Europa braucht einen ökonomischen Kurswechsel

Hannes-lächelndEuropa befindet sich in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Alle Versprechungen der europäischen Gipfel und der G20 Gipfel konnten keinerlei Abhilfe gegen die Krise bewirken. Das trifft auch auf den jüngst beschlossenen Fiskalpakt zu. Gerade dieser führt insofern in die Irre, da er von falschen Voraussetzungen ausgeht. Jörg Asmussen, Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank sieht in ihm “ die richtige Medizin für das, was wir als eine der Hauptursachen der Staatsschuldenkrise erkannt haben: die mangelnde haushaltspolitische Disziplin.“

Ich weiß nicht wie er zu dieser Feststellung kommt, war doch nur in Griechenland eine schlampige und unkontrollierte Schuldenpolitik die Ursache für die Staatsschuldenkrise. In anderen Ländern gab es vor der Grundstücksblase und den Finanzmarktturbulenzen vielfach sogar Budgetüberschüsse. Und oft waren die hohe private Verschuldung und die Zahlungsbilanzprobleme die Ursachen für nachfolgende Budgetkrisen.

Eine extreme ideologische Verblendung  kann nur die Ursache für diese den Tatsachen widersprechende Ursachenfeststellung sein. Will man staatliche Aktivitäten aus politischen Gründen abbauen und das Marktversagen verdecken, dann allerdings muss an diese Ideologie vertreten.

Man überdeckt dabei außerdem das eigene Versagen die volkswirtschaftlichen Entwicklungen nicht rechtzeitig erkannt zu haben. Die Ideologie der Deregulierung und unbegrenzten Liberalisierung hat ja zum finanzpolitischen Desaster beigetragen. Auch die größer werdende Ungleichheit in den USA hat ebenfalls zur gefährlichen und ungesunden Kreditexpansion im Grundstücks und Häusersektor beigetragen. Und auch die Zögerlichkeit und Unentschlossenheit der Politik mit effizienten Maßnahmen zu reagieren muss auch immer wieder „entschuldigt“ werden.

Diese neo-liberale Marktideologie hat nun vor allem die Expertokratie der internationalen Institutionen erfasst. Zwar war der „Washingtoner Konsens“ kurzfristig diskreditiert worden. Aber die europäische  noch mehr als die US amerikanische Ideologie hat diese neo-liberale Orthodoxie wieder belebt. Wie die Heuschrecken fallen die Experten von internationalen Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und leider auch der EU-Kommission in Länder wie Griechenland ein und verkünden dort ihre Ideologie als ökonomische Weisheiten. Zu den Heuschrecken der Finanzmärkte kommen nun also auch die Heuschrecken der internationalen und europäischen Expertokratie. Die Financial Times Deutschland spricht im Falle Griechenlands von einer Abbruch-Troika.

Es fehlt  nach wie vor an einer Wachstumsstrategie insbesondere seitens der Europäischen Union. Und ohne Wachstum kein Beschäftigungszuwachs und keine vermehrten Steuereinnahmen und damit keine Verbesserung der Budgetentwicklung.

Damit lässt die Politik die einigermaßen funktionierenden Institutionen wie die Europäische Zentralbank allein. Schon bei der Gründung der EZB hat sich Deutschland leider zum Schaden der europäischen Wirtschaftsentwicklung durchgesetzt. Die alleinige Konzentration auf das Inflationsziel hat die EZB unsensibel für die anderen Ziele und deren Verfehlung  gemacht. Wie konnten sonst die sich abzeichnenden makroökonomischen Entwicklungen übersehen werden. Das betrifft sowohl die fiskalischen Entgleisungen in Griechenland bereits ab 2000, als auch die Zahlungsbilanzungleichgewichte in einigen Ländern und die Grundstücks- und Baublase in Ländern wie Spanien.

Wichtig wäre es also der EZB eine weitergefasste Zielsetzung zu geben. Sie müsste zumindest die Aufgabe haben die europäische und die betreffende nationale Politik auf entsprechende Ungleichgewichte aufmerksam zu machen und gemeinsam mit ihnen Kurskorrekturen zu beraten und umzusetzen. Natürlich wäre es in diesem Sinne konsequent sie auch als “ lender of last resort“ einzusetzen. Aber das ist derzeit nicht durchzusetzen.

Entscheidend ist, dass die EZB ihre Möglichkeiten voll und kreativ ausnützt. Der neue EZB-Präsident Mario Draghi hat dies kürzlich getan. Durch eine Liquiditätsspritze an die Banken in Form eines „Dreijahrestender“ konnte Draghi die Finanzmärkte beruhigen und der Politik eine Verschnaufpause verschaffen. Die Frage ist allerdings, ob die Politik diese Pause auch nützt. Das gilt auch für die Verschnaufpause, die eine Einigung mit Griechenland bringt. Auch die müsste nicht nur die griechische, sondern insgesamt die europäische Politik ausnützen.

Oberstes und vorrangiges Ziel ist es die bestehenden makroökonomischen Ungleichgewichte in Europa langfristig aber stetig zu verringern. Sowohl die Überschuss- als auch die Defizit Länder müssen daran arbeiten. Der langfristige Abbau der Budgetdefizite darf dabei nicht aus den Augen verloren gehen, aber er darf nie das einzige Ziel sein. Noch ist die Wiedererlangung des Triple A das Ziel. Nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung sind die Ziele und damit werden auch wieder ausgeglichene Budgets erreicht.

Und das bedingt eine gemeinsame europäische Politik, denn nur dann können die Ungleichgewichte behoben werden. Deutschland kann insofern nichts das Vorbild sein, denn nicht alle können einen Zahlungsbilanzüberschuss haben. Wenn sich alle so wie Deutschland verhalten, kann Deutschland nicht mehr Deutschland sein.

Was wir in Europa brauchen ist also ein mehr an gemeinsamer und abgestimmter Politik:

-Ein gemeinsames Auftreten auf den Kapitalmärkten in Form von Eurobonds. Mit diesen sollte eine vernünftige Haushaltsfinanzierung unterstützt werden.

-Eine abgestimmte konjunkturpolitische Steuerung auch über die Budgetpolitik, die allerdings für im Durchschnitt ausgeglichene Budgets sorgen muss.

-Eine Lohnpolitik, die sich an den jeweiligen Produktivitätsfortschritten orientiert. Die Löhne sollten dabei weder hinter den Produktivitätsgewinnen zurückbleiben wie in Deutschland, noch ihnen davon laufen wie eine Zeitlang in Griechenland.

-Eine Wiederbelebung einer europäischen Industriepolitik die im Einklang mit den Grundsätzen einer nachhaltigen Umwelt- und Energiepolitik stehen muss. Dabei sind in den einzelnen Ländern die jeweiligen Potentiale zu unterstützen.

-Ein gezielter Einsatz der EU-Fördermittel zur Unterstützung der Wettbewerbspolitik ebenso wie die Weiterentwicklung des Binnenmarktes.

-Eine Europäische Zentralbank die ihre Möglichkeiten voll ausnützt, wie derzeit mit der vermehrten Geldversorgung der Banken. Sie sollte aber auch den Auftrag bekommen, nicht nur die Inflationsrate niedrig zu halten sondern auch das makroökonomischen Gleichgewicht national und europäisch zu beobachten und gemeinsam mit der Politik zu bewahren – realistischer Weise im Rahmen der bestehenden Kompetenzen und ohne die Funktion als „lender of last resort“ ausüben zu können.