Erneut in Georgien

Es ist schon eine lange Zeit her, dass ich in Georgien gewesen bin. Jedenfalls war das letzte Mal noch Saakaschwili Präsident dieses Landes. Inzwischen gab es Parlamentswahlen, die Iwanischwili, der in Russland zu Reichtum gekommene Magnat, gewann. Er blieb allerdings – freiwillig – nur für kurze Zeit im Amt. Auch ein neuer Präsident wurde gewählt. Der in dieser Wahl unterlegene Kandidat, David Bakradze, ist jetzt Chef der Opposition, eine Opposition, die allerdings stark unter Druck der Regierungsmehrheit steht.

Saakaschwili war sicher eine sehr autoritärer Präsident, der auch Gesetze zurecht gebogen hat, wenn es ihm passte. Es ist verständlich, dass unter der nun sicher unabhängigeren Justiz manche Verfahren gegen „seine“ Leute angestrebt und auch durchgeführt werden. Dennoch kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Justiz oftmals selektiv vorgeht.

Jedenfalls ist das Verhältnis zwischen Regierung und Opposition äußerst gespannt. Ich konnte dies bei den Besuchen beim Premierminister und beim Chef der Opposition deutlich merken. Hinzu kommt, dass nach allgemeiner Beurteilung, der wirklich Regierende der Kurzzeit-Premierminister Iwanischwili ist . Er gibt auch immer wieder Pressekonferenzen, wo er auch der Regierung Vorgaben macht und sogar den von ihm ins Rennen geschickten Staatspräsidenten kritisiert. Ein eigenes Verständnis von Demokratie! Am ehesten versucht noch Parlamentspräsident Usupaschwili, den ich auch schon vorher in Brüssel traf, zwischen Opposition und Regierung zu vermitteln und eine einigermaßen eigenständige Position zu vertreten.

Die Zerstrittenheit zwischen Regierung und Opposition ist angesichts der geopolitischen Lage mit der Besetzung von zwei georgischen Regionen durch Russland, Abchasien und Südossetien, problematisch. Da würde es mehr Einigkeit in Grundsatzfragen und vor allem im Verhältnis zum großen Nachbarn benötigen. Denn wie ich selbst an der „Administrative Boundary Line“ zu Südossetien sehen konnte, verschieben die Russen immer wieder die „Grenze“ in Form eines Stacheldrahtverhaus weg von der nach dem kurzen Krieg 2008 vereinbarten Linie ins georgische Landesinnere. Auch wenn dadurch nur wenige Bauern betroffen sind, ist diese willkürliche Grenzverschiebung menschlich und politisch inakzeptabel.

Vor allem angesichts des mit Russland „Verbündeten“ im Süden des Landes, Armenien und des Konflikts um Nagorno-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan befürchten die Georgier den Durchmarsch Russlands, falls Putin den Armeniern zu Hilfe kommen möchte. Jedenfalls bleibt das Verhältnis zwischen Georgien und Russland gespannt. Und das, obwohl die jetzige politische Mehrheit gegenüber Russland viel positiver eingestellt war. Auf eine diesbezügliche Frage meinerseits meinte die georgische Außenministerin, wahrscheinlich sei Russland enttäuscht, dass auch die neue politische Mehrheit die territoriale Unversehrtheit Georgiens klar verteidige.

Und auch die jetzige Regierung will weitere Schritte in Richtung Nato-Mitgliedschaft unternehmen, um sich gegenüber Russland abzusichern. Aber angesichts der Animosität Russlands, jedenfalls Putins gegen jegliche Erweiterung der Nato, aber inzwischen auch des EU-Einflusses, scheint das äußerst risikoreich. Sicher müssen wir die souveränen Wünsche einzelner Länder respektieren. Aber zum Nato-Beitritt bedarf es ja zwei Seiten und es gibt da keinen Beitritts-Automatismus. Aber was den vorgesehenen Assoziierungsvertrag mit der EU betrifft, so gibt es wie mit Moldawien den festen Willen, ihn im Juni zu unterzeichnen. Es wäre auch falsch, diesbezüglich vor Russland zurückzuweichen.

Dennoch müssen wir uns überlegen, wie wir seitens der EU das Verhältnis zu unseren Nachbarn im Osten und wie wir in diesem Zusammenhang die Beziehung zu Russland gestalten sollen. Ich habe dies auch mit einigen jungen Armeniern, die ich in Tiflis getroffen habe, diskutiert. Armenien hat sich ja nach ursprünglicher Bereitschaft, ebenfalls ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, zurückgezogen. Die große armenische Diaspora, die auch einen hochrangigen Berater für Putin stellt, hat da sicher einen entsprechenden Einfluss auf diesen Rückzieher gehabt. Und eine Mehrheit in Armenien selbst tritt für den Beitritt zur von Russland vorgeschlagenen Zollunion ein. Wie erwähnt, Russland ist der große Verbündete in der entscheidenden nationalen Frage, dem Konflikt um die von Armenien „befreite“ Region von Nagorno-Karabach mit Aserbaidschan.

Generell benützt Russland, insbesondere unter Präsident Putin, die verschiedenen Konflikte in seiner Nachbarschaft, um seinen Einfluss aufrecht zu erhalten bzw. zu verstärken. Das mag uns in der EU nicht gefallen. Und für viele Betroffene in der Region bringt das Leid und Ungemach. Georgier mussten aus Abchasien und Südossetien fliehen und können kaum mehr ihre Felder in den besetzten Regionen bestellen. Azeris mussten nicht nur aus Nagorno-Karabach fliehen, sondern auch die angrenzenden Regionen in Aserbaidschan selbst verlassen.

Aber all dieses Unrecht und menschliche Leid interessiert die Machthaber in Russland und deren Statthalter und Verbündete in den betroffenen Regionen nicht. Dabei haben auch die Mehrheiten in Georgien und in Aserbaidschan im Zuge der Staatsgründung nach Zerfall der Sowjetunion gegenüber den russischsprachigen bzw. armenischen Minderheiten Fehler begangen. Der Respekt für Minderheiten war und ist zum Teil heute noch nicht wirklich ausgeprägt. Und das ist eine klare Aussage, die Europa von der Ukraine bis in den Südkaukasus machen muss: Es gilt, eine fortschrittliche Minderheiten Politik zu betreiben. Das gilt allerdings auch für die EU selbst, gerade auch in den baltischen Staaten gegenüber der russischsprachigen Minderheit.

Und Europa darf die Regionen sicher nicht dem Einfluss Russlands überlassen. Wir müssen aber die gestärkte Position Russlands unter dem „neuen“ Putin zur Kenntnis nehmen. Jenen, die sich klar für eine enge Anbindung mit der EU aussprechen, müssen wir auch entsprechende Angebote machen. Sie müssen die Zusage einer europäischen Zukunft bekommen. Andere, so wie Armenien, sollte man aber nicht einfach abschreiben. Wir sollten einen engen Dialog mit ihnen aufrecht halten. Es gibt auch dort viele, vor allem auch jüngere Menschen, die sich an den Werten orientieren, die die – leider manchmal auch bei uns vergessenen – Grundlagen der europäischen Einigung sind. Wir sollten uns vor Schwarz-Weißmalerei und einem Entweder-Oder hüten. Da die Situation in unserer – und Russlands – Nachbarschaft komplizierter ist, muss auch unsere politische Antwort komplexer ausfallen.