsumverhaltens – Einkauf übers Internet – verändern unseren Tagesablauf und den „Gebrauch der Stadt“ radikal. Unsere gebaute und gestaltete Umwelt muss dafür sorgen, dass das öffentliche Leben und Begegnen nicht zur Ausnahme wird. Der öffentliche Raum muss attraktiv bleiben bzw. attraktiver werden um zu sozialem – auch nicht geplanten – Austausch einzuladen.

– Wollen wir mit all den zukünftigen Herausforderungen einigermaßen Schritt halten, ist das lebensbegleitende Lernen eine Notwendigkeit. Entsprechend gestaltete Kindergärten und Schulen müssen dabei zum Ausdruck bringen, dass hier nicht Zwang ausgeübt werden soll, sondern Chancen geboten und Freude am Lernen und Leisten vermittelt werden soll. Das digitale Lernen soll hinzukommen aber den gemeinsamen und dialogbasierten Lernprozess nicht ersetzen.

Baukultur heute bedeutet also viel mehr als je zuvor angedacht. Und gleichzeitig ist sie in demokratischen Gesellschaften schwieriger umzusetzen. Und auch der kurzfristig (!) definierte Kostendruck – der oft im Widerspruch zum langfristig und gesellschaftlich definierten steht – macht eine überlegte Politik schwierig.

Auch sich an einer erweiterten Baukultur orientierte Bauherren- und Architektenschaft kann nicht alle gesellschaftliche Wunden heilen. Alain de Botton meint in seiner „Archtecture of Happiness“. „The noblest architecture can sometimes do less for us than a siesta or an aspirin“. Und Ludwig Wittgenstein meinte ja, dass die Schwierigkeit der Philosophie nichts ist, im Vergleich zu der Schwierigkeit ein guter Architekt zu sein. Und das gilt auch für einen guten Bauherrn.

Friedrich Achleitner übertitelt seine Texte zu vielen bekannten ArchitektInnen mit der Frage „Wie entwirft man einen Architekten?“. Man müsste folgerichtig auch fragen, wie entwirft man einen Bauherrn? Nun indem man all die universellen Notwendigkeiten des Heute und für ein besseres Morgen an konkreten Bauplätzen an bestimmten Orten mit ihrer definierten Umgebung verdichtet.

Und dann besteht immer noch Raum für das Kunst, die ja, gemäß Schiller, eine „Tochter der Freiheit“ ist. Erst dann, wenn Notwendigkeiten und Freiheit in Einklang gebracht werden, würde Friedrich Schiller von einer gelungenen Ästhetik sprechen. Und die muss nicht aufwendig und teuer sein. Aber auch die Kosten sollten ehrlich dargestellt werden.

Jedenfalls möchte ich mit Schiller das „tyrannische Joch“ des kurzfristigen(!) Nutzens kritisieren, „dem alle Kräfte fronen und alle Talente huldigen sollen“. Darüber sollten wir schon hinaus sein.

Die Dominanz des Ökonomischen hat inzwischen eine neue Bedeutung in den Projekten von Bill Gates Smart City in Arizona über Google’s Projekt in Kanada bis zu Modellstädten in der saudischen Wüste bekommen. Hier wird die Zukunft am Reißbrett gesucht. Aber weder ist das viel leichter noch zukunftsträchtiger als die Transformation unserer Städte und Dörfer. Aber dort liegt unsere Aufgabe, wollen wir die menschliche Dimension bewahren und sie nicht der wirtschaftlichen und/oder technologischen Hypertrophie unterordnen. Veränderung ist angesagt aber nicht Entwurzelung.

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