Europa und die Krise / Europa in der Krise / Wie kommt Europa aus der Krise?

Swoboda 08Vom Jahr 2011 wird vielfach als einem Epochenjahr gesprochen. Dabei geht man vor allem von den Umwälzungen im arabischen Raum aus. Ansonsten müsste man allenfalls von einem – weiteren – Krisenjahr sprechen. Es befindet sich ja nicht nur Europa in einer Krise, sondern auch andere Kontinente bzw. Staaten. Als Beispiele sollen die USA, Russland und China angeführt werden.

Die USA

Die Vereinigten Staaten befinden sich in einer finanziellen, wirtschaftlichen, aber auch politischen Krise. Die Demokraten und Republikaner blockieren sich gegenseitig massiv. Dabei argumentieren die Republikaner, insbesondere die Tea Party-Leute, extrem untergriffig gegen Obama und treiben alle Kandidaten ins extrem-konservative Lager. Die innere Spaltung unterstreicht noch die außenpolitische Schwäche der USA. Sicher, sie sind noch immer die größte Militärmacht. Aber was haben sie durch die Irakinvasion erreicht, was im Rahmen des Afghanistankrieges? Ein enger Verbündeter wie Mubarak musste zurücktreten. Und wie lange das Militär in Ägypten US-freundlich und innenpolitisch in einer starken Stellung bleibt, ist auch fraglich.

RUSSLAND

Bis vor kurzem noch galt Russland als äußerst stabil und insbesondere Putin als fest im Sattel sitzend. Dabei konnte er sich den Sattel, in dem er sitzen wollte, selbst aussuchen. Nach den Wahlen, bei denen wahrscheinlich sogar weniger geschummelt wurde als bei den letzten Wahlen, sehen die Dinge anders aus. Ich gehe nicht davon aus, dass Putin bald abdanken wird. Aber nach seiner Entscheidung, wieder für das Amt des Staatspräsidenten zu kandidieren, sprachen die Medien von zwei weiteren Amtsperioden. Da bin ich mir nicht mehr so sicher.

CHINA

In China gibt es am laufenden Band Krisen und Unruhen. Das ist bei einem so riesigen und vielfältigen Reich auch nicht verwunderlich. Bisher haben es die Mächtigen seit Deng Tsioping oft verstanden, aus einer Mischung von Härte und Brutalität einerseits und von Flexibilität anderseits eine Machtbalance zu halten. Ob das gelingt, ist angesichts der Fülle von sozialen und ökologischen Problemen und dem Internet zu bezweifeln. Im Herbst 2012 wird eine neue Führung installiert, die vorgesehenen Spitzenfunktionäre verhalten sich dezent ruhig, um nicht negativ aufzufallen und Anstoß zu erregen. Daher sind klare Aussagen über den zukünftigen Kurs schwierig.

Zurück zu EUROPA

Welche Art Krisen können wir heute in Europa ausmachen? Es sind mehrere, und sie sind sicher miteinander verbunden. Vielleicht ist generell für Staaten bzw. Staatenverbünde mit höheren Krisen verbunden, weil die grenzüberschreitenden Faktoren heute stärker wirksam sind. In der klassischen Organisationstheorie und -soziologie geht man ja immer von Organisationen mit relativ klaren Grenzen aus. Aber das entspricht immer weniger der Realität. Transnationale und transkontinentale Auswirkungen und Einflüsse haben ein immer größeres Gewicht. So müssen Organisationen und ihr Führungspersonal immer mehr komplexe, innere Aufgaben bewältigen und sich gleichzeitig komplexen und wechselnden äußeren Herausforderungen stellen. Und das bei zunehmendem Drang nach Mitbestimmung und Mitwirkung.

Europa im Sinne der Europäischen Union ist an sich schon eine komplexe Organisation. Sie hat ständige Veränderungen im Sinne der Erweiterung und der Vertiefung in ihrem Programm. Und wenn eine solche Organisation mit hohen Ansprüchen versehen ist und dabei aber immer wieder auf wechselnde Umwelten stößt, dann muss das zu multiplen Krisen führen. Ich möchte hier vier solche Krisen herausgreifen.

1) Wir haben es erstens mit einer INSTITUTIONELLEN KRISE zu tun. Es gibt unterschiedliche Auffassungen, wer was tun soll. Lissabon konnte diese Frage nicht lösen. Weder in den Bereichen, wo eine Neuregelung gefunden wurde, wie in der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“, gelang dies. Noch besteht Klarheit in einem durch die Wirtschaftskrise wichtiger gewordenen Bereich, der im Wesentlichen keine Neuregelung gefunden hat, nämlich der finanziellen Stabilitätspolitik. Insgesamt wurde eine komplizierte institutionelle Konstruktion noch komplizierter, vor allem durch die Einführung eines Ratspräsidenten.

2) Es gibt als zweites eine KRISE der AUFGABEN und ZIELERFÜLLUNG. Mehrere der von der EU sich selber gesteckten Ziele wurden und werden nicht erfüllt. Als prominente Beispiele möchte ich das Lissabon-Ziel und die mit der Euroeinführung verbundenen Erwartungen anführen. Was das Lissabon-Ziel betrifft, wollte die EU der „wettbewerbsfähigste, auf Wissensbasis beruhende Kontinent werden“! Wir sind weit von diesem Ziel entfernt. Und der Euro sollte die wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität fördern. Mit den verschiedenen Schuldenkrisen ist aber diese Hoffnung – jedenfalls vorläufig – nicht erfüllt. Hinsichtlich des Inflationszieles sind die Erwartungen allerdings voll erfüllt worden.

3) Jede Organisation möchte ihre Umwelt kontrollieren und beeinflussen. Aber wir haben auch eine KRISENGESCHÜTTELTE NACHBARSCHAFT und eine KRISE unseres NACHBARSCHAFTSEINFLUSSES. Viele glaubten, dass die EU durch ihre Nachbarschaftspolitik einen stabilen „Ring der Freunde“ – wie es der damalige Kommissionspräsident Prodi ausdrückte – um Europa schaffen könne. Im arabischen Raum kam es aber zu massiven Veränderungen, deren Auswirkungen auf Europa derzeit noch nicht abzuschätzen sind. Und auch die Entwicklungen im Osten, insbesondere in der Ukraine, befinden sich kaum unter unserem Einfluss. Auch die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei befinden sich in einer sehr unstabilen und unsicheren Lage.

4) Man kann auch hinsichtlich der EU von einer GLOBALEN EINFLUSSKRISE sprechen. Etliche Länder wie China, aber auch andere BRICS-Länder, haben an Einfluss und Selbstbewusstsein gewonnen. Bedingt durch ein starkes Wachstum und einer stärkeren Stellung im internationalen Handelsgeflecht spielen diese Länder eine immer eigenständigere Rolle. Das zeigt auch ihr Stimmverhalten im UN-Sicherheitsrat, zum Beispiel im Falle Syriens. Auch die Verhandlungen über Maßnahmen gegen die Klimaveränderungen zeigen dies, wenngleich zuletzt in Durban ein Kompromiss erzielt wurde. Allerdings war dieser auch nur möglich, da die EU mit einigen der schwächsten und vom Klimawandel am stärksten bedrohten Länder eine Koalition einging.

Insgesamt aber werden die Krisen noch durch eine wachsende Diskrepanz zwischen den vielfältigen schwer zu kontrollierenden Einflüssen von außen und den Erwartungen und Vorstellungen der BürgerInnen verschärft. Dabei kommen die Einflüsse nicht nur von außerhalb der EU, sondern auch von außerhalb der Politik. Und dabei sind sie mit inneren Strukturen und Faktoren verknüpft, wie das die Finanzmarktkrise deutlich zeigt. Das unterscheidet auch die heutige Verschuldenskrise von den vergangenen. Auch früher gab es Staatsbankrotte, gerade auch Griechenland betreffend. Die Vernetzung zwischen den Staaten und den Finanzinstitutionen ist allerdings heute viel größer als früher – insbesondere im Euroraum.

Vortrag gehalten am 5.1.2012 im Rahmen des Benedikt-Kautsky Forums.