Europa Plus

Hannes-lächelndWährend meiner ganzen politischen Laufbahn beschäftigte ich mich immer wieder mit Fragen der gesellschaftlichen Integration von Minderheiten und generell von benachteiligten Menschen. Auf diesem Gebiet haben wir viele ungelöste Probleme. Und wenn Integration zum Unterschied von Migration formal keine europäische Kompetenz ist, was nicht ganz logisch ist, so stellt der Mangel an Integration dennoch ein europäisches Problem dar.

Anlässlich meines letzten Aufenthalts in Rom besuchte ich eine demokratische Abgeordnete, die eine Initiative gestartet hatte, allen in Italien geborenen die italienische Staatsbürgerschaft anzubieten. Damit sollte schon den Kindern und Jugendlichen eine neue Heimat gegeben werden und die Identifikation mit ihrer unmittelbaren Lebenswelt erleichtert und gestärkt werden.

Bei meinem letzten Besuch in Berlin besuchte ich die Initiatoren der Bewegung Deutschland Plus. Ihnen geht es um die vielfaltige Identität. Neben der Deutschen gibt es für viele Menschen auch noch eine türkische, serbische, indische, algerische etc. Identität. Natürlich gibt es dann noch unterschiedliche religiöse und nicht-religiöse Identitäten. Wir können nicht – und heute schon gar nicht- die Menschen auf nur eine Identität reduzieren. Und man sollte ihnen auch nicht ihre angestammte Identität/Wurzeln wegnehmen. Man sollte ihnen vielmehr anbieten eine neue zu erwerben.

Um die Frage der Identität ging es auch bei einer Diskussion die ich mit dem bekannten niederländischen Schriftsteller Leon de Winter und dem US Botschafter Murphy in Deutschland  in Aachen hatte. Diese Diskussion wurde am Tag vor der Verleihung des Karlspreises an den Deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble organisiert und behandelte die Frage, ob wir mehr Integration in Europa brauchen. Aber Leon de Winter brachte uns bald auf das Thema Identität mit seiner antieuropäischen, niederländisch-nationalen Einstellung.

Er beharrte nämlich auf seiner niederländischen Identität die er gegen Versuche ihn zu einem Europäer zu machen verteidigte. Nachdem ihm provinzielle Gesinnung vorgeworfen wurde, bezeichnete er sich mit Hinweis auf seinen zweiten Wohnsitz in Kalifornien  als „provinzieller Weltbürger“! Ich unterstrich in der Debatte diese Bezeichnung und meinte nur Leute die jederzeit in der Welt herumreisen können, können es sich erlauben provinziell zu denken und nicht am Aufbau eines gemeinsamen Europa interessiert zu sein. Wir, die wir in Europa leben, müssen uns um unseren  Kontinent kümmern und ihn angesichts der globalen Herausforderungen stärken.

Der bekannte und von mir sehr geschätzte ungarische Schriftsteller György Konrad meinte sogar, der Begriff (einer kollektiven) Identität sei grundsätzlich sehr problematisch. Denn jeder hat seine eigene Identität auf Grund seiner individuellen Geschichte. Die Betonung der nationalen Identität sei nur ein Angebot an die Nationalisten, die das für ihre politischen Zwecke ausnützen würden. Ich gebe Konrad, mit dem ich gerade im Hinblick auf den ungarischen Nationalismus in letzter Zeit in engem Kontakt stand,  Recht. Entweder sollten wir auf diesen schillernden Begriff der Identität überhaupt verzichten, oder wir müssen immer wieder die  Vielfältigkeit der Identitäten in ein und derselben Person betonen.

Aus diesen Gründen scheint mir eine Aktion Europa Plus sehr angebracht zu sein. Gerade als Europäer sind wir durch viele Identitäten gekennzeichnet und dies gilt in besonderem Masen im Hinblick auf die Migration. Und die kann ja auch ein „Guthaben“ für unsere Gesellschaften darstellen. Nämlich dann, wenn wir die Menschen mit Migrationshintergrund integrieren ohne sie ihrer Herkunftsbeziehungen und ihres Hintergrundes zu berauben. So können sie uns und unsere europäischen Gesellschaften genau dadurch bereichern. Und so kommen wir wirklich zu einem Europa Plus.