Die Türkei und die EU

istanbulDer türkische Staatspräsident Abdullah Gül ist dieser Tage zu Besuch in Wien. Neben bilateralen Beziehungen stehen sicherlich auch die Beziehungen zur EU auf der Tagesordnung der Gespräche. Dabei beharrt die Türkei auf einen Vollbeitritt, während in der EU unterschiedliche Meinungen dazu herrschen. Aber ein Beitritt kann nur durch einstimmigen Beschluss erfolgen. Und der ist auf absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Die Türkei bleibt aber ein wichtiger wirtschaftlicher und politischer Partner der EU. Sie verdient Respekt für die Leistungen der vergangenen Jahre, wenngleich wir uns noch viel mehr und durchgreifende Reformen gewünscht hätten. So uneinig sich die EU in Fragen des EU-Beitritts ist, so widersprüchlich sind die Entwicklungen in der Türkei selbst. Auch wenn das ein nach wie vor starker Nationalismus zudeckt. Meine jüngsten Besuche in der Türkei haben dies einmal mehr belegt.

Auf dem Weg nach Turkmenistan, wo ich vergangene Woche eine Delegation des EU-Parlaments geleitet habe, machte ich einen Zwischenstopp in Istanbul. Langsam beginnt auch hier der Wahlkampf seine Spuren im Straßenbild zu hinterlassen. Als visionäres Projekt – oder als Wahlkampfgag, wie die Opposition meint – hat Premierminister Erdogan einen Bosporus Kanal angekündigt, der den durch den Schiffsverkehr überlasteten Bosporus entlasten soll. Es ist ein Mega-Projekt, das schon einige Male vorgeschlagen wurde, das aber nun von einer auch wirtschaftlich starken Türkei verwirklicht werden soll.
Istanbul ist nun wesentlich moderner, aufgeschlossener und kulturell vielfältiger als die zuvor von mir besuchte Region Süd-Ost-Anatolien. Und vor allem die Rolle als Europäische Kulturhauptstadt 2010 hat deutliche Spuren hinterlassen. Aber sowohl die Renaissance und Renovierung des islamischen Erbes als auch die nationalistische Tradition, die Atatürk begründete, ist im Stadtbild präsent.

So werden in einer Ahnengalerie mit Atatürk als End- und Höhepunkt neben anderen Vorfahren wie Osmanbey sowohl Timur als auch Attila mit einer Skulptur präsentiert. Und nach wie vor ist Atatürk durch eine seiner heroischen Darstellungen sichtbar. Es gibt eigentlich kein Land, in dem der Staatsgründer dermaßen im alltäglichen Leben präsent ist. Und sicher schauen die Kemalisten und vor allem das Militär darauf, dass dies so bleibt.

Auf der anderen Seite wurde die Kulturhauptstadt auch dazu genutzt, das islamische Erbe und vor allem die vielen Moscheen zu renovieren und zu pflegen. Und das kann man ja nicht kritisieren. Aber auch diese Renaissance hat ihre politische Bedeutung. Denn sie soll zeigen, dass die heutige Türkei ihre Wurzeln und ihre Bestimmung nicht nur in der Revolution der Jungtürken und in Atatürk hat. Mindestens ebenso wichtig sind die osmanische Tradition und vor allem der türkisch geprägte Islam.
Neben vielen aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Fragen, die in der politischen Auseinandersetzung eine Rolle spielen, bleibt diese gesellschaftliche Auseinandersetzung immer auf der Tagesordnung. Es geht um die Bedeutung des säkularen Staates auf der einen Seite und um die Rolle der Religion und die religiösen Freiheiten auf der anderen Seite. Es geht allerdings auch um eine engstirnige nationalistische Orientierung der Türkei und um die Anerkennung der kulturellen und ethnischen Vielfältigkeit im eigenen Land. Wenige verstehen es hier, Brücken zu schlagen. Staatspräsident Gül hat es jedenfalls angesichts des Beschlusses der obersten Wahlbehörde verstanden, solche Brücken zu schlagen und die antikurdischen Beschlüsse wurden rückgängig gemacht. Abdullah Gül ist sicher nicht so stark wie Premierminister Erdogan, aber er ist ein Glück für die Türkei und hat eine historische Aufgabe der Versöhnung.