China und die Freiheit der Kunst

Holger Gräbner / pixelio.de

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Zu den europäischen Grundauffassungen gehören die Freiheit der Kunst und damit der KünstlerInnen und natürlich auch die Wahrung der Menschenrechte schlechthin. Und dazu gehört auch das Engagement für eben diese Rechte in anderen Nationen. Denn wir sehen darin universelle Rechte. Mit dem großen Land China mit seiner langen Tradition und seiner heutigen politischen und wirtschaftlichen Stärke haben wir es aber nicht so leicht. Da gibt es viele unterschiedliche Ratschläge. Dabei möchte ich die extremen Empfehlungen, nämlich die nach einem Abbruch der Beziehungen und die nach einem Tolerieren und Akzeptieren der autonomen Entscheidungen der chinesischen Behörden als für mich inakzeptabel ausscheiden.

Im Zusammenhang mit der Verhaftung von AI Weiwei einerseits und der kürzlich eröffneten Ausstellung deutscher Museen zum Thema Aufklärung in Peking andererseits meinte der belgische Maler Luc Tymans, auf dessen Retrospektive in Brüssel ich bereits hingewiesen habe: „In China wird alles kaputtgemacht, um reine ungefährliche Repräsentationsausstellungen zu schaffen. In diesem Zusammenhang muss man auch die umstrittene Ausstellung ‚Kunst der Aufklärung‘ aus Deutschland sehen. Die Idee ist gut, aber wir Europäer sind oft zu schlapp, zu schwach, wir glauben, dass die Chinesen Stoiker sind, doch ihre Wirklichkeit ist hart und brutal.“

Sind wir zu schwach und zu schlapp gegenüber China? Die Sinologen haben hier unterschiedliche Auffassungen. Herwig Schmidt-Glintzer meinte dieser Tage in der FAZ: „Wenn es derzeit Tag für Tag nicht nur Dutzende von Unruhen und Aufständen in China gibt und deswegen Partei und Regierung in den letzten Wochen gehäuft Regimekritiker festnehmen oder auf verschieden Weise drangsalieren und ihrer Freiheit berauben, zeigt dies, in welcher Unsicherheit sich die Partei befindet.“
China bzw. die KP Chinas versucht dies mit dem Programm einer „Harmonischen Gesellschaft“. Und kürzlich verbreitete das chinesische Erziehungsministerium einen Kalender mit dem Titel „China im Glück“. Jeweils für zwei Monate werden die Begriffe Gesundheit, Wohlstand, Sicherheit, Freundlichkeit, Zufriedenheit und Harmonie als Ziele definiert.

Aber all diese Versuche, das Glück und die Harmonie zu verordnen, scheitern an den vielen Protesten in der Bevölkerung. Und VertreterInnen der Menschenrechte und einer freien Kunst müssen dafür büßen. Solange das Wirtschaftswachstum derart stark ausfällt wie trotz der globalen Krise kann diese Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit vielleicht noch überwunden werden. Jedenfalls zeigt China diese Stärke nicht nur nach Innen, sondern auch nach Außen, aber auf der anderen Seite sind Europa und die USA derzeit auf Grund der Wirtschaftskrise und der Krise im arabischen Raum geschwächt. Trotz alldem soll Europa zu den Entwicklungen in China nicht schweigen. Aber unsere Stellungnahmen sollten nicht von Überheblichkeit und Arroganz getragen sein. Auch unsere Gesellschaften sind nicht fehlerfrei. Nicht nur hat der Prozess der Aufklärung auch in Europa lange gedauert, sondern auch heute gibt es viele Mängel, die wir auch im Dialog mit China nicht verschweigen sollen. Und in diesem Dialog geht es natürlich auch um die Freiheit für Ai Weiwei!

Und es geht ganz generell auch um unsere Auseinandersetzung mit den „außereuropäischen“ Kulturen. Aber allein dieser Ausdruck ist eigenartig, bedeutet er doch, dass es nur zwei Kulturen gibt: die europäische und die außereuropäische. Damit wird die Vielfältigkeit der Kulturen außerhalb unseres Kontinents geleugnet. Ein Vorhaben, diese Vielfältigkeit zu zeigen, ist das Humboldt Forum in Berlin. Ich war der Vorsitzende der Jury Berlin-Mitte, die nach langen Beratungen schon vor einigen Jahren den Vorschlag für ein derartiges Forum gemacht hatte. Dabei ging es um den Inhalt für das wieder zu errichtende Schloss in der Mitte Berlins. Schon damals habe ich klar festgestellt, dass der Inhalt wichtiger als die äußere Hülle ist. Und Berlin hat bereits eine Fülle von Kunstwerken aus den verschiedenen Regionen der Welt.
Selbstverständlich müssten in einem solchen Forum aber auch moderne Kunst präsentiert und ein intensiver Dialog zwischen den Kulturen geführt werden. Je mehr wir uns mit den vielfältigen anderen Kulturen der Welt ernsthaft und im Dialog auseinandersetzen, desto mehr können wir auch glaubhaft die Behinderungen der Kulturen in anderen Ländern kritisieren und uns so einmischen.

Noch gibt es das Humboldt-Forum allerdings nicht, denn in einer Wirtschaftskrise ist es nicht leicht, das dafür notwendige Geld aufzubringen. Kia Vahland hat allerdings in einem Kommentar zu einem solchen Forum in der Süddeutschen Zeitung mit Recht festgehalten: „Wenn es (aber) gelingen sollte, hätte Europa in seinem Zentrum einen Symbolbau der diskursiven Gesellschaft, der tatsächlich für eine neue Aufklärung stünde. Chinas Nationalismus sähe in dem Vergleich sehr alt aus.“
Dieses Gebot, für eine neue Aufklärung zu sorgen, gilt natürlich nicht nur für Berlin, sondern für ganz Europa. Und nur mit einer solchen Aufklärung und einem von uns offen geführten Dialog der Kulturen wird Europa jung aussehen und auch so agieren können.