Europa: Wirtschaft, Bevölkerung und Stadtwachstum

Die Wirtschaftslage

Es kann keinen Zweifel darüber geben, dass sich Europa als Kontinent und als politische Einheit im Sinne der Europäischen Union in einer schwierigen Lage befindet. Die Wirtschaftskrise hat deutliche wirtschaftliche, soziale und politische Spuren hinterlassen. Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten Jahren stark gestiegen und das vor allem für die Jugend in einigen südlichen Ländern. Das Wachstum der Wirtschaft wurde vielfach von einer Stagnation abgelöst. Beide Phänomene haben vor allem auch den Aufstieg der Mittelklasse gebremst. Und das hat wieder den Zulauf zu populistischen und nationalistischen politischen Parteien verstärkt. Europa und vor allem die Eurozone ist damit im Verhältnis zu anderen Regionen der Welt zurückgefallen.

europa

Die politischen Kräfte des Zentrums haben unterschiedliche Vorschläge für die Bewältigung der Krise vorgeschlagen. Dominant wurde die Auffassung, dass die Krise eine Folge der öffentlichen (und privaten) Verschuldung ist. Dementsprechend haben VertreterInnen dieser Auffassung das Sparen als das einzige Heilmittel propagiert. Und dabei hat man sich auf das Sparen bei den öffentlichen Haushalten konzentriert, obwohl manche der Krisenländer wie zum Beispiel Spanien vor der Krise einen Budgetüberschuss hatten. Nur die Europäische Zentralbank hat angesichts der Gefahr einer umfassenden Stagnation in Europa – nach vielen Widerständen – durch massive Anleihenankäufe versucht, Geld in die Wirtschaft zu pumpen.

Diesem in Lehre und Politik der EU vorherrschenden Ansatz der Austeritätspolitik widersprechen Ökonomen von Paul Krugman über Joseph Stiglitz bis zu Peter Bofinger. Sie plädieren für eine aktive Finanzpolitik und öffentliche Investitionen, die die Wirtschaft wieder in Schwung bringen könnten, in einer mehr oder weniger starken Anlehnung an J.M. Keynes. Eine solche auf Investitionen gezielte Fiskalpolitik sollte von einer Politik des billigen Geldes, des Quantitative Easings unterstützt werden. Ihr Argument ist, dass die Investitionen Jobs und zusätzliche Einkommen schaffen und dann in Folge das Steueraufkommen erhöhen und in weiterer Folge die Defizite senken.

Die Obama Administration und die Federal Reserve haben bis zu einem gewissen Masse dieser Doktrin Folge geleistet. Und die Zahlen belegen eindeutig, dass die US Wirtschaft die Krise – bisher – besser überstanden hat. Natürlich haben auch andere Faktoren, wie der Öl- und Erdgasboom, also billige Energie die bessere wirtschaftliche Entwicklung verursacht.

Die Vertreter der Austeritätspolitik verweisen allerdings auf Unterstützung für ihre Politik in der Bevölkerung, nicht zuletzt auf den Wahlsieg der regierenden Konservativen im Vereinigten Königreich und da vor allem in England. Die wirtschaftliche Beurteilung durch die EU Kommission selbst, die ja Vertreterin der Austeritätspolitik ist, fällt dabei etwas zurückhaltender aus.

Laut der Frühjahrsprognose von 2015 besteht Anlass zur Hoffnung, wenngleich zugegeben wird, dass die Auswirkungen der Krise noch jahrelang Spuren hinterlassen werden. Verantwortlich für eine Verbesserung der Wirtschaftslage sind nicht zuletzt der niedrigen Ölpreis und die Abwertung des Euro infolge der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und nicht so sehr die extreme Sparpolitik als solches. Vor allem die gesunkenen Energiekosten haben die Produktion verbilligt und in den Haushalten den Spielraum für andere Ausgaben frei gemacht.

Aber trotz einiger positiver Signale bleibt die Lage prekär:

„The labour market situation is gradually improving, not least due to the structural reforms implemented in several Member States in recent years. But unemployment looks set to remain intolerably high for a long time. The level of debt, in particular corporate and sovereign, remains very high. The share of non-performing bank loans is elevated and continues to rise in some Member States. The shortfall of investment over the past six years has reduced economic growth potential. And, in a more medium-term perspective, the trend of declining productivity growth has not been reversed and population aging will hamper the expansion of the labor force ever more strongly.“

Und im Wall Street Journal war unlängst zu lesen:

„Still, policy markers worry that the recovery will remain weak and could even sputter when the ECB eventually takes its foot off the gas pedal if major countries – particularly France and Italy – don’t dig deeper into revamping labor rules and other changes to spur competitiveness.“

Nun die Arbeitsmarktreformen sind wichtig aber nicht allein entscheidend. Wichtiger noch ist die Ankurbelung der Wirtschaft durch Investitionen und vor allem Innovationen. Gerade die jüngsten relativ positiven Ziffern was die Eurozone betrifft – zum ersten Mal seit langem wuchs die Wirtschaft in der Eurozone im letzten Trimester stärker als die der USA und Großbritanniens – zeigen die nach wie vor vorhandene Schwäche der Investitionen.

Um die zu beheben braucht die europäische Politik und Wirtschaft neben einer Verbesserung des allgemeinen Wirtschaftsklimas risikofreudige und zukunftsoptimistische UnternehmerInnen im weiteren Sinn, also sowohl Selbständige oder auch Unselbständige. Aber die Frage ist woher wir diese unternehmerischen Kräfte nehmen?

Die Bevölkerungsentwicklung

Die nach wie vor triste Lage auf den Arbeitsmarkt könnte darauf schließen lassen, dass es zu viele Arbeitskräfte gibt und die Situation durch die Zuwanderung nach Europa noch verschlechtert wird. Blickt man allerdings etwas tiefer und genauer und blickt man in die Zukunft, ergeben sich andere Schlussfolgerungen. Es stimmt, dass die Bevölkerung der heutigen EU Länder seit 1960 gewachsen ist. Und das nicht zuletzt durch die Zuwanderung. Der Bevölkerungszuwachs ist allerdings von einem zunehmenden Alterungsprozess begleitet.

1960 fielen im Durchschnitt drei Jugendliche im Alter von 0 bis 14 Jahren auf jede Person über 65 Jahre. 2060 könnten laut Prognosen dann mehr als zwei Alte auf einen Jugendliche/ eine Jugendliche kommen. Angesichts der bestehenden Fertilitätsrate würde jedenfalls ein Zuwanderungsstopp den Alterungsprozess noch deutlich beschleunigen.

Die demographische Entwicklung zeichnet allerdings in unterschiedlichen Teilen Europas ein unterschiedliches Bild und dementsprechend ergibt sich eine Hierarchie von Regionen. Das Berliner Institut für Bevölkerung und Entwicklung kommt zu folgendem Schluss:

„Am unteren Ende der Wertung finden sich durchwegs entlegene ländliche Regionen etwa in Süditalien oder Griechenland sowie vom radikalen Strukturwandel betroffene Gebiete in Bulgarien, Rumänien und Polen. Sie sind von einem Bündel negativer demographischer Erscheinungen betroffen: von sehr niedrigen Kinderzahlen, einer massiven Abwanderung junger Menschen und einer entsprechend starken Überalterung der verbleibenden Bevölkerung. Diese ist zudem sozial nicht sonderlich gut gestellt.“

Die Erfolgsregionen erstrecken sich eher von den nord-westlichen hin zu den zentralen Gebieten des Kontinents: also von Stockholm, Oslo, London, Paris dann über den süddeutschen Raum ins westliche Österreich.

Auch die Berliner Studie kommt zum Schluss, dass nur Zuwanderung Bevölkerungswachstum oder auch nur Stabilität ermöglicht. Da aber inzwischen auch die europäischen Auswanderungsländer wie Rumänien und Bulgarien selbst auf Zuwanderung setzen, kann diese nur von außereuropäischen Staaten kommen. Gerade diese ZuwanderInnen stoßen oft auf Widerstand, sind schlecht integriert und das betrifft gerade auch die zweite Generation:

„In praktisch keinem europäischen Land erreichen die Kinder aus der zweiten MigrantInnengeneration, obwohl bereits in der neuen Heimat geboren, annähernd das gleiche schulische Kompetenzniveau wie Menschen ohne Migrationshintergrund. (In Deutschland, Österreich und den Niederlanden etwa haben die Kinder von Zuwanderern im Durchschnitt sogar einen noch niedrigeren Bildungsstand als direkt Zugewanderte!)“ stellt die Berliner Studie fest.

Bildung für MigrantInnen und deren Kinder ist also eine wichtige Investition für die Zukunft unserer Gesellschaft. Aber gerade Bildungsausgaben sind oft dem Sparstift im Rahmen des Austeritätskurses zum Opfer gefallen.

Städte wachsen wieder

Das unterschiedliche Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung sowie Unterschiede im Alterungsprozess und der Migration bewirken auch regionale Verschiebungen und Schwerpunktsetzungen. Wir befinden uns weltweit und in Europa in einer Phase, wo insbesondere Städte wieder stärker wachsen. Zum Teil betrifft dies Megastädte wie New York und London, zum Teil mittlere wie zum Beispiel Wien oder auch – global gesehen – kleinere Städte mit etwa 500.000 Einwohner.

Jedenfalls gibt es auch in Europa viele Städte, die schneller wachsen als ihre Länder im Durchschnitt sich entwickeln. Das Bevölkerungs- und/oder Wirtschaftswachstum in einigen dieser Städte geht dann oft mit Schrumpfungsprozessen in anderen Regionen einher, wie zum Beispiel im Osten Deutschlands.

Aber auch innerhalb der Städte kommt es zu einigen Strukturverschiebungen. In vielen Städten bilden sich neue „Zentren“, die sich manchmal in alten Industriezonen festsetzen. Alte, nicht mehr gebrauchte Lagerhallen werden dann auf mehrere Unternehmungen aufgeteilt. Vor allem dann wenn diese Gebiete gut mit Infrastruktur versorgt sind. Dabei mischen sich oftmals Industrie- mit Dienstleistungsunternehmungen. Das sind dann vielfach Klein-und Mittelbetriebe, nicht zuletzt sogenannte start-ups. Dabei haben in Europa besonders London, Paris und Berlin eine besonders aktive start-up Szene.

Diese kleinen und mittleren Unternehmungen sind meist umweltfreundlich und ziehen es vor, sich durchaus – in mit Wohnungen – gemischten Gebieten anzusiedeln. Anderseits sind sie relativ leicht stapelbar und können in Hochhäusern untergebracht werden. In manchen Fällen allerdings wollen die Unternehmungen die Nähe von anderen Unternehmungen und die entsprechenden Kontakte nicht missen. Und so entstehen neue Zentren neben den alten Zentren, die viele Städte in der Vergangenheit prägten. Das sieht man unter anderem in London, Mailand, Paris etc.

Jedenfalls, handelt es sich durchwegs um digitale Unternehmen und diese werden von gut qualifizierten Menschen geführt, wobei die Unterschiede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zunehmend verschwimmen. In allen Fällen erfordert die neue Wirtschaftsentwicklung flexible und anpassungsfähige Immobilienmärkte. Das gilt sowohl für Städte die relativ gut durch die Zeit der Wirtschaftskrise durchgetaucht sind wie London, aber auch für Städte, die nach Jahren der Wirtschaftskrise jetzt wieder einen neuen Aufschwung suchen wie Madrid.

Aber auch der Wohnungsmarkt erfordert entsprechende Flexibilität. Einerseits gilt es für die mobile start-up Generation entsprechend attraktive und preiswerte Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Anderseits besteht nach wie vor die Notwendigkeit die hochqualifizierten Manager, Forscher etc. mit Wohnraum zu versorgen. Aber auch der Sozialwohnbau darf nicht vernachlässigt werden, ist doch insbesondere angesichts der starken Wanderungsbewegungen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Flüchtlingsströmen ein zusätzlicher Bedarf an Sozialwohnungen mit durchaus entsprechender Qualität entstanden.

Mehr denn je ist die Wirtschaft generell und damit auch der Immobilienmarkt durch eine große Vielfältigkeit und damit auch regional unterschiedlichen Ansprüchen gekennzeichnet. Hinzu kommt eine Internationalisierung der Nachfrage und des Angebots von Immobilien parallel zur Globalisierung der Wirtschaft. So ist auch in manchen Städten Europas eine entsprechende Nachfrage aus Afrika zu bemerken wie es auch entsprechende Angebote aus diesem Kontinent gibt, mit zum Teil horrenden Preisen wie zum Beispiel in Luanda, der Hauptstadt Angolas.

Ein effizienter und das heißt vor allem auch flexibler Immobilienmarkt ist für die Wirtschaftsentwicklung Europas insgesamt und für die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Regionen, insbesondere einzelner Städte und ihrer Agglomerationen entscheidend. Dabei muss das Preis-Leistungsverhältnis stimmen. Das ist aber nicht nur von den privaten Investoren abhängig. Die Investitionen der öffentlichen Hand insbesondere in die Verkehrsinfrastruktur, aber auch in neue Technologien wie Breitbandtechnologien bestimmen nicht unwesentlich die Standortqualität und damit Leistungsfähigkeit und Preise/Mieten bzw. die Renditen.

Die neuen Technologien spielen auch eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der smart city Konzepte, die eine nachhaltige und damit umweltfreundliche und energiesparsame Entwicklung garantieren sollen. Auch darauf muss sich der Immobilienmarkt einstellen. Er muss mithelfen die Liegenschaften sparsam und effizient zur Verwendung und Verwertung zu bringen. Die Flächenansprüche des Arbeitens und des Wohnens pro EinwohnerIn sind gewachsen, umso mehr muss der begrenzte Grund und Boden effizient eingesetzt werden, um ein Ausufern der Städte und ein Auffressen der Grüngebiete zu vermeiden.

Aber für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes bzw. einer Stadtregion sind auch die sozialen Angebote insbesondere der soziale Wohnbau entscheidend. Eine entsprechende, leistbare Versorgung mit Wohnraum auch für sozial Schwächere unterstützt auch die positive Wirtschaftsentwicklung und die Nachfrage nach frei finanziertem Wohnraum durch einkommensstarke Schichten. Und natürlich fördert das auch die Nachfrage nach Immobilien für Unternehmungen die durch das gute soziale und wirtschaftliche Klima angezogen werden.

Zusammenfassung

Europa’s Erfolg und Identität beruht nicht zuletzt auf dem Auf- und stufenweisen Ausbau des Wohlfahrtsstaates. Aber der war immer abhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Heute befinden wir uns -noch- in einer Wirtschaftskrise, die durch eine kritische Bevölkerungsentwicklung samt einem starken Alterungsprozess begleitet wird. Soll der Wohlfahrtsstaat in seinem Kern aufrecht erhalten werden, bedarf es einer neuen Dynamik. Die kann nur – neben einer allerdings begrenzten Verlängerung der Lebensarbeitszeit – durch die wirtschaftlichen Aktivitäten gut ausgebildeter und jüngerer Menschen entstehen. Diese jüngere Generation kann nur durch eine höhere Geburtenrate und/oder durch Zuwanderung herangebildet werden. Das erfordert jedenfalls mehr Investitionen in das Bildungssystem.

Wenn diese jungen Menschen aber dann Arbeit finden wollen – in unselbständiger oder selbstständiger Erwerbsarbeit – dann braucht es auch entsprechend attraktiver Unternehmens- und auch Wohnstandorte. Und da kommt dann die Notwendigkeit einer entsprechend vorbereiteten und anpassungsfähigen Immobilienwirtschaft ins Spiel. Staat und Privat müssen sich abstimmen und zusammenarbeiten, dann kann die Bevölkerung Europas wieder Hoffnung schöpfen.