Der arabische Frühling

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Kairo

Manche fragen sich, ob die Entwicklungen in der arabischen Welt mehr mit dem Wunsch nach Demokratie zu tun haben oder in der sozialen Situation dieser Länder begründet sind. Und wie ist nun die Entwicklung in Richtung Demokratie zu organisieren? Eine andere Frage wiederum stellt sich im Zusammenhang mit den befürchteten Flüchtlingsströmen in Richtung Europa. Wird dies mehr polizeistaatliche Maßnahmen zum Schaden unserer (!) Demokratie bringen?

Man muss kein Marxist sein, um einen starken Zusammenhang zwischen der sozialen Lage und politischen, vor allem demokratiepolitischen Bewegungen herzustellen. Länder wie Ägypten und Tunesien haben in den letzten Jahren, rein wirtschaftlich gesehen, einige Fortschritte gemacht und von internationalen Organisationen wie dem Währungsfonds positive Beurteilungen bekommen. Aber sie verzeichneten auch eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. In Ägypten etwa sprach man offiziell von 25%. Aber tatsächlich dürfte die Rate eher bei einem Drittel gelegen sein. Groteskerweise stieg die Wahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit mit dem Grad der Ausbildung. Da die Jugendlichen immer besser ausgebildet wurden, wurde das Problem nicht geringer wie bei uns in Europa, sondern verschärfte sich.

Die Revolten

In einer solchen Situation richtet sich die Kritik natürlich an die Regierenden. Und wenn diese noch dazu mit polizeistaatlichen Maßnahmen und mit Willkür gegen die Kritiker vorgehen, dann muss das die Unzufriedenheit erhöhen. Langfristig nützt dann der offizielle Hinweis auf den notwendigen Kampf gegen den Islamismus und den Terrorismus nichts. Die Drohungen mit den Islamisten verlieren an Glaubwürdigkeit. Und so kommt es zu den bekannten Revolten, unterstützt von den modernen Kommunikationsmitteln und -formen: Internet, Handys, Facebook und Twitter. Aber auch panarabische Fernsehsender wie Al Jazeera haben ihren Beitrag dazu geleistet. Damit wurden die Gesellschaften gegen den Willen der Herrschenden immer offener und bereiter für demokratische Veränderungen.

Was nun?

Noch ist der arabische Frühling nicht zu Ende – weder in Ägypten und Tunesien selbst noch in anderen Ländern, in denen die Revolten noch nicht im Sturz der herrschenden Personen und Schichten geendet haben. Bis es zu den Revolten kam, hat es lange gedauert, plötzlich ging es dann zum Teil sehr schnell. Aber was nun? Wie kommen wir in Ländern ohne Parteienstrukturen und anderen Elementen einer funktionierenden Demokratie zu einer demokratischen Entwicklung? Und wie kommen wir angesichts der globalen Wirtschaftskrise zu einer positiven Wirtschafts- und Sozialentwicklung?

Rasche Hilfe

Manche meinen ja, islamische Staaten seien nicht wirklich zur Demokratie und zu einer anhaltenden Wirtschaftsentwicklung fähig. Und sie seien nicht fähig, aus ihren traditionellen Gesellschafts- und Verhaltensformen auszubrechen und in die Modernität einzutreten. Nun, bei manchen Einschränkungen: Länder wie die Türkei, aber auch Indonesien und Malaysien haben in den vergangenen Jahren das Gegenteil bewiesen. Und man darf angesichts des Entwicklungsstands unserer südlichen Nachbarn natürlich nicht den Vergleich zu Europa ziehen. Vielmehr gilt es, hinsichtlich Demokratie und Wirtschaftsentwicklung Länder heranzuziehen, die auch in bestimmtem Maße Vorbilder für die Länder der arabischen Welt abgeben können. Europa muss allerdings mit der Erfahrung seiner unterschiedlichen längeren und kürzeren Transformationsprozesse helfen. Und zwar rasch und tatkräftig.

Drohende Konflikte

Wir stehen aber noch vor einem anderen Test. Es gilt nicht nur, unseren südlichen Nachbarn zu helfen. Wir müssen auch die schon stattgefunden und die noch drohenden Herausforderungen bewältigen. Wenn zum Beispiel der französische Staatspräsident Sarkozy den ohnedies wegen fremdenfeindlichen Äußerungen verurteilten Innenminister mit dem Argument gegen einen neuen ausgetauscht hat, dass die Abwehr der illegalen Einwanderung verstärkt werden muss, dann stimmt das bedenklich. Ich bin nicht weltfremd und weiß, dass Europa keineswegs all jene aufnehmen kann, die jetzt vor dem Chaos in ihrer Heimat flüchten wollen. Trotzdem ist es nicht überraschend, dass viele dieser Menschen unter Freiheit auch die Freiheit zum Reisen und zum Auswandern verstehen. Wenn dies allerdings auch wahrgemacht wird, führt das zu enormen Konflikten.

Neue Mittelmeerunion

Wenn wir unsere Demokratie, die in manchen Ländern ohnehin schon inakzeptable Einschränkungen erfahren hat, nicht einer weiteren Demontage aussetzen wollen, dann müssen wir ein stimmiges Konzept für eine neue Mittelmeerunion entwickeln. Dazu gehört vor allem ein Mittelmeerpakt, der nach dem Muster des Marshallplans zu entwerfen ist. Ich nenne ihn allerdings Pakt, weil dies mehr die Notwendigkeit gegenseitiger Vereinbarungen ausdrückt, als ein einseitiger Plan Europas das tun würde. Wichtig dabei ist die Hilfe der EU sowohl für den Aufbau der Demokratie als auch einer nachhaltigen Wirtschaftsstruktur. Vor allem auch eine moderne, zukunftsträchtige Ausbildung ist notwendig. Allerdings muss sie, wie wir gesehen haben, von der Schaffung neuer adäquater Arbeitsplätze begleitet werden. Nur eine solche Strategie kann uns helfen, eine massive Auswanderung zu verhindern. Und nur so können wir die Versuche abwehren, die drohende Flüchtlingswelle zur weiteren Verschärfung des Fremdenrechts heranzuziehen. Mir ist es schon zu scharf, andere allerdings wollen weitergehen.

Chance für Israel

Noch jemand sollte jetzt bei der Umorientierung der arabischen Staaten in Richtung Demokratie helfen: Israel. Zwar ist es richtig und gut, dass sich Israel nicht in die inneren Angelegenheiten seiner Nachbarn einmischt. Aber es müsste jetzt die Chance nützen, die Siedlungsaktivitäten stoppen und neue Angebote machen. Und die Palästinenser sollten sowohl positiv darauf antworten, aber auch innere Reformen durchführen und Schritte in Richtung Demokratie machen. Leider hat ein Gespräch, das wir dieser Woche mit dem stellvertretenden Außenminister Israels hatten, nicht diese Veränderungsbereitschaft gezeigt. Anscheinend wird einmal mehr eine Chance zum Friedensschluss versäumt. Wenn nicht beide Seiten darauf verzichten, die Schuld immer nur bei der anderen Seite zu suchen, wird der Frieden nie gelingen. Israel wird dann immer mehr militarisiert und religiös engstirnig und damit weniger demokratisch, und Palästina wird immer radikaler und ebenfalls weniger demokratisch. Schade für die Mehrheit, die darunter leidet.