Die Rolle Deutschlands in Europa

Es wird heute viel über die Rolle Deutschlands in Europa geredet. Und es werden Erinnerungen an das Deutschland unter -dem aus Österreich stammenden – Hitler hervorgerufen. Im faszinierenden Buch „Europa Central“ von William T. Vollmann fand ich zwei Beschreibungen der Deutschen durch Feldmarschall von Manstein. Dieser hohe und oft erfolgreiche General im Dienste Hitlers hat nach dem Krieg eine Rechtfertigung seiner militärischen Aktionen unter den Titel „Verlorene Siege“ geschrieben. Dort spricht er vom „germanischen Erbteil – eine gewisse Freude am Risiko“ bzw. von der „Bereitwilligkeit (der Deutschen) auch das Letzte aus sich herauszuholen“.

 

In diesen Aussagen steckt genauso viel Ideologie und Verbrämung der wahren Verhältnisse, wie in den Attacken gegen das heutige Deutschland als direkter Nachfolgestaat von Hitler- Deutschland. Und vor allem die Angriffe auf Merkel und die Kritik am „Merkiavellismus“ sind oft überzogen und helfen nicht die Lösungen für die eigenen Probleme der Krisenländer zu suchen.

Aber ebenso wenig darf es ein Verbot geben, Deutschland unter der Regierung Merkel zu kritisieren, wie dies konservative Kreise vor allem auch in Frankreich immer wieder einfordern. Die deutsch-französische Freundschaft als historische Grundlage eines geeinten Europas darf nicht dazu führen, dass alles, was das heutige Deutschland unternimmt, sakrosankt wird. Man sollte aber klar stellen, dass es primär um keine nationale Auseinandersetzung geht, sondern um eine Auseinandersetzung über das beste Konzept zur Krisenbekämpfung.

Das Merkel’sche Konzept heißt zuerst den Gürtel enger, und zwar sehr eng zu schnallen, und dann wird sich das Wachstum schon einfinden. Es ist das Grundverständnis der „schwäbischen Hausfrau“, das ihren wirtschaftspolitischen Empfehlungen zur Gründe liegt: Man darf nicht „auf Pump“ leben. Sicherlich hat Merkel für diese Einstellung und Haltung einige Unterstützung in Deutschland.

Auf der anderen Seite – und ich rede jetzt nicht von extremen Positionen – steht die Auffassung, dass man der Budgetkonsolidierung Zeit geben und sich auch parallel zur Rückführung der hohen Verschuldung um Wachstum und neue Jobs kümmern muss. Langsam mehren sich die Stimmen, die diese Strategie empfehlen.

Selbst die wegen ihrer Kritik an hoher Verschuldung umstrittenen Wirtschaftstheoretiker Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart haben kürzlich gemeint: „Austerity is not the only answer to a debt problem“. Sie meinten sogar: “For Europe, in particular, any reasonable endgame will require a large transfer from Germany to the periphery. The sooner this implicit transfer becomes explicit, the sooner Europe will be able to find its way towards a stable growth path“.

Aber besteht überhaupt ein Grund, warum Deutschland solche Transfers leisten sollte? Sicher macht es keinen Sinn auf den durch Hitler-Deutschland verursachten Krieg zurückzukommen. Es geht nicht darum, alte Schuld abzuzahlen. Deutschland sollte aus einem anderen Grund den südlichen Ländern helfen. So hat eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung klargestellt, dass es vor allem einen Grund zu einem solchen Transfer gibt: Deutschland und einige andere Länder sind die großen Gewinner der Euro- Einführung.

Denn auch wenn ein Großteil der von Deutschland geleisteten Kredite an die südlichen Länder nicht zurückgezahlt werden würde, wäre Deutschland aufgrund des höheren Wachstums noch immer ein Netto- Gewinner des Euro (und wahrscheinlich gilt dasselbe für Österreich)! In diesem Sinn hat der griechische Finanzminister, Yannis Stournaras, Recht, wenn er kürzlich meinte, „dass Länder, die Vorteile aus der Krise haben, ihren Gewinn mit den anderen teilen“ sollten.

Aber Stournaras ist gleichzeitig einer, der weiß, wie wichtig die eigenen Anstrengungen sind. Anstrengungen, die nicht nur in Richtung „Gürtel enger schnallen“ gehen, sondern in eine Erneuerung und Umgestaltung der Wirtschaft. Das weiß auch der neue italienische Ministerpräsident Letta. Sicher sind die Ausgangslagen und notwendigen Maßnahmen in den einzelnen Krisenländern verschieden.

Generell gilt allerdings die Feststellung, die Torsten Riecke im – konservativen – Handelsblatt kürzlich machte: „Denn das Überleben des Euros entscheidet sich weniger am erfolgreichen Abbau der Schulden als vielmehr daran, dass die Krisenländer wieder wettbewerbsfähig werden. Und das werden sie nur, wenn die Kosten gesenkt werden, aber auch Innovationsfreude und Unternehmergeist zurückkehren. Dafür bedarf es Risikofreude und der Aussicht, dass sich die Anstrengungen lohnen. Nur dann entstehen neue Arbeitsplätze und Wachstum.“

Das heutige, durch die extreme Austeritätspolitik geprägte Klima ist aber in den meisten Krisenländern solchen notwendigen Inventionen feindlich. Wie sollten junge Menschen den Rat von Steve Jobs „Stay hungry. Stay foolish!“ befolgen? Ja, vielleicht sind sie hungrig, im wahrsten Sinne des Wortes, und vielleicht werden sie verrückt in Folge der hohen Arbeitslosigkeit. Aber das hat Steve Jobs nicht gemeint. Wir müssen den jungen Menschen Chancen geben als ArbeitnehmerInnen oder auch als Selbständige ihre Arbeit zu leisten.

Dafür bedarf es auch Reformen des Arbeitsmarktes. Jegliche Arbeitslosigkeit ist nach Möglichkeit zu verhindern. Aber um der Wirtschaft Schwung zu geben und die Jugend nicht ins politische Abseits oder die Radikalität zu führen, müssen wir uns besonders um sie bemühen. Es müssen Anreize geschaffen werden, sie in höherem Masse in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Aber dazu soll nicht ein prekärer Arbeitsmarkt geschaffen werden, der eine neue Armutsschicht schafft.

Vor allem aber müssen die Sozialpartner – so wie in Deutschland und in Österreich – trotz aller Differenzen, gemeinsam um mehr Investitionen und Jobs bemühen. Besonders wichtig sind verbesserte Ausbildungssysteme, die Theorie und Praxis verbinden und Modelle der Kurzarbeit in Krisenzeiten und unter Krisenbedingungen.

Man kann also von Ländern wie Deutschland durchaus lernen. Dieses Land ist nicht zufällig wirtschaftlich erfolgreich. Es gilt, manches Positives in andere Länder – natürlich mit entsprechenden Adaptierungen – zu übertragen. Aber Deutschland sollte lernen, genau diese Errungenschaften mit Sensibilität und Gespür zu vermitteln. Vor allem sollte Deutschland nicht überkommene und wenig hilfreiche Austeritätskonzepte anderen Ländern aufzwingen. Sowohl diese Konzepte als auch das Aufzwingen sind wenig hilfreich.