Das vielfach gespaltene Europa

Was wenn Europa scheitert? So heißt ein Essay des bekannten niederländischen Autors Geert Mak. Besteht dafür eine reale Gefahr? Nun, es mehren sich jedenfalls die Zeichen der Spaltung noch bevor wir uns richtig geeint haben und das ist gefährlich.

Eine Spaltung, die immer wieder zum Vorschein kommt, ist die zwischen Nord und Süd. Bei meinen jüngsten Besuchen in Zypern und Griechenland konnte ich dies genauso erleben, wie bei Besuchen und Gesprächen in Österreich, Deutschland und noch weiter nördlich bzw. weiter nordwestlich.

Der „Süden“ fordert Solidarität, überlegt aber zu wenig, welche Initiativen seitens der südlichen Länder selbst ergriffen werden sollten. Und der „Norden“ wieder verlangt Reformen, leider manchmal extrem unsoziale und wenig hilfreiche, und versucht die Solidarität klein zu halten.

Aber die EU kann nur bestehen und sich entwickeln, wenn beides funktioniert: Reformen und Solidarität. Wenn die Menschen des Nordens empfinden, der Süden ist ein „unreformierbares“ Fass ohne Boden wird die Solidarität bald aufhören. Und wenn der Norden vom Süden immer nur Vorurteile ins Gesicht geschleudert bekommt und von Seiten des Nordens der Abbau der ohnedies schwachen sozialstaatlichen Strukturen eingefordert und als Reform verkauft wird, dann werden die wichtigen Reformen zum Aufbau eines funktionsfähigen Staates nicht erfolgen. Aber ohne funktionsfähiger öffentlicher Verwaltung fließen keine bzw. zu wenig Steuern und kommen keine Investoren ins Land.

Europa als gemeinsamer Markt

Aber es gibt noch eine zweite, fatale Spaltung in Europa. David Cameron, der britische Premierminister hat dies in seiner oft verschobenen Rede deutlich gemacht. Für ihn sind die Herausforderer „nicht innerhalb unseres Kontinents zu suchen, sie kommen aus dem wirtschaftlich erstarkten Osten und Süden.“ Die EU ist für ihn bloß ein Mittel zum Zweck, und der ist der gemeinsame Markt: “ Die Vervollständigung des einheitlichen Markts muss unsere Mission sein.“ Und weiteres heißt es in seiner Rede: „Wettbewerbsfähigkeit bedarf der Flexibilität, der Wahlfreiheit und der Offenheit.“ Allerdings bleibt er eine Erklärung, was das konkret heißen soll, schuldig.

Im weiteren Verlauf seiner Rede wird der anti-europäische und nationalistische Ansatz deutlich, nämlich dann wenn er die Demokratie nur auf die nationalen Parlamente bezieht. Und natürlich kommt für ihn ein -auch späterer Beitritt zum Euro- nicht in Frage. Für den Leitartikelverfasser in der Süddeutschen Zeitung geht es dabei um ein Duell Cameron gegen Merkollande. Nun ich glaube nicht, dass Merkollande die Alternative zu Cameron darstellt, schon gar nicht Merkel. Bisher allerdings auch nicht Hollande im ausreichenden Maße.

Eine Alternative zum Europa als großer gemeinsamer Markt versuchten einige Intellektuelle wie György Konrad und Umberto Eco zu entwerfen, die unter dem Titel: „Für Europa besteht die Zukunft entweder in der politischen Union oder in der Barbarei“ einen Beitrag in Le Monde veröffentlichten. Mit Recht verweisen sie auf die politischen Verwerfungen die vom Italien Silvio Berlusconis bis zum Ungarn eines Victor Orban wieder auftauchen. Populismus, Chauvinismus, Diskriminierung und Hass machen sich wieder breit in Europa. Und sie verweisen auf die bedeutende Rolle des Euro für das Projekt der politischen Union.

Und auch der oben zitierte Geert Mak meinte in seinem Essay „Was, wenn Europa scheitert“, dass die „nationalen Traditionen, Interessen und Erzählungen über Gut und Böse überaus zäh“ sind und „die Versuchung, in Begriffen wie <Schuld> und <Strafe> verstrickt zu bleiben, außergewöhnlich groß“ ist. Und verschlimmert wird die Situation in Europa auch noch dadurch, dass durch die Politik a la Merkel der „Nationalstaat“ durch den „Marktstaat“ ersetzt wird und es nur mehr um „sparen, kürzen, bestrafen“ geht.

Ingeborg Bachmanns Vision

Zufällig bin ich dieser Tage beim Stöbern in einer Buchhandlung auf Aufsätze der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann gestoßen. In einem Beitrag aus dem Jahre 1964 setzte sie sich mit der begonnen europäischen Integration auseinander. Sie meinte, „da der gemeinsame Markt, der Supermarkt Europa, gerade geboren wird und die europäische Butter, die europäischen Fahrräder und das gesamteuropäische Kinderspielzeug in greifbarer Nähe gerückt sind, müssten wir da noch einen Supermarkt des Geistes dazu gründen“.

Und Ingeborg Bachmann erinnert daran, dass die europäische kulturelle Elite, die miteinander über Grenzen hinweg in Austausch stand, zweimal „von Leuten, die weniger Geschmack hatten und die in derselben Zeit wieder das Pulver erfanden und ihre Europäer kurzerhand wieder in ihre Provinzen einsperrten oder sie exilierten oder ermordeten und deren sicheren Geschmack und deren kosmopolitischen Schwärmereien den Garaus machten“ zurückgeworfen wurde. Europa darf nicht nur den Markt in den Mittelpunkt stellen und „als eine Mischung aus Brachland und Ackerland und als industrielle Potenz, die es möglichst ökonomisch und rücksichtslos auszuwerten gilt“ bestehen.

Schon bei Ingeborg Bachmann im Jahre 1964 findet sich also das Gegenstück zu Cameron´s „Vision“ eines Europas als vollendeter Markt. Bachmann hat Recht – genauso wie Konrad und Eco: Europa ist immer wieder in Gefahr in alte Barbareien zurückzufallen. Mag uns das auch heute als übertrieben erscheinen, Nationalismus, Fremdenhass und Engstirnigkeit sind wieder stärker zu Vorschein gekommen. Und das sind die Fundamente der vergangenen Kriege gewesen. Und wenn ich auch heute keine unmittelbare Kriegsgefahr sehe, so will ich in keinem Europa leben, wo diese Entwicklungen immer stärker Platz greifen und unwidersprochen bleiben und man sich nur auf Wettbewerbsfähigkeit und den gemeinsamen Markt konzentriert. Ohne Zweifel müssen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, aber Europa ist mehr und braucht auch einen „Supermarkt des Geistes“ um jegliche Barbarei abzuwehren.