DIGITALER HUMANISMUS

Laudatio anlässlich der Verleihung des Bruno Kreisky Preises an die AutorInnen Julian Nida-Rümelin – Nathalie Weidenfeld 

(Fotocredits: Paul Pibernig)

Warum Bruno Kreisky Preis für das Politische Buch?

Die erste Frage, die sich bei diesem Titel stellt, ist die Frage nach der Möglichkeit in der heutigen Zeit noch von Humanismus zu reden. Der unorthodoxe Linke Paul Mason hat unlängst bei einem Referat im Bruno Kreisky Forum gemeint, seine Forderung nach Humanismus sei „unfashionable“, also aus der Zeit gefallen. 

In der Tat, Humanismus bzw. Humanist klingt geradezu altmodisch und kitschig. Und dennoch halte ich die Forderung nach Humanismus – vor allem auch im Zusammenhang mit der digitalen Gesellschaft – mehr als angebracht. Sie ist sogar insofern revolutionär, weil sie sie sich scheinbar unausweichlichen Entwicklungen entgegenstellt. Das ist schon einmal der erste Grund warum die AutorInnen den Bruno Kreisky Preis für das politische Buch verdienen.

Aber es gibt noch einen weiteren wichtigen Grund. Die AutorInnen greifen vielfach auf jene Filme zurück, die uns in den letzten Jahrzehnten das Potential bzw. die Gefahren der digitalen, virtuellen Welt besser vor Augen geführt haben, als die Wissenschaft – von der Politik ganz zu schweigen.

Man kann auch die Literatur hinzufügen von Stanislav Lem bis zu Ian McEwan mit seinem jüngsten Roman: „I am a machine“ Ich halte die Idee, filmische und literarische Sequenzen aufzugreifen, um Chancen und Gefahren der gesellschaftlichen Entwicklung zu beleuchten, für äußerst wertvoll. Politik sollte sich hier ein Beispiel nehmen.  

Was ist digitaler Humanismus?

Was ist das Besondere am digitalen Humanismus? Die AutorInnen meinen folgendes: „Er setzt sich von den Apokalyptikern ab, weil er der menschlichen Vernunft vertraut, und er setzt sich von den Euphorikern ab, weil er die Grenzen digitaler Technik achtet.“

Wenn wir heute Berichte über die digitale Entwicklung und die Zukunft der Roboterisierung betrachten, dann sind zwei gegensätzliche Bewertungen vorherrschend. Einerseits wird die Apokalypse beschworen, also eine Welt zunehmender Arbeitslosigkeit und Entmenschlichung. Oder aber, die Automatisierung bringt Glück, Segen und vielleicht sogar Unsterblichkeit in die Welt.

Das Werk von Nida-Rümelin und Weidenfeld schreibt gegen einen solchen Defätismus bzw. eine übersteigerte Euphorie an. In ihren Worten: „Dem stellt sich der digitale Humanismus als eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz entgegen.“ Dabei betonen sie auch, dass Menschenrechte und Menschenwürde der Gattung Mensch zugeordnet bleiben sollte, eine Ausweitung auf die Künstliche Intelligenz würde zu einer „Art Kernschmelze dieses Ethos führen.“

Unterschied Maschine – Mensch

Künstliche Intelligenz und der Mensch unterscheiden sich wesentlich. Es ist nicht so, wie Ian McEwan warnend feststellt, dass der Roboter immer dem Menschen ähnlicher wird, dann ihm gleich wird, bevor er besser als der Mensch wird. Die AutorInnen halten fest: „In der Logik der KI gibt es keine Willensfreiheit. Wesen tun das, wofür sie programmiert worden sind. Sie handeln so wie sie handeln sollen.“

Und das gilt auch für probabilistische Maschinen, die zwischen Handlungsvarianten auswählen können. Der Mensch hingegen ist Gestalter – er sollte es zumindest sein.

Dabei müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir bereits viele Schritte in Richtung einer entpersönlichten Wirtschaft und Gesellschaft gegangen sind. Immer seltener finden wir ein Gegenüber in Unternehmungen, insbesondere in solchen der Dienstleistungswirtschaft. Die AutorInnen meinen dazu „Kafkas Schloss erscheint da als eine vergleichsweise humane Entwicklung.“

Eine besonders aktuelle Verwendung von Künstlicher Intelligenz ist das Autonome Fahren. Gerade hier bemerken wir auch die Beschränkungen hinsichtlich moralischer Urteile im Falle eines drohenden Zusammenstoßes mit anderen Autos oder Menschen. Die Situationsbewertung durch den Menschen ist nicht ersetzbar. „Roboter und Softwaresysteme funktionieren nach einem Algorithmus, Menschen nicht. Darin liegt einer ihrer zentralen Unterschiede.“

Allerdings müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die zunehmende Komplexität mit einem Verlust an Transparenz verbunden ist. Und genau diese Intransparenz – und das schwierige bis unmögliche Nachvollziehen der Algorithmen – ist eine Herausforderung für jeden humanistischen Ansatz in der nationalen und europäischen Politik. 

Notwendig: Revolution des Bildungssystems 

Aber das ist ohnedies eine entscheidende Frage, wie kann Politik auf die Herausforderungen der digitalen Entwicklungen reagieren und dem Humanismus zum Durchbruch verhelfen. Voraussetzung ist jedenfalls ein Bildungssystem, dass die Urteilskraft der Menschen stärkt und nicht durch Verschulung und Anhäufung von Daten verschüttet wird. „Nicht die passive Aufnahme vorgefertigten Stoffes, sondern die aktive Bewältigung komplexer Urteile und Entscheidungsstrukturen muss im Mittelpunkt stehen.“

Ein reformiertes Bildungssystem ist entscheidend für die Stärkung der Urteils- und Entscheidungskompetenz und damit der persönlichen und kollektiven Autonomie. Und diese Reformierung ist vor allem dann notwendig, wenn wir mit den Konsequenzen der Automatisierung auf dem Arbeitsmarkt umgehen wollen. Wie immer die Digitalisierung sich quantitativ auf dem Arbeitsmarkt, also auf das Angebot von Arbeitsplätzen auswirken wird, qualitative (!) Veränderungen sind unvermeidlich.

Bedingungsloses Grundeinkommen?

In diesem Zusammenhang teile ich auch die kritische oder jedenfalls vorsichtige Herangehensweise der AutorInnen an die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Auch ich sehe die Gefahr einer Kapitulation vor einer Politik bzw. Gesellschaft, die nicht mehr fähig oder Willen sind, Menschen mit Arbeitsplätzen zu versorgen. Jedenfalls sind noch viele offene Fragen in diesem Zusammenhang zu klären.

Viele andere Fragen stellen sich mit der Verbreitung der Künstlichen Intelligenz, so der immense Energieverbrauch. Wie ist die Hoffnung auf eine digitale Welt, die zur Nachhaltigkeit führt mit dem enormen Ressourcen – vor allem Energieverbrauch vereinbar?

Konstruktive Skepsis

Julia Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld liefern nicht nur eine eindrucksvolle Analyse der digitalen Entwicklung, sie benennen auch die Chancen und Gefahren. Sie vermeiden die Gefahr des Verteufelns bzw. der Euphorie. Sie plädieren für einen digitalen Humanismus. Dieser „bleibt skeptisch gegenüber utopischen Erwartungen, ist aber optimistisch, was die menschliche Gestaltungskraft der digitalen Potentiale angeht.“

Der digitale Humanismus muss die Grundlage für einen politischen und rechtlichen Rahmen sein. Und diesen kann nur Europa geben. Weder die USA – jedenfalls unter Präsident Trump – noch China sind an einem humanistischen Rahmen für die digitale Gesellschaft interessiert. In einen Fall ist der Markt die absolute Richtschnur und im anderen Fall die Möglichkeiten der staatlichen Kontrolle.

So liegt in beiden Fällen der Nutzen der Roboter auch in der – meist unbewussten – Datenübertragungen vom Benutzer – mittels Roboter an die Hersteller bzw. diejenigen, die diese Daten benützen wollen. Im ersten Fall – dort wo der Markt herrscht – geht es um kommerzielle Interessen. Im zweiten Fall – z.B. China – geht es um politische Kontrolle und Lenkung. Sicher gibt es bereits jetzt diesen Datenraub – er würde aber ohne entsprechende Regelungen noch mehr gesteigert.

Europas Rolle

Es kann hier nicht verschwiegen werden, dass es auch in Europa viele Behörden gibt, die an solchen Datennutzungen interessiert sind. Aber sie sollten demokratisch beschlossen und überwacht werden, um nicht zu Missbräuchen zu führen.

Und Europa sollte den gesellschaftlichen Nutzen, wie er auch in den Empfehlungen der Expertenkommission an die EU Kommission angeführt ist, in den Vordergrund stellen. Dieser kann allerdings nur den Anfang einer ausführlichen Debatte und von politischen Entscheidungsprozessen darstellen. Die wohl überlegte und spannend formulierte Arbeit von Nida-Rümelin und Weidenfeld geben uns Hoffnung, dass auch in einer stark digitalisierten Welt noch Menschen bestimmen. Sie könnten es jedenfalls, wenn man sie lässt.

Gerade für uns Europäer muss der humanistische Ansatz darin bestehen, sich nicht auf die Künstliche Intelligenz zu verlassen, sondern auch die eigenen – individuellen und kollektiven Lernprozesse zu aktivieren. Künstliche Intelligenz kann vielen Menschen helfen, vor allem manche Defizite auszugleichen – denken wir zum Beispiel an verschiedene Behinderungen. Aber sie kann nicht die sozialen Defizite beheben.

Da bedarf es noch eines ungeheuren Lernprozesses. Der kann uns dann auch helfen mit der digitalen Welt besser und das heißt vor allem menschengerechter umzugehen. Und unter menschengerechter verstehe ich auch eine Herangehensweise, die unsere Welt auch im Interesse nachfolgender Generationen schonend und pfleglich behandelt.