Ein Europa der Werte

In der letzten Jänner Woche hielten wir als sozialdemokratische Fraktion unsere alljährliche „externe“ Fraktionssitzung in Triest ab. Im Rahmen dieser Tagung veranstalteten wir auch eine Diskussion im Rahmen unserer Serie „Relaunching Europe“ über Europa als Wertegemeinschaft. Triest ist sicher ein geeigneter Ort um sich mit dem Europa der Werte auseinanderzusetzen.

Es ist ein Ort wo Kulturen und deren Interpretation aufeinander trafen. Wo sich Nationalismus und Kosmopolitismus heftige Auseinandersetzungen lieferten und wo dogmatische und fanatische Interpretationen allzu oft Überhand gewannen.

Aber es ist auch der Ort wo besonnene und nachdenkliche Schriftsteller und Künstler zu Hause waren und sind.

Einer von ihnen ist Claudio Magris, der gemeinsam mit Angelo Ara unter anderem ein Buch über die literarische Hauptstadt Triest schrieb. Darin schrieben die Autoren: „Triest war gleichzeitig ein Amalgam verschiedener ethnischer und kultureller Gruppen (Außer den Italienern, Deutsche, Slowenen und anderen Slawen, Griechen, Armenier, Volksgruppen aus den verschiedenen Gebieten der Donaumonarchie und anderen europäischen Ländern) und ein Archipel, in dem diese Gruppen isoliert nebeneinander existieren.

Auch heute finden wir in unserem Europa ein Amalgam und ein Archipel zugleich, eine Mischung von Menschen und Kulturen. Aber auch sogenannte Parallelgesellschaften und Parallelkulturen.

In der Folge geht es um das Suchen und Behaupten und letztendlich Verteidigen der eigenen Identität gegen die „Fremden“. Aber auch hier warnen Magris und Ara: „Die Identitätssuche impliziert mehr oder weniger bewusst, die erregte Erwartung, auf einen Wesenskern zu stoßen, auf eine irgendwie konstante und bleibende Dimension im Wandel des historischen Werdens…..Sie neigt zum Mythos, das heißt zur faszinierten Erstarrung des Immer Gleichen und zur Versteinerung der Geschichte in der Maske des Mythos“

Wir können aber unsere Entwicklung nicht unterbrechen, uns aus der Welt zurückziehen und Europa versteinern und von Mythen leben. Eine Welt mit internationalen Handel und Migration ist entstanden und das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen.

Aber anderseits dürfen wir Europa als einen Kontinent der – mühsam erarbeiteten und erkämpften – Werte nicht fallen lassen. Ihn und diese Werte müssen wir gegen Angriffe der wieder erstandenen Nationalisten – oft im Gewand der Populisten- und gegen diejenigen verteidigen, die Europa auf ein Binnenmarktprojekt zurückschrauben wollen.

Besonders beeindruckend war für mich ein Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Risiera di San Sabba in Triest. Die Führung die wir dort hatten und die Erklärungen über die „Arbeitsweise“ der Nazi-Schergen hatten ein wenig eine banalisierende Wirkung. Aber als ich alleine in einen Seitenhof des Lagers ging, stieß ich auf eine Gedenktafel die hinter Glas einen Abschiedsbrief eines jungen Slowenen an seine Mutter und Schwester und an seinen Vater enthielt. Er sollte am nächsten Tag hingerichtet werden. In seiner Kürze und Klarheit war er für mich aufwühlend und bewegend. Ich kann nur hoffen, dass niemand mehr in Europa jemals gezwungen werden wird einen solchen Brief zu schreiben.

Und immer wieder möchte ich darauf hinweisen, dass den faschistischen Regimes eine Periode der hohen Arbeitslosigkeit und des sozialen Abstiegs bestimmter Mittelklasse Schichten vorausging. Geschichte wiederholt sich zwar nicht so leicht und so schnell, aber auch weniger schreckliche und brutale autoritäre Regierungen können einen großen wirtschaftlichen, sozialen und politische Schaden anrichten.

Von Triest ging es ins Erdbebengebiet in der Nähe von Modena und Bologna. Es war erschreckend zu sehen wie noch immer viele Häuser unbewohnbar sind oder gar vor dem Abbruch stehen. Glücklicherweise konnte die EU ein wenig finanzielle Unterstützung leisten und das wurde bei all meinen Gesprächen anerkannt.

Ich sprach auch in zwei politischen Veranstaltungen der italienischen Demokratischen Partei. Angesichts einer drohenden oder zumindest möglichen Wiederkehr von Silvio Berlusconi bei den nächsten Wahlen war es mir wichtig darauf hinzuweisen, wie dieser Mann Italien ökonomisch in den Abgrund warf und den europäischen Wertekanon einer bzw. seiner Beliebigkeit unterwarf. Erst jüngst hatte er positive Worte für Mussolini gefunden und wurde nur von einem seiner Anhänger im europäischen Parlament mit lobenden Worten für Mussolini und Beschimpfungen für den aktuellen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano übertroffen. All das zeigt wie dieses schädliche Gedankengut noch in manchen Köpfen steckt. Und die Krise und die damit verbundene Arbeitslosigkeit sowie der -zumindest drohende – Abstieg der unteren Mittelklasse bildet einen fruchtbaren Boden für solche Äußerungen.

Von Italien ging es nach Island. Die dortigen Sozialdemokraten, die sich sehr für einen EU-Beitritt aussprechen haben mich eingeladen, auf ihrem Parteitag eine Rede zu halten. Auch dabei wollte ich vermitteln, dass der Kampf um eine effektivere Wirtschaftspolitik und vor allem der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit eng mit dem Ringen um die Beibehaltung der EU als Wertegemeinschaft verbunden sind. Und angesichts erster negativer Äußerungen über einen „Asyltourismus“ sind auch in Island Wertediskussionen notwendig.

Dabei befinden sich die Sozialdemokraten in einer schwierigen Auseinandersetzung mit den zahlreichen, isolationistischen Gegnern eines EU-Beitritts. Und die internen Probleme der EU machen die EU bzw. die Eurozone nicht gerade besonders attraktiv. Das für mich überzeugendste Argument der EU-Beitrittsbefürworter ist, dass ein kleines Land mit eigener Währung und Problemen im finanziellen Sektor schweren Stürmen und Währungsschwankungen ausgesetzt ist. Und diese Instabilität führt zu Kapitalabflüssen – außer man führt Kapitalverkehrskontrollen ein. Und das musste Island tun und diese müssen auch in naher Zukunft wieder verlängert werden. Das aber verhindert den Zufluss dringend benötigter Investitionen. Und solche Investitionen bräuchte Island um die Wirtschaft in Schwung zu halten und neue Betriebe anzusiedeln um die Wirtschaft zu diversifizieren.

Und für Europa würde Island nicht nur einen hohen Fischbestand und neue zum Teil erneuerbare Energiequellen einbringen sondern auch hinsichtlich der neuen Transportroute über die Arktis – auf Grund der Erderwärmung – einen strategischen Vorposten bringen. Nicht zufällig sind die Chinesen schon auf Island sehr aktiv. Die Lösung von wirtschaftlichen Problemen unter dem Ziel der Nachhaltigkeit, soziale Verwerfungen und das Ringen um die Orientierung an zentralen Werten, all das sind Herausforderungen vor denen die EU, aber auch Länder wie Island stehen. Unabhängig ob und wann ein Beitritt Island zur EU erfolgt haben wir viele gemeinsame Ziele, jedenfalls die Sozialdemokraten hier wie dort. Und in diesem Zusammenhang hat es mich gefreut, dass zum neuen Parteivorsitzenden jemand gewählt wurde, der für einige Zeit in unserer parlamentarischen Fraktion als Beobachter von Island fungierte. Mit ihm erwarte ich eine besonders gute Zusammenarbeit.