Europäisch-türkische Annäherung

l1000747Zwei Tage nach meiner Rückkehr aus Ostanatolien ging es wieder in die Türkei. Allerdings nur für einen Zwischenstopp in Istanbul, bevor ich weiter nach Turkmenistan fuhr. Dort hatte ich eine Delegation des Europäischen Parlaments zu leiten, die Wirtschafts- und Menschenrechtsfragen mit den turkmenischen PolitikerInnen diskutieren sollte. Aber zurück zur Türkei.

Während meines spannenden Aufenthaltes in Anatolien las ich in einer englischsprachig türkischen Zeitung, dass der türkische Europaminister Egemen Bagis gemeint hat, Europa brauche die Türkei mehr als die Türkei Europa. Genau diese selbstbewusste, um nicht zu sagen überhebliche Einstellung macht es schwierig, an eine baldige Mitgliedschaft der Türkei zu glauben. Nun, ich kenne diese Haltung von Egemen Bagis. Ich habe mit ihm schon ein paar Mal darüber diskutiert. Diese Einstellung entspricht auch der Aussage unseres Führers in der Stadt Sanliurfa, der meinte, wenn Europa die Türkei nicht will, dann wird man sich nach Osten orientieren. Aber es wäre viel vernünftiger, würde man sich auf den pragmatischen Standpunkt stellen, dass die Türkei mit Europa mehr erreichen kann und auch Europa mit der Türkei. Beide können ohne eine Mitgliedschaft der Türkei überleben. Aber für beide ist ein möglichst enges Verhältnis von Vorteil. Und beide sollten anerkennen, dass eine Mitgliedschaft nicht sicher ist und es jedenfalls noch viel Vorarbeit braucht. Ich erinnere mich immer wieder an ein Gespräch in Istanbul, bei dem ein kritischer Intellektueller meinte, 2023 sollte die Türkei EU-Mitglied sein. Das wäre dann 100 Jahre nach der Gründung der türkischen Republik. Aber entscheidend sind nicht die Jahre der Vorbereitung, sondern die Qualität und Intensität der Reformen.
Natürlich ist das auch eine Frage der Entwicklung der EU selbst. Je stärker die EU, vor allem in ihrer globalen Rolle, wird und je stärker sie in der eigenen Bevölkerung Rückhalt findet, desto eher kann man an eine Erweiterung durch die Türkei (und die Ukraine) denken. Und die Türkei müsste dann auch an der Ausgestaltung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik aktiv mitwirken. Das wiederum setzt auch den Abbau des immer wieder stark bemerkbaren Nationalismus voraus. Ich weiß, dass auch in der EU der Nationalismus im Wachsen ist, aber genau das gefährdet die europäische Einigung. Und wir brauchen sicher keine Verstärkung dieses Trends.

Die EU und die Türkei sollten also mit einer langfristigen Perspektive ohne Aufgeregtheit und gegenseitigen Beschuldigungen am Projekt der europäisch-türkischen Annäherung arbeiten. Beide würden davon profitieren. Und in der Zwischenzeit sollten wir unsere Länder besser kennen und verstehen lernen. Mir ist jedenfalls bewusst, dass ich noch viel zu wenig über dieses spannende Land weiß.