Europäische Architektur

P1190313Nach meiner Diskussionsrundreise, die mich nach Kroatien, Slowenien und Kärnten und dann über Graz nach Wien führte, war ich nach längerer Zeit wieder eingeladen, im von mir mitbegründeten Architekturzentrum Wien eine Ausstellung zu eröffnen. Diesmal handelte es sich um eine Präsentation der preiswürdigen Projekte im Rahmen des Europäischen Architekturpreises, dem Mies van der Rohe Award, der vom EU-Parlament mitbegründet worden ist.

Hauptpreisträger ist heuer David Chipperfield für seine Wiedererrichtung/Neugestaltung des „Neuen Museums“ in Berlin. Zum Glück habe ich dieses Museum und seine herrliche (vor allem auch ägyptische Sammlung) bereits zweimal besucht. Und die bauliche Neugestaltung hat mich außerordentlich fasziniert. Und so konnte ich guten Gewissens und voller Überzeugung nur Positives über dieses Projekt sagen.

Im Rahmen der Vorbereitung auf meine kurze Eröffnungsrede stieß ich auf ein Interview mit David Chipperfield, das mich dazu verleitete, Parallelen zwischen der Architektur und der politischen Architektur Europas zu ziehen. Chipperfields Projekt lebt sehr stark von der spannenden Verbindung von Alt und Neu. Das ist übrigens auch bei der Mehrzahl der im Architekturzentrum Wien ausgestellten Projekte der Fall. Hinsichtlich der Wiedererrichtung des vor allem durch Bomben beschädigten Neuen Museums meinte Chipperfield in besagtem Interview: „Wir wollten den Schaden reparieren, ohne die vorhandene Substanz zu zerstören.“ Genau darum ging es beim Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg und genau darum geht es noch heute. Denn die Schäden des Weltkriegs sind noch keineswegs überwunden. Nationalismus, Intoleranz und Xenophobie, also die Wurzeln vergangener Kriege, kommen immer wieder zum Vorschein. Und leider heute stärker als noch vor einigen Jahren.

Die zweite Parallelität sehe ich in Chipperfields Hinweis, dass Architektur nicht drauf vergessen darf, „dem Einzelnen eine Position, einen Status“ in seiner Umgebung zu geben. Das gilt meiner Meinung nach auch für die Politik und heute für die Europapolitik ganz besonders. Das Unbehagen vieler Menschen mit der Situation und der Politik in Europa wird allzu oft übersehen und negiert. Aber letztendlich geht es ja um den Einzelnen und sein Wohlbefinden in Europa. Und damit rede ich keineswegs einem blanken Hedonismus und Konsumismus das Wort. Aber wir müssen bei der Ausgestaltung des neuen Europas nicht nur an Institutionen und Strategien denken, sondern auch an die Bürgerinnen und vor allem das Gespräch mit ihnen suchen. Ohne diesen Dialog laufen wir in die Irre und das Projekt Europa wird scheitern.

Den letzten Hinweis, den ich in diesem Zusammenhang aufgreifen möchte, ist jener auf die Notwendigkeit des gegenseitigen Vertrauens. Bei Chipperfield geht es vorrangig um das Vertrauen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Im Falle Europas geht es um ein wesentlich vielfältigeres Vertrauensmetz. So sicher um das Vertrauen zwischen den Verantwortlichen der verschiedenen Institutionen und natürlich auch innerhalb dieser Institutionen. Aber auch um das Vertrauen zwischen den verschiedenen und auch unterschiedlich eingestellten BürgerInnen und „der EU“ etc. Vor allem die Finanz- und Wirtschaftskrise hat das gegenseitige Vertrauen zutiefst zerstört. Wir müssen intensiv daran arbeiten, dieses Vertrauen wieder aufzubauen: zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten, zwischen Europäischem Rat, EU-Kommission und Parlament, aber auch zwischen dem EU-Parlament und den nationalen Parlamenten etc. Und natürlich zwischen den BürgerInnen und den verschiedenen politischen Institutionen, aber auch zu den wirtschaftlichen Institutionen wie den Banken etc.

Es ist nicht einfach, ein vorhandenes und zum Teil zerstörtes Gebäude wie das Neue Museum wieder herzustellen und ihm eine neue Form zu geben, ohne die Vergangenheit zu leugnen. Und ich bewundere die Arbeit von David Chipperfield. Aber wahrscheinlich ist es noch viel schwieriger, eine solche Rekonstruktion mit neuer Form auf politischer Ebene zu bewerkstelligen. Wir sind jedenfalls weit entfernt von der Fertigstellung unseres politischen Projekts Europa. Derzeit erleben wir sogar Rückschläge. Aber ich bin der festen Meinung, dass wir nicht aufgeben dürfen. Spätere Generationen würden uns wegen unserer Mutlosigkeit mit Recht schelten.