Einige Eindrücke aus Mexiko und Kuba

Meine Besuche in Lateinamerika halten sich in Grenzen. Privat besuchte ich vor langer Zeit Nicaragua, Costa Rica und auch Kuba. In Buenos Aires besuchte ich ebenso vor längerer Zeit einen Kongress der Sozialistischen Internationale. Zweimal besuchte ich in offizieller parlamentarischer Mission Mexiko City, zuletzt als Präsident der S&D Fraktion im EU Parlament und in ebendieser Funktion Kolumbien und Peru. Eingeladen zu einem Kongress in Havanna machte ich vor kurzem wieder einen kurzen Stopp in Mexiko City bevor es dann nach Kuba ging. Kuba und Mexiko und ihre Hauptstädte sind natürlich sehr verschieden und in vieler Hinsicht nicht vergleichbar. Sie sind unterschiedlich groß, ebenso ist das Verhältnis zum großen Nachbar USA sehr verschieden, das betrifft auch das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche System. Und dennoch verbindet einiges diese beiden lateinamerikanischen Länder. Und Mexiko ist so wie andere Länder in der Nachbarschaft Kubas froh, dass sich die Beziehung zwischen den USA und Kuba entspannt hat – auch wenn der US-Kongress die Blockade gegen Kuba noch nicht aufgehoben hat.

Mexiko

Hannes-Swoboda-Mexico2015

Mein „Lateinamerika“ Besuch begann in Mexiko City. Ich mag diese Stadt sehr, sie ist modern und großzügig mit vielen Alleen und großen Parks und hervorragenden Museen. Jedenfalls ist das so im weitläufigen Zentrum, in dem man sich auch äußerst sicher fühlt. Natürlich gibt es in dieser Riesenstadt auch ärmere Viertel und zwar nicht wenige. Auf dem Weg zur großen antiken Anlage rund um die Sonnenpyramide in Teotihuacan kommt man auch bei vielen solchen teils legalen und teils illegalen Siedlungen vorbei.

Die Gespräche in Mexico mit der österreichischen Botschafterin und dem EU-Botschafter bis zur stellvertretenden Außenministerin, mit Verantwortlichen für Kultur und Wissenschaft und Forschung sowie dem Chef der Friedrich Ebert Stiftung in Mexico haben naturgemäß ein sehr vielfältiges Bild gezeichnet. Mexico ist ein Land das Mühe hat, die organisierte Kriminalität abzubauen und einen Rechtsstaat für alle aufzubauen. Dabei ist die Situation in den einzelnen Bundesstaaten sehr unterschiedlich. Viele meinen, dass in manchen dieser Gliedstaaten nicht nur Parallelstrukturen zwischen legalen und illegalen Kräften herrschen, sondern sie sogar identisch sind.

Der jetzige Präsident Enrique Pena Nieto, der als Reformpräsident angetreten ist, bekommt einen vielfachen Widerstand zu spüren. So auch durch die Lehrergewerkschaft, die ausgehend von der stark „konservativen“ Lehrervertretung in Oaxaca die Schulreformen torpediert. Sie will ihren starken Einfluss auf die Unterrichtsgestaltung sowie die Einteilung der einzelnen LehrerInnen und deren Bezahlung nicht verlieren. Nun ist der Präsident selbst und seine Frau mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert und das schwächt ihn natürlich. Hinzu kommt der schwerwiegende Fall der Ermordung einer großen Anzahl von Studenten. Nur wenige konnten gefunden und – durch Gerichtsmediziner aus Innsbruck – identifiziert werden. Hinzu kommt, dass eine internationale lateinamerikanische Untersuchungskommission an ihrer Arbeit nicht unwesentlich behindert wird und so auch nicht Gespräche mit Militärs in der Nähe des Tatortes aufnehmen darf.

Generell ist die organisierte Kriminalität eines der größten Probleme Mexikos. Auch nach der Verhaftung einiger führender Köpfe – einer allerdings ist vor kurzem dem Gefängnis entkommen, ändert das nichts Prinzipielles am Bandenwesen. Anstatt der großen Aktivitäten im Drogenschmuggel kommt es dann oft zu „kleineren“ Aktivitäten wie Schutzgelderpressung. Und das betrifft dann die „normale“ Bevölkerung umso mehr. Eine landesweite Organisierung der Zivilgesellschaft gegen die verschiedenen Arten der Korruption und der kriminellen Machenschaften findet leider nicht statt – trotz Aktivitäten einzelner Initiativen.

Auch die Privatisierung des staatlichen Erdölkonzerns bzw. die Vergabe von Bohrrechten geht nicht so reibungslos vor sich, wie sich das der Präsident vorgestellt hat. Allerdings liegt dies nur zum Teil an einer schlechten Vorbereitung der Versteigerung der Rechte sondern auch stark am gesunkenen Erdölpreis. Aber Wettbewerb tut der staatlichen Firma PEMEX sicher gut.

Mexiko wendet sich in zunehmendem Maße auch dem pazifischen Raum zu und tut dies vor allem gemeinsam mit Kolumbien, Peru und Chile. Auch der Abschluss der Verhandlungen zum pazifischen Handelsabkommen TPP unterstreicht diese Orientierung. Dabei gehen die Meinungen auseinander, wieweit dieses Abkommen Mexiko und seiner Wirtschaft hilft bzw. die Dominanz der USA in diesem Raum verstärkt. Unabhängig davon ist aber auch China, das nicht am TPP teilnimmt in dieser Region sehr aktiv.

Mexico ist aber sehr daran interessiert die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu Europa zu verstärken, um eine Balance zu den anderen Kräften zu halten. Österreich spielt dabei keine allzu große Rolle, aber man sollte sie auch nicht unterschätzen. Vor allem da nun der Streit um die Federkrone, die sich im Wiener Weltmuseum befindet, zwar nicht beigelegt aber eingefroren wurde und auch der Habsburger Kaiser Maximilian von Mexiko heute etwas in besserem Licht als Reformer und Liberaler erscheint. Österreich sollte jedenfalls die Chance nützen, seine Beziehungen zu diesem wichtigen Land des lateinamerikanischen Pazifikraums auszubauen. Es gibt genügend Menschen in Mexiko, die sich das wünschen.

Ein Thema, das sowohl Europa als auch Mexico besonders berührt ist die Migration. Dabei ist Mexiko sowohl von Auswanderung als auch von Einwanderung bzw. Durchwanderung betroffen. Zwar kommen derzeit mehr MexikanerInnen aus den USA zurück als dorthin auswandern. Grund dafür sind die verschlechterte Wirtschaftslage in den USA und ein härteres Vorgehen gegen illegale Einwanderung in manchen Bundesstaaten. Und zum Teil ist auch der lange, von den USA errichtete, Grenzzaun dafür verantwortlich, obwohl auch der immer wieder überwunden wird. Die Einwanderung hingegen kommt vor allem aus dem Süden und hat besonders schlechte Wirtschaftslagen und Gewalt in den Nachbarstaaten als Ursachen. Allerdings werden manche dieser EinwanderInnen dann von der organisierten Kriminalität in Mexiko für ihre Zwecke „beschäftigt“, manche finden „normale“ Jobs und nur wenigen gelingt die illegale Einwanderung in die USA.

Havanna

Hannes-Swoboda-Kuba2015

Auch Kuba beschäftigt das Wanderungsproblem sehr. Zum Unterschied zur Abwehr der Einwanderung aus Mexiko und anderen lateinamerikanischen Staaten haben die USA die Auswanderung aus Kuba geradezu animiert und begünstigt. Jeder Kubaner, der auch wie immer seinen Fuß auf den Boden der USA brachte, hatte ein Recht auf Aufenthalt bekommen. Die USA, getrieben durch eine extremistische kubanische Exilgemeinschaft vor allem rund um Miami, wollten Kuba ausbluten, wenn ihnen schon nicht die militärische Aktion, wie die katastrophale Aktion in der Schweinebucht unter Kennedy, nicht gelang.

Nun diese aggressive und zynische Politik der USA versucht Obama zu korrigieren. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen war ein großer Schritt, der vor allem von den älteren Exilkubaner heftig kritisiert wurde; die Jüngeren hingegen sahen eine Chance das Land ihrer Herkunft näher kennen zu lernen und neue – auch wirtschaftliche – Kontakte aufzunehmen. Und auch Kuba versucht mit vorsichtigen Schritten diese Verbindungen zu fördern. Wichtiger wäre es allerdings jetzt auch die Sanktionen aufzuheben, aber da wehrt sich noch der dafür zuständige US-Kongress.

Das Gespräch, das Peter Stania und ich als Vertreter des Österreichischen Internationalen Instituts für den Frieden (IIF) im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kubas hatten, war durchaus positiv. Natürlich merkt man noch eine zögerliche Haltung was die wirtschaftlichen und vor allem die politischen Reformen betrifft. Auch die Diskussionen im Rahmen einer Konferenz, die vom kubanischen Forschungsinstitut für Internationale Politik veranstaltet wurde, machten deutlich, in welcher Konfliktsituation sich viele kubanische – mehr oder weniger linientreue – Intellektuelle befinden. Es gibt für sie in den Referaten und Diskussionen immer wieder zwei Referenzen: Fidel Castro und die USA. Die zu Fidel Castro bleibt natürlich positiv, die zu den USA bleibt auch negativ und kritisch, aber wird doch einer gewissen Neubewertung unterworfen. Dabei wird festgestellt, dass die Entspannung mit Kuba auch den Interessen der USA entspricht, da sie immer mehr für die Isolierung Kubas, vor allem in der Karibik und in Südamerika, kritisiert wurde. Und natürlich gibt es auch Kapitalinteressenten die auf Investitionsmöglichkeiten in Kuba warten.

Es ist durchaus verständlich, dass sich Kuba nach all dem aggressiven Verhalten der USA nicht einfach zu einem neuen Verhältnis hinwenden kann. Man darf ja auch nicht vergessen wie die USA, nicht nur in Kuba, einen Regimewechsel versucht hat. Der leider erfolgreiche Putsch in Chile, die Haltung gegenüber Venezuela etc. sind alles Zeichen einer hegemonialen Politik, die nicht den Prinzipien einer demokratischen und rechtsstaatlichen Aussenpolitik entspricht.

Dabei wurde von manchen Referenten und Diskutanten auf besagter Konferenz alles an nationalen Protesten und Aktionen gegen gewählte Regierungen den USA in die Schuhe geschoben. Auch im Falle Brasiliens wurde nicht auf die Hintergründe der Proteste und die Korruptionsvorwürfe eingegangen. Und das nicht nur von den kubanischen TeilnehmerInnen sondern auch von anderen lateinamerikanischen ExpertInnen. Die Auswirkungen der hegemonialen Machtausübung der USA in ihrer „Einflusszone“ beeinflussen nach wie vor stark jedenfalls einen Teil der lateinamerikanischen Debatte. Für Schattierungen und Differenzierung besteht da oft wenig Platz und Bereitschaft.

Was in Kuba, jedenfalls in Havanna deutlich wird, wenn man durch die Straßen geht, ist die Bedeutung des Bildungswesens. Es gibt viele Schulen und eine zum Teil neu renovierte Universität von Havanna und außerdem auch kleinere Universitäten. Seitens des Instituts für den Frieden wollen wir gerade mit der Havanna Universität sowie einer kleineren, dem Außenministerium nahe stehenden Universität (ISRI), deren Rektorin Isabel Allende heißt, zusammenarbeiten. Natürlich gibt es neben gemeinsamen Anschauungen auch erhebliche Meinungsverschiedenheiten der politischen Beurteilungen. Aber es wäre wichtig in einen intensiven Dialog einzutreten. Wir könnten sicher beide davon lernen. Und gerade jetzt in dieser schwierigen Phase des Übergangs bzw. der Transition – die Kubaner sprechen lieber von Adaption bzw. Upgrading – wäre ein solcher Dialog sehr spannend und hilfreich.

Wie gesagt, leicht wird es nicht sein, diesen Übergang in eine neue Phase der Entwicklung zu schaffen. Denn die außenpolitischen Erfolge Kubas, von der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu den USA bis zur erfolgreichen Vermittlung zwischen der Rebellengruppe FARC und der kolumbianischen Regierung, helfen noch nicht den BürgerInnen, die auf mehr Einkommen und bessere öffentliche Versorgung warten. Nur dann könnten auch die Versuche, sich auf krummen Wegen ein Zusatzeinkommen zu verschaffen – ich war betroffener Zeuge davon -, bekämpft werden. Einige Restaurants für die Reicheren und TouristInnen sind für die „NormalbürgerInnen“ außer jeder Möglichkeit. Das Auseinanderklaffen von Einkommen und Vermögen kann gerade in Zeiten der Transformation oder Anpassung zu neuen Spannungen führen. Und so oft kann Papst Franziskus nicht nach Kuba kommen, wo das Zentralkomitee die Bevölkerung auffordert, auf den Platz der Revolution zu kommen, um den Papst zu begrüßen und alle dann glücklich und zufrieden sind.

Was ich aber ganz persönlich ebenfalls wichtig finde, ist die sorgfältige Renovierung und zum Teil Rekonstruktion der einmaligen Stadt Havanna. Da gibt es enorm viel an Gebäuden und Flair zu erhalten und zu pflegen. Aber natürlich ist auch moderne Architektur notwendig. Städte sind nie Museen. Aber Havanna hat die einmalige Chance, jetzt nicht alles neuen kommerziellen Investoren zu opfern, sondern die Erneuerung und den Ausbau der Stadt mit Sorgfalt und Überlegungen zu planen und durchzuführen. Was auch faszinierend an dieser Stadt ist, ist die Präsenz von Kultur zum Beispiel von Galerien. Selbst am sehr einfachen und bescheidenen Flughafen gibt es weniger touristische Massenware aber dafür einige durchaus ansehnliche Graphiken und gemalte Bilder zu kaufen. Genau dieses Kunstverständnis sollte auch zu einer künstlerisch und architektonisch sensiblen Erneuerung von Havanna führen.

Da sich Europa in der Vergangenheit mit wenigen rühmlichen Ausnahmen zu sehr an die von den USA vorgegebenen Verhaltensregeln gegenüber Kuba gehalten hat, ist es höchst an der Zeit Kuba zu helfen, die kommenden schwierigen Jahre gut zu bewältigen. Vor allem gilt es auch – gemeinsam mit den Ländern Lateinamerikas – den USA klar zu machen, dass ein Weg zurück nicht machbar ist und jedenfalls von Europa keineswegs mitgetragen werden kann. Im Gegenteil, es ist höchste Zeit die Sanktionen und die Isolierung vollständig aufzuheben.

Schlussfolgerung

Lateinamerika ist nicht gerade ein Schwerpunkt europäischer und schon gar nicht österreichischer Politik. Aber immerhin ist Österreich in Mexiko und Kuba mit zwei BotschafterInnen vertreten. Und im Dezember kommt eine hochrangige Wirtschaftsdelegation unter Führung von Minister Stöger und dem Vizepräsidenten der Wirtschaftskammer Matznetter nach Kuba. Gerade im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen im pazifischen Raum inklusive dem lateinamerikanischen Teil davon und dem Investitionsbedarf in Kuba hat Österreichs Wirtschaft nicht unbeträchtliche Investitions- und Exportchancen. Aber vergessen wir auch nicht die kulturellen Beziehungen, deren Ausbau beiden Seiten neue Dimensionen erschließen könnten.