Die Ukraine Krise und wie weiter jetzt?

Auflösung der Jalta Ordnung

Der Zusammenbruch der Sowjetunion und deren Auflösung hat die in Jalta de facto beschlossene machtpolitische und ideologische Aufteilung Europas beendet. Das Ausscheiden verschiedener Staaten aus der Sowjetunion bzw. aus dem sowjetischen Einflussbereich und die Auflösung des Warschauer Pakts hat ein neues, kurzfristig stabiles Gleichgewicht hergestellt. Jetzt allerdings ist diese Stabilität in Frage gestellt.

Moskau

Die Erweiterung der EU und dann der Nato bzw. oft in umgekehrter Reihenfolge war die Konsequenz dieser Veränderungen, vor allem angesichts der Schwäche Russland. Vor allem die neuen Mitgliedstaaten, allen voran die baltischen Länder und Polen, aber auch Rumänien sahen durch diese Erweiterungen ihre Sicherheit gestärkt. Ihnen ging es vor allem -historisch bedingt- darum, die Gefahr von russischen Einflüssen unterschiedlicher Art zu bannen. Denn die historischen Erfahrungen dieser Länder mit Russland bzw. der Sowjetunion waren nicht immer die besten. Der oftmals an den Tag gelegte mangelnder Respekt für die Souveränität und Unabhängigkeit dieser Länder hat bei ihnen tiefe Spuren hinterlassen.

Und daher ist es nicht so sehr der US – amerikanische Einfluss, der die EU Politik von heute bestimmt, sondern eher die historische Erfahrung mit der Sowjetunion bzw. Russlands einiger heutiger Mitgliedstaaten. Die allerdings wird von manchen allzu naiv und simpel auf das heutige Russland übertragen. Und Präsident Putin mit seiner Politik und mit der Rhetorik von ihm selbst und mehr noch manch seiner Mitarbeiter hilft kräftig mit, die antirussische Haltung zu unterstützen.

Mangelndes Vertrauensverhältnis zwischen EU und Russland

Die europäischen bzw. atlantischen Erweiterungen haben allerdings kein neues Vertrauensverhältnis in Europa hergestellt. Russland sah sich zunehmend durch eine Politik nach dem Motto “ the winner takes it all“ eingekreist. Zuerst war nur die Nato Expansion im Zentrum der Aufmerksamkeit und Ablehnung, zuletzt aber auch die stärkere Anbindung an die EU. Einerseits weil sie als Vorstufe zur Nato Mitgliedschaft gesehen wurde und anderseits weil sie den Ideen einer von Russland angestrebten eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft entgegen stehen würden.

Liberal kapitalistische areligiöse gegen russisch kapitalistische und orthodoxe Welt?

Die unterschiedlichen Vorstellungen und Interessen was die Zukunft der gemeinsamen Nachbarn von EU und Russland betrifft wurde auch von unterschiedlichen und zum Teil entgegengesetzten gesellschaftspolitischen Entwicklungen begleitet. Der liberale Kapitalismus mit seinen auch im Grundrechtskatalog der EU festgeschriebenen Werten steht einer zunehmend autoritären, nationalistischen und von der orthodoxen Hierarchie verbundenen Gesellschaftspolitik gegenüber. An der unterschiedlichen Einstellung zu Religion, Medienfreiheit, sexuellen Freiheiten etc. ist das abzulesen.

Dabei sind selbstverständlich auch innerhalb der EU große Unterschiede in der Umsetzung der Werte zu beobachten und demgemäß sollte die Wertorientierung der EU bzw. mancher Mitgliedsstaaten nicht überschätzt werden. Und manche gesetzliche Regelungen wie die gleichgeschlechtliche Ehe, Adoptionen durch solche Paare etc. sind durchaus umstritten. Aber in der EU gibt es offene Debatten und Auseinandersetzungen darüber. Und das ist ein wichtiger Teil unserer demokratischen Prozesse.

Schutz der Minderheiten

Zum demokratischen Selbstverständnis der EU gehört auch der Schutz von Minderheiten und die EU arbeitet – wenn auch mit Mühen – an der Berücksichtigung aller Minderheiten. Dabei sind durchaus einige Defizite zu bemerken, besonders auch was die russischsprachigen Minderheiten in zwei baltischen Staaten betrifft – ohne jetzt auf die historischen Ursachen einzugehen. Aber was wir ablehnen ist das Zugriffsrecht eines Staates auf Gebiete mit „seinen“ Minderheiten in einem anderen Staat. Bilaterale und internationale Verhandlungen sind die einzig akzeptablen Lösungsmöglichkeiten. ( siehe Südtirol )

Die militärische Intervention ob direkt z.B. durch Annexion oder durch geduldete „Freiwillige“ kann in Europa nie der Weg sein, um Autonomien oder die Berücksichtigung von Minderheitsrechten durchzusetzen. Einerseits würde das gerade die von Russland immer wieder betonte Achtung der Souveränität verletzten. Aber was für mich noch viel wichtiger ist, es würde zu einer chaotischen Durchsetzung des Rechts des Stärkeren führen und die mühsam errungene negative Haltung zu Gewalt und Krieg in Frage stellen. Das ist der Punkt wo uns Welten trennen.

Es kann natürlich immer wieder Bestrebungen zur Sezession und zur Unabhängigkeit geben, wie im Fall Kosovo. Das hat auch der Internationale Gerichtshof festgestellt, als er im Falle des serbischen Einspruchs gegen die Unabhängigkeit des Kosovo sein Erkenntnis formuliert hat. Aber solche Bestrebungen können nicht im Handstreich und in wenigen Wochen zur Annexion missbraucht werden.

Gegen eine solche Politik musste sich die EU wehren, denn da geht es nicht nur um die Ukraine sondern auch um die Zukunft Europas und einer europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung. Um eine solche Neuordnung zu entwerfen müssen die autonomen Rechte aller Völker und Staaten mit den gemeinsamen Interessen an Frieden und Sicherheit auf einen Nenner gebracht werden. In diesem Zusammenhang ist auf die Konferenz von Helsinki Sommer 1975 zu verweisen. Trotz fundamentaler Unterschiede in gesellschaftspolitischer und weltpolitischer Hinsicht gelang es sich auf eine Schlussakte und die Gründung der OSCE zu einigen.

Inzwischen allerdings haben sich die Strukturen in Europa geändert. Daher sollten wir einen neuen Anlauf nehmen, um eine Art Helsinki II in Gang zu bringen. Eine gestärkte OSCE die alle bisherigen Mitglieder umfassen sollte könnte dafür sorgen, dass die neuen Vereinbarungen auch umgesetzt werden und stärker als jetzt im Falle der Ukraine in einen friedensstiftender Einsatz kommen. Und in einem solchen Rahmen sollte auch ein Erweiterungsstopp der Nato diskutiert werden.

Wirtschaftliche Zusammenarbeit Inc. Energie und Außenhandel

Eine Absicherung der Sicherheit in Europa bedarf auch einer verstärkten wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Manche beklagen die wirtschaftliche Verflechtung einiger EU Staaten mit Russland, insbesondere die Abhängigkeit bei Gaslieferungen. Einseitige Abhängigkeiten sind nie gut, sie verleiten immer zu Machtmissbrauch der stärkeren Marktteilnehmer. Was die Energielieferungen betrifft so werden durch neue Gasschürfungen, vor allem durch LNG die Marktverhältnisse ohnedies geändert. Aber mehr Gemeinsamkeit zum Beispiel hinsichtlich des Eigentums an der Infrastruktur also dem Pipeline System wäre ein Ausweg aus den einseitigen Abhängigkeiten.

Auch eine Freihandelszone die die EU, Russland und weitere europäische Staaten umfasst sollte ernsthaft ins Auge gefasst werden. Unabhängig davon sollten alle Länder das Recht haben über ihre Zugehörigkeit zur EU oder zur Eurasischen Union zu entscheiden. Aber eine umfassende Freihandelszone könnte diese Entscheidungen erleichtern, weil es dann keine Entweder – Oder – Entscheidungen gäbe, sondern traditionelle wirtschaftliche Verflechtungen weiter existieren könnten.

Antwort auf wirtschaftliche Probleme Russlands

Gerade Russland, das sich derzeit in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation befindet und noch nicht von seiner einseitigen wirtschaftlichen Orientierung an Energieexporten weggekommen ist, sollte hier ein besonderes Interesse an wirtschaftliche Kooperation haben. Das Festhalten an der Eurasischen Wirtschaftsunion – jetzt allerdings ohne Ukraine(!) – alleine kann die immensen Problem Russlands nicht lösen. Die Einbindung Russlands in eine große Freihandelszone, die eine gute Kooperation mit China nicht ausschließt, würde die notwendigen Reformen in Russland befördern. Und eine solche Einbindung würde auch die zentralasiatischen Staaten eher zur Zusammenarbeit mit Russland bewegen, weil sie sich weniger vom großen Nachbarn Russland allein abhängig fühlen würden.

Nicht nur die Äußerungen des ehemaligen russischen Finanzministers sondern auch die des aktuellen Wirtschaftsministers zeugen von großem Realitätssinn. An der Sanktionsschraube zu drehen macht wenig Sinn. Jetzt geht es um die Bereitschaft neue Ideen auf den Tisch zu bringen, um Sanktionen abbauen zu können. Es kann auch nicht darum gehen, Russland wirtschaftlich oder politisch in die Knie zu zwingen. Selbst wenn das kurzfristig gelänge, hätte es langfristig für die Schaffung eines neuen Vertrauensverhältnis zwischen den Völkern in Europa katastrophale Konsequenzen.

Realpolitische Zusammenarbeit und ideologischer Wettbewerb

Unabhängig von der Suche nach einer für alle in Europa vorteilhaften Zsammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheit und der Wirtschaft wird die gesellschaftspolitische, quasi ideologische Auseinandersetzung zwischen Russland und der EU weiter gehen. Insbesondere was den Balkan betrifft sehen wir neue Initiativen Russlands. Ich habe da keine Angst davor, die EU muss sich nur selbst neue Initiativen überlegen wie sie den Bedürfnissen der Menschen auf dem Balkan entgegenkommen kann. Jenseits des Erweiterungsversprechens muss es Angebote der Unterstützung und einen verstärkten Dialog mit der Zivilbevölkerung geben, um diese gesellschaftspolitische Auseinandersetzung zu gewinnen.

Schlussfolgerungen

Wir sollten die Meinungsverschiedenheiten zwischen EU und Russland nicht verwischen. Sie sind zum Teil fundamental, sowohl was die Aussenpolitik betrifft als auch innen- bzw. gesellschaftspolitisch. Diese Unterschiede sollten aber durchaus zu einem Wettstreit aber nicht zu ernsthaften Konflikten bzw. gar zu Kriegen führen. Der Dialog muss aufrecht erhalten bleiben. Wir sollten nichts von unseren Werten aufgeben, wir sollten sie allerdings mit Vehemenz innerhalb der EU vertreten und umsetzen. Und trotz aller Unterschiede sollten wir versuchen, gemeinsame Lösungen für uns gemeinsam betreffende Probleme finden. Es geht also nicht um „Regimewechsel“ wie uns manchmal Russland vorwirft, sondern eher um eine Politik nach der bewehrten Methode „Wandel durch Annäherung“ so schwer das auch manchen heute fällt.