China denkt historisch und langfristig in die Zukunft

Referat vor der Austrian Chinese Business Association/10.9.2018

China ist ein Reich mit einer langen Geschichte der Machtabsicherung der herrschenden Schichten – ob Kaiser, Bürokratie oder kommunistische Machthaber. Es gilt ein großes Reich zusammenzuhalten und zu versorgen und es gilt Gefahren und Feinde abzuwehren. Dabei geht es auch um einen steigenden Konsum für größere Bevölkerungsanteile und erhöhte soziale Sicherheit. Auch der Rest der Welt muss an einem langfristig stabilen – und auch demokratischen – China ein Interesse haben.

Heute betrachtet sich China wieder als Reich der Mitte mit seiner geographischen Lokalisierung im Pazifik aber mit starken Fühlern bzw. Verbindungen über Zentralasien, Russland und Europa zum Atlantik und über Südasien und den Indischen Ozean nach Afrika und von dort auch zum Atlantik. Hinzu kommen auch neue Verbindungen zu Lateinamerika. China kommt daher immer stärker in Berührung mit den anderen Regionen der Welt.

Das verursacht verstärkten Wettbewerb und birgt auch Konflikte in sich. Und man muss sich im Klaren sein, die neuen Verbindungen von und nach China sind ein Instrument der Beeinflussung der globalen wirtschaftliche und politischen Entwicklungen. Kein Land und keine Region machen das heute so geschickt und geplant wie China unter Xi Jinping.

Wettbewerb im pazifischen Raum

Ausgangspunkt dieses geopolitischen Strebens ist der pazifische Raum und daher besteht primär und unmittelbar ein Konfliktpotential mit der anderen großen Macht im pazifischen Raum, den USA. Für die USA gab es immer schon zwei entscheidende geographische Räume, den atlantischen und den pazifischen. Der letztere war – vor allem im Zweiten Weltkrieg – durch Japan dominiert, wurde aber schon bald durch China ersetzt – nicht zuletzt im Korea Krieg. Und schon unter Präsident Clinton und dann erst recht unter Obama mit Außenministerin Hilary Clinton wurde auch offiziell der „Pivot to Asia“ also die strategische Neuorientierung Richtung Asien eingeleitet. Man darf jedenfalls diesen geostrategischen Hintergrund der derzeitigen Auseinandersetzungen zwischen den USA und China nicht vergessen.

Vergessen darf man auch nicht die beiden zentralen „pazifischen“ Kriege, den Korea Krieg und den Vietnam Krieg. Das waren auch Kriege, die China in den Schranken halten sollten und die Dominanz der USA in diesem Raum sicherstellen sollten.

Made in China 2025

Damit eng ist allerdings auch der wirtschaftliche Wettbewerb zwischen diesen beiden Mächten verbunden. China braucht für seine wirtschaftliche Entwicklung viele Technologien, die es nicht selbst entwickeln konnte. Von den USA waren und sind es vor allem Halbleiter, Halbleiterinstrumente und Raumfahrttechnologien. Es hat auch auf andere Technologien zurückgegriffen – legal und illegal – aber die kann China inzwischen auch aus Europa, Japan, Süd Korea und Taiwan erhalten. Der Erwerb von fortgeschrittenen Technologien – entweder direkt oder mittels des Erwerbs von entsprechenden Unternehmungen sollte den Weg zur technologischen Unabhängigkeit und Selbstständigkeit ebnen. Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping hat das bei der Vorstellung seines Programms „Made in China 2025“ klar gemacht.

Jedenfalls ist China dazu übergegangen durch den Einkauf in amerikanische Unternehmungen einen direkten Zugang zu Know-how und Technologien zu bekommen. Dabei ist in China schwer zu unterscheiden, ob dies durch rein private Unternehmungen geschieht oder durch stark staatlich – vor allem auch durchs Militär – beeinflusste Konglomerate erfolgt. Aber die USA haben politisch reagiert. Durch den „Foreign Investment Risk Review Modernization Act“ können verstärkt Einkäufe in bzw. Übernahmen von Unternehmen mit „kritischen Technologien“ verhindert werden.

Die USA und insbesondere Präsident Trump sehen sich damit mehrfachen Herausforderungen gegenüber. Neben den geopolitischen sind es die wirtschaftlichen, durch billige Importe aus China und die Verlagerung von Produktionen nach China. Die beabsichtigte – teilweise oder vollständige – Übernahme von US amerikanischen Unternehmungen, vor allem von solchen mit kritischen Technologien, haben den Abwehrwillen der Amerikaner noch verstärkt. Dabei haben die auftrumpfenden Worte der chinesischen Führer im Zusammenhang mit der Vorstellung des Programms „Made in China 2025“ die Ängste in den USA von einem Verlust der amerikanischen Führungsrolle noch verstärkt.

Was Präsident Trump in seinen naiven Vorstellungen über die Wirkung von Zöllen allerdings übersieht, ist die enge Verflechtung der amerikanischen und chinesischen Wirtschaft. Manche sprechen sogar – übertrieben – von Chinamerica. Hinzu kommt, dass viele Vorprodukte für chinesische Exporte aus anderen Ländern wie Korea, Japan etc. kommen. Außerdem werden viele Unternehmungen, die durch Zölle bedingten Kosten in Form von Preiserhöhung an die KonsumentInnen weiterleiten.

Weltweite Strategie der Vernetzung

Neben der geopolitischen Absicherung im pazifischen Raum selbst – siehe die Auseinandersetzungen im „südchinesischen“ Meer mit Chinas Nachbarn – und dem technologischen Wettbewerb hat China eine klare Strategie hinsichtlich des langfristigen Erwerbs von Ressourcen für die Produktion in China und den Zugang zu den Märkten für chinesische Produktionen. Wie schon erwähnt, China hat ein großes weltumspannendes Netz an Routen zu Lande und zu See entworfen. Da ist dann auch die Nordpassage bei fortschreitender Erwärmung des nördlichen Eismeers mit eingeplant. Aber zentral sind Routen zu wichtigen Ressourcen für Chinas Wirtschaft.

Afrikas Rolle für China

China betreibt eine klare Politik der Ressourcen-Absicherung. Das gilt insbesondere für solche, die nicht in China selbst vorhanden sind. Vorragend geht es um Rohstoffe für die Herstellung von Batterien, vor allem auch für die Elektrofahrzeuge. Ein typisches Beispiel ist die Gewinnung von Kobalt im Kongo, dem größten „Produzenten“ dieses, für die Elektromobilität (Batterien) entscheidenden, Rohstoffs.

Wenngleich das chinesische Investment in Afrika quantitativ nicht dasjenige der EU erreicht, ist es geschickt angelegt und konzentriert sich auf wichtige Ressourcen und Marktzugänge. China stellt vor allem keine Bedingungen ob hinsichtlich Menschenrechte oder Nachhaltigkeit. Und das wird von vielen führenden PolitikerInnen in Afrika geschätzt. Ebenso ist der Ausbau der Infrastruktur – Straßen, Eisenbahn, Energieversorgung – ein großer Beitrag für die afrikanische Entwicklung. Durch diese Investitionen in die afrikanischen Grundstoffreserven und in die für die Ausbeutung und den Transport notwendige Infrastruktur ergänzt China seine ausgedehnt vorhandenen eigenen Reserven an seltenen Erden.

Die vermehrten Kredite an verschiedene afrikanische Länder sind eng mit einer steigenden Verschuldung verbunden. So stieg die Verschuldung von Afrika südlich der Sahara von 2013 bis 2017 von 36% auf 53% – mit einem steigenden Anteil von Schulden bei China.

Neue Seidenstraße

Damit sind wir bei der stark publizierten und diskutierten Strategie „Neue Seidenstrasse“ bzw. „One Belt, One Road“ Initiative. Diese Initiative umfasst derzeit 65 Länder und 62% der Weltbevölkerung mit 31% des globalen Sozialprodukts. Hinzu kommen verstärkte Bemühungen auch lateinamerikanische Länder in die „Neue Seidenstraße“ miteinzubeziehen. Diese Strategie soll die notwendigen Ressourcen und Güter schnell und vor allem sicher nach China und ebenso die chinesischen Exporte zu den Märkten bringen. Dazu braucht es vor allem eine Vielzahl von Transitländern und deren Zustimmung bzw. Investitionen. Die sind jedoch nicht mit Reichtum gesegnet.

Daher versucht China sie mit günstigen Finanzierungen zu Investitionen zu bewegen. In manchen Fällen übersteigt das aber die Rückzahlungskapazität der betroffenen Länder. Der prominenteste Fall ist Sri Lanka, das das Eigentum am Hafen an China abtreten musste. Auch der neue malaysische Präsident hat in Beijing klar gemacht, dass er die, von der Vorgängerregierung ausgehandelten Bedingungen, nicht einhalten kann.

In so unterschiedlichen Ländern wie Djibouti, Tajikistan, Laos, Mongolei, Kyrgystan, Malediven und Pakistan aber inzwischen auch Montenegro sind durch das chinesische Engagement die Schulden stark angewachsen. Diese Entwicklung kann auch auf mehrere europäische Staaten zukommen. Vor allem diejenigen die in der 16 + 1 Initiative „zusammen“geschlossen sind.

Das entscheidende Problem mit der „One Belt, One Road“ Initiative ist die unilaterale, auf die Interessen Chinas zugeschnittene, Konstruktion. Selbstverständlich kann China niemandem die Teilnahme an seinen Programmen aufzwingen. Aber angesichts der politischen und wirtschaftlichen Stärke Chinas und der augenscheinlich günstigen Kreditbedingungen sind die um vieles kleineren „Partner“ überfordert, China etwas entgegen zu halten.

Es würde sowohl von afrikanischer als auch von europäischer Seite eine Strategie erforderlich sein, die die von China angebotenen Projekte und Bedingungen überprüft und in eine gesamtafrikanische bzw. gesamteuropäische Strategie einbindet. Nur daraus könnten multilaterale Entwicklungsstrategien entstehen. Das wären dann Globalisierungskonzepte, die eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen. Dabei müssten verstärkt auch Umweltüberlegungen mit einfließen, die derzeit kaum berücksichtigt werden.

Europas notwendige Antwort

Genau hier müssten auch die europäischen Antworten an Chinas Vorstellungen und Vorhaben setzen. China hat selbstverständlich das Recht auf eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung und auf politische Stabilität und Sicherheit. Europa steht ähnlich wie die USA vor den Herausforderungen der chinesischen Interessen und Strategien. Leider ist aber mit den USA – vor allem unter Präsident Trump – keine gemeinsame Gegenstrategie möglich. Selbst innerhalb der EU sind sich die Mitgliedsländer nicht einig. Deshalb haben einige Länder wie Deutschland eigene Gesetze erlassen, um mögliche Übernahmen von kritischen Technologien bzw. derartigen Unternehmungen zu unterbinden.

Ein weiteres Problem stellen die ungleichen Verhältnisse und Bedingungen bei öffentlichen Ausschreibungen dar. Darauf haben unlängst Unternehmungen aus der europäischen Bahnbranche, vor allem Siemens und Alstom, verwiesen. Während die EU öffentliche Subventionen an private Unternehmungen nur in speziellen Einzelfällen zulässt und Unternehmensfusionen kritisch unter die Lupe nimmt, geht China einen anderen Weg. Privat und öffentlich sind dort vielmehr vermengt. Darüberhinaus sind die Bedingungen einer Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen für ausländische Unternehmen viel restriktiver gefasst als in Europa. Das gilt allerdings auch für die USA infolge des „Buy American Acts“

Protektionismus und Globalisierung

Die Globalisierung ist vielerorts in Verruf geraten. Zweifelsohne hat sie als ungelenkte und rein auf Profit ausgerichtete „Harmonisierung“ der wirtschaftlichen und kulturellen Lebensbedingungen viel Schaden angerichtet und Misstrauen geweckt. Sie hat aber auch viele Menschen von der Armut befreit und Ihnen neue Chancen geboten. Dabei erleben diejenigen, die bisher eine langfristig positive Entwicklung durchgemacht haben jetzt gewisse „Rückschläge“. Die neu auf den Märkten aufgetretenen Arbeitskräfte stellen eine Konkurrenz dar und sind als Konsumenten noch nicht genügend kaufkräftig, um einen wirtschaftlichen Ausgleich zu bewirken. Vor allem wenn wie in China der Schwerpunkt beim Ausbau der Infrastruktur und moderner Produktionskapazitäten liegt und erst langsam die Kaufkraft gesteigert werden soll.

Die Versuchung ist groß, seitens der bisher im wirtschaftlichen Vorsprung befindlichen Länder mit Protektionismus zu antworten. Und es besteht auch eine gewisse Rechtfertigung für Maßnahmen im Interesse der Sicherheit und der „Eigenständigkeit“ der – europäischen – Industrie und seiner Spitzentechnologien. Vor allem kann angesichts des inzwischen schon errungenen Entwicklungsstandes in China das Prinzip der Reziprozität eingefordert werden.

Niemand – auch nicht China sollte sich nur die Vorteile der Globalisierung und der Marktöffnung aussuchen können. Es braucht eine multilaterale Ausgestaltung der Globalisierung, die auch ökologische und regionale Interessen berücksichtigt. Das ist ja der eigentliche Zweck der EU in der heutigen Welt. Aber dazu braucht es eine intensive Debatte innerhalb der EU, gerade auch, um möglichst einheitliche Positionen nach Außen hin mit den Vertretern der USA, Chinas aber auch Russlands zu finden.

In diesem Zusammenhang ist Russland nicht unbedeutend. Jedenfalls sollte die EU nicht Russland in ein Bündnis mit China drängen – ungeachtet der großen politischen Differenzen mit Russland unter Präsident Putin. Auch eine stärkere Zusammenarbeit mit der Eurasischen Wirtschaftsunion wäre angebracht. Aber Europa braucht einen Schuss Realpolitik um seine Interessen zu vertreten.

Notwendig sind daher:

Eine klare Strategie für den Ausbau der europäischen Infrastruktur, um dann zu einer Koordination mit den chinesischen Vorstellungen zu kommen. Siehe dazu auch die jüngste Studie des WIIW mit dem Titel „A European Silk Road“ (August 2018).

Das Prinzip der Reziprozität sollte verstärkt für die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen und für den Eintritt in die Übernahme von Firmen gelten. Dasselbe gilt für öffentliche Subventionen direkter oder indirekter Art.

Von großem Vorteil wäre auch eine Koordinierung der umweltpolitischen Vorstellungen und Vorschriften. Das Prinzip der Nachhaltigkeit sollte die ganze Produktionskette betreffen. (So ist die Elektromobilität nicht so sauber wie oft behauptet.) Wo die ökologischen Ziele/Regeln eindeutig nicht eingehalten werden, sollten auch Zölle an den Außengrenzen der EU in Betracht gezogen werden. Vorübergehende Unterstützungen bei der Erreichung ökologischer Ziele sollten durchaus gegeben werden.

Auch was die Ausbeutung der Ressourcen, insbesondere in Afrika, betrifft, sollten von allen Beteiligten die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Konsequenzen berücksichtigt und in Rechnung gestellt werden.

Abschluss

China und seine Unternehmungen stehen in Konkurrenz zum europäischen politischen und wirtschaftlichen System. Diese Konkurrenz muss Europa ernst nehmen und drauf reagieren. Nicht mit Feindschaft aber mit klaren Vorstellungen und Vorschlägen, wo ein ehrlicher Wettbewerb angebracht ist und wo Felder der verstärkten Kooperation sinnvoll sind. In manchen Bereichen könnte es sogar zu strategischen Partnerschaften kommen. Aber das kann nicht gehen ohne klare Voraussetzungen der EU und mit verstärktem Prinzip der Gegenseitigkeit.