Bruno Kreisky Verleihung für das politische Buch an Axel Honneth

Es ist sehr mutig, wenn Axel Honneth heute noch vom Sozialismus spricht und noch mutiger, wenn er ihn einfordert, allerdings mit wohl überlegten Argumenten und unter genau definierten Bedingungen. Es gehört schon, wie er selbst in einem Interview bekannte, ein gutes Stück Sturheit dazu.

Hannes Swoboda - Axel Honneth Verleihung

Aber macht das überhaupt noch Sinn, sich mit der Idee des Sozialismus zu beschäftigen? Beschreibt er nicht selbst vor allem auch in seinem 2011 erschienen Werk „Das Recht der Freiheit“ die missliche Lage, in der wir uns befinden?

Nüchtern und ernüchternd stellt dort Axel Honneth fest: „All diese wirtschafts-politischen Errungenschaften, im Rückblick wesentliche Zwischenschritte auf dem Weg zur Etablierung sozialer Freiheit in der marktvermittelten Sphäre gesellschaftlicher Arbeit, werden nun aber bekanntlich im Laufe der 1990er Jahre sukzessive wieder zurückgenommen.“

Die Folge davon ist eine „erneute Desorganisation der kapitalistischen Wirtschaft in den westeuropäischen Ländern“ mit einer „Schrumpfung der Reallöhne, der Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen und der Ausweitung struktureller Unsicherheit“ etc.

Und zusammenfassend stell Axel Honneth fest: „Die Chancen, sich als Gleicher unter Gleichen in den Kooperationszusammenhang des kapitalistischen Marktes einbezogen zu wissen, haben sich für die Mehrheit der Lohnabhängigen in den letzten Jahren eher verringert als vergrößert“.

Die Folge dieser – rückschrittlichen – Veränderungen ist nun nicht eine Hinwendung zum Sozialismus sondern geht vielfach ins Gegenteil. Aber in Krisenzeiten ist dies oftmals der Fall, wie wir das auch aus den Entwicklungen der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts ablesen können.

Axel Honneth verfällt aber nicht in einen resignierenden Pessimismus sondern erkundet Wege, wie man eine Situation überwinden kann, die ein Bild bietet, „das allen von Marx vorausgesagten Entwicklungstendenzen haargenau zu entsprechen scheint“. Und in der Tat vieles an der heutigen vor allem auch globalen Entwicklung wurde von Karl Marx vorausgesehen. Falsch an der Marx’schen Analyse – und vor allem an der seiner vielen Vulgärinterpreten war die Konzentrierung auf die „historische“ Rolle der Arbeiterklasse.

Im Rahmen der Kritik daran kommen wir zu einem Schlüsselsatz für die Neuorientierung des Sozialismus: seine Adressaten sind nämlich laut Axel Honneth „jetzt nicht mehr die Mitglieder einer bestimmten Gruppe, sondern alle BürgerInnen und Bürger…..insoweit sie davon überzeugt sind, dass sie ihre individuelle Freiheit in wesentlichen Bereichen ihres Lebens nur im solidarischen Zusammenwirken mit allen anderen verwirklichen können.“

Damit sind wir auch bei einem Schlüsselbegriff im Werk von Axel Honneth, der „sozialen Freiheit“, also einer Freiheit, die sich nicht gegen die anderen entwickelt, sondern die man mit den Anderen, also für einander entwickeln soll.

Genau das ist allerdings die größte Schwierigkeit. Denn der Trend der politischen Diskussion heute geht genau ins Gegenteil: die individuelle Freiheit kann nur mit Unterbrechung und Auflösung der ohnedies nur im Ansatz vorhandenen Solidarität verwirklicht werden.

Weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene ist Solidarität en vogue, im Gegenteil Entsolidarisierung ist angesagt. Denken wir nur an die Debatte über die Absenkung der Mindestsicherung für Flüchtlinge – krass EU widrig – und die Schuldzuweisung an die Arbeitskräfte aus dem EU „Ausland“ für die Arbeitslosigkeit und die Ideen für eine Lohnspaltung zwischen inländischen und entsandten Arbeitskräften.

Im Übrigen wurde auch ein anderer zentraler Ansatz von Axel Honneth beiseite geschoben und bewusst nicht verfolgt. Axel Honneth stellt mit Recht fest, dass ein erneuerter Sozialismus nicht nur in den drei „Teilsystemen der persönlichen Beziehungen, des wirtschaftlichen Handelns und der demokratischen Willensbildung jeweils das Potential an sozialer Freiheit entdecken“ muss, sondern dass auch und gerade die Interdependenzen zwischen diesen Teilsystemen im Auge zu behalten sei.

Genau davon aber will die Rechte nicht wissen und davon hat auch die Sozialdemokratie nicht wirklich Kenntnis genommen. Es geht eben nicht bloß um das simple „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ sondern um eine Wechselwirkung zwischen den wirtschaftlichen, demokratischen und persönlichen Freiheitsrechten.

So hat die Enttäuschung über die Blockaden beim wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg vor allem der Mittelklasse einen nicht unwesentlichen Einfluss auf das Wahlverhalten und ist damit für den Rechtsruck verantwortlich. Und dabei sind auch Auswirkungen auf die private Sphäre mitzudenken.

Als Schlussfolgerung daraus ergibt sich auch ein anderer Adressatenkreis als wenn man nur die orthodoxen marxistischen Ansätze zu Rate zieht. Denn, wenn man mit Axel Honneth alle drei genannten gesellschaftlichen Sphären gleich behandelt und auch die Interdependenz mit beachtet, dann gibt es keine kollektive Subjektivität (die Arbeiterschaft etc.) als Adressaten, sondern die gesamte demokratische Öffentlichkeit an die sich der Sozialismus richten muss.

Hannes Swoboda - Axel Honneth Verleihung

Und das wiederum heißt, dass man mit der Idee der „sozialen Freiheit“ die Emanzipationsbestrebungen in allen Teilsystemen der gegenwärtigen Gesellschaft ansprechen und unterstützen muss.

Das bedeutet aber auch dass die Vision des Sozialismus nur als transnationales Projekt verstanden werden kann. Denn die verschiedenen Handlungssphären sind sichtlich einer nationalen „souveränen“ Kontrolle entzogen.

So ist ja nicht nur das Wirtschaftssystem längst vernetzt. Auch die Flüchtlingsfrage hat uns die grenzüberschreitenden Zusammenhänge und Herausforderungen klar vor Augen geführt, auch wenn viele, leider auch in der Sozialdemokratie das Heil in nationalen Alleingängen suchen.

Allerdings bedeutet das nicht, dass die lokalen Verhältnisse vernachlässigt werden können. Es geht darum, „aus der Spannung, in die der Sozialismus damit zwischen dem Zwang zur internationalen Vernetzung und dem Erfordernis einer Verankerung in lokalen Traditionen versetzt ist“ eine tragfähige Strategie zu entwickeln.

Gerade die Flüchtlingsfrage wäre eine solche Gelegenheit (gewesen?) die lokale Solidaritätsbereitschaft vieler Menschen aufzugreifen und gleichzeitig eine europäische Solidarität – ohne gleich mit Sanktionen zu drohen – einzufordern.

Auch die sozialen Dienste von der Gesundheitsversorgung bis zur Zurverfügungstellung von erschwinglichem, und damit sozialem Wohnraum ist eine Gelegenheit praktische Solidarität dem profitorientiertem Marktliberalismus gegenüberzustellen.

Ich bin Axel Honneth sehr dankbar, dass er in Interviews gerade auch auf den Wiener Sozialen (und Kommunalen) Wohnbau hinweist. Das ist ein Beispiel für den sinnvollen Widerstand, der auch die Erinnerung daran, was Sozialismus bedeuten könnte wach hält.

Und gerade in Zeiten starken Bevölkerungswachstums – auch durch die Zuwanderung ärmerer Schichten, ist der soziale Wohnbau unverzichtbar.

Und darüberhinaus wäre es geboten für die jetzigen und zukünftigen globalen Herausforderungen (globale Armut, Klimawandel, damit zusammenhängende Migrationsbewegungen etc.) solidarische Konzepte der Bewältigung zu entwickeln, die die nationalen, europäischen und globalen Interessen zusammen führt. Das ginge sicherlich nicht ohne Konflikte. Aber ohne Konflikte kommen wir dem Sozialismus ohnedies nicht näher.

Und so meint auch Axel Honneth in seinem Werk zur „Freiheit“: „Und wenig mehr als Hoffnung, dass sich auf dem Boden eines derartigen Geschichtsbewusstsein eine europäische Kultur geteilter Aufmerksamkeit und erweiterter Solidarität entwickeln könnte, bleibt nicht in Zeiten, in denen die Verteidigung bereits errungener und die Erkämpfung noch unerfüllter Freiheitsansprüche nichts stärker benötigen würde als eine transnationale, engagierte Öffentlichkeit.“

Ich meine, trotz des momentan erstarkten Nationalismus und der propagierten Horizontverengung dürfen wir die Suche nach einer „transnationalen“, engagierten Öffentlichkeit nicht aufgeben.

Es stimmt mich besonders traurig, dass die europäische Sozialdemokratie – zu der ja auch die österreichische gehört – heute weniger denn je genau das versucht, nämlich eine grenz- ja kontinent- überschreitende Solidarität anzusprechen und zu fördern. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt und jenseits aller Detailargumente für die Idee des Sozialismus gibt uns Axel Honneth vor allem Hoffnung und dafür wollen wir ihm herzlich danken. Wir brauchen sie sehr dringend.