Deklaration von Marrakech

Am Ende einer Woche mit verschiedenen Sitzungen und Veranstaltungen in Spanien ging es nach Marrakech zu einem Event, das wir gemeinsam mit den marokkanischen Sozialisten veranstaltet haben. Teilgenommen haben aber auch SozialistInnen aus Ägypten, Tunesien, Algerien und Mauretanien. Das Thema war natürlich die Zukunft des Verhältnisses zwischen Europa und dem Maghreb, also der beiden Seiten des Mittelmeers. Unmittelbar davor hatten wir eine Diskussion zu diesem Thema in der Alhambra von Granada in Andalusien.

Es ist offensichtlich, dass, wenn man eine Fraktionstagung der S&D Fraktion in Andalusien, konkret in Málaga abhält, das Thema des Mittelmeerraums eine große Rolle spielt. Durch viele Jahrhunderte – mit Unterbrechungen – waren die beiden Ufer eng miteinander verbunden. In griechischer, aber vor allem in römischer Zeit, während der islamischen Expansion (davon ist z.B. die Alhambra ein Zeugnis), in Zeiten des Osmanischen Reiches und während der europäischen Kolonialisierung gab es diese engen Verknüpfungen. Die kolonialisierten Bevölkerungen hatten allerdings nicht viel zu reden und waren mehr Opfer als Akteure der Entwicklung.

Erst mit der Entkolonialisierung kam es zu einer nationalen bzw. panarabischen Selbstbestimmung. Aber diese Selbstbestimmung betraf nicht immer die Bevölkerung bzw. die Einzelnen. Neue Machthaber etablierten sich zum Teil innerhalb von Einparteiensystemen. Eine nationalistische und oftmals antiislamische Ideologie wurde benützt um die Freiheit der BürgerInnen zu beschränken. Die Formen der Unterdrückung waren unterschiedlich und auch unterschiedlich brutal, aber keiner Bevölkerung blieben grobe Verletzungen der Menschenrechte erspart.

Sicher hat der Arabische Frühling (oder besser haben die verschiedenen Frühlinge) die Situation geändert, allerdings ist nirgends ein klarer Weg in Richtung Demokratie sowie wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt erkennbar. In Ägypten hat das Militär wieder die Macht übernommen. Zwar dürften weite Teile der Bevölkerung damit einverstanden sein, da sie das Chaos unter der Herrschaft der Muslimbrüder nicht mehr erdulden wollten. Aber eine neue lange Periode der Militärherrschaft kann sicher nicht als Fortschritt gegenüber dem Regime Mubarak gedeutet werden. In Tunesien ist die erste Regierung auch gescheitert und man wartet auf eine nächste Übergangsregierung. In Libyen herrscht ein ziemlich großes Chaos und niemand weiß wie es weitergeht. In Algerien weiß man auch nicht wie es weitergeht, aber hier, weil alle wie gebannt auf den Präsidenten Bouteflika und seine Gesundheit schauen. Hier gibt es kein Chaos aber dafür Stagnation und Blockade. (inzwischen wurde Präsident Bouteflika erneut für die Präsidentschaft nominiert).

Am ehesten hat der Arabische Frühling noch in Marokko eine positive Wirkung gehabt. Der König hat die Chance ergriffen und einige Reformen in Gang gesetzt. Es ist allerdings fraglich ob die von den „Islamisten“ geführte Regierung viel daraus machen kann. Der Regierungschef und seine Minister haben wenig politische Erfahrung und bisher auch keine großen Leistungen vorzuweisen.

Diese unterschiedlichen Entwicklungen mit kaum durchschlagenden und erfolgreichen Reformen macht die Zusammenarbeit mit der EU nicht leichter. Dabei haben wir unsere eigenen Probleme zu lösen. Aber einen Teil unserer Probleme können wir nur durch enge Zusammenarbeit mit unseren südlichen Nachbar lösen. Und umgekehrt gilt das auch für sie. Die Bekämpfung des Terrorismus und des militärischen Djihads sowie des Drogenhandels und des Menschenhandels durch Schlepperbanden ist nur in enger Kooperation zwischen der EU und den Staaten des Maghreb möglich.

Die wirtschaftliche Entwicklung des Maghrebs und seiner südlichen Anrainer ist dabei eine wichtige Voraussetzung für die Bekämpfung dieser illegalen Tätigkeiten. Daher sind auch die Abkommen über die Fischerei sowie über den Export landwirtschaftlicher Produkte sehr wichtig. Aber natürlich geht es auch um weitere Vereinbarungen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Nicht immer gehen diese Abkommen leicht durch das europäische Parlament. Denn die von Marokko durchgeführte und vehement verteidigte Besetzung der Westsahara ist vielen ein Dorn im Auge. Nun auch ich glaube, dass diese Besetzung nicht rechtmäßig ist. Allerdings sehe ich nur in einer weitgehenden und auch international garantierten Autonomie eine Chance diesen Konflikt zu lösen. Leider ist diese Lösung noch immer für viele ein No-Go. Und keine der beiden Seiten, wobei die Befreiungsfront Polisario vom Nachbarn Algerien unterstützt wird, ist wirklich bereit an einer konkreten Lösung zu arbeiten. Und deshalb bleibt die ursprünglich anvisierte Maghrebinische Union zwischen Algerien und Marokko (und Mauretanien) ein Luftprojekt.

Die Appelle an die EU, die Länder des Maghreb stärker zu unterstützen, sind zahlreich. Aber leider stehen sich die Länder selbst oftmals im Weg. Und dennoch liegt es im ureigenen Interesse der EU diese Zusammenarbeit auszubauen. Das ist auch der Sinn der Erklärung von Marrakech, die in englischer Fassung im Anhang zu lesen ist.