FLÜCHTLINGSZUSTROM: WIE SCHAFFEN WIR DAS?

Bemerkungen zu einer Tagung des Sir Peter Ustinov Instituts mit dem Titel „Was haben wir geschafft“ in Wien am 18. und 19. Mai 2017. Dieser Beitrag baut auf dem Eröffnungsstatement auf, berücksichtigt aber auch einige Gedanken aus den Diskussionen.

1) Wieviel können wir aufnehmen und integrieren?

Immer wieder wird – meist von Gegnern der Flüchtlingsaufnahme – der Einwand vorgebracht, wir können nicht alle Flüchtlinge in Europa aufnehmen. Grundsätzlich kann ich da nur mit einem Ausspruch des ehemaligen französischen Premierministers Michel Rocard antworten: „Wir können sicherlich nicht das ganze Elend der Welt aufnehmen, wir müssen aber alle unseren Beitrag zur Minderung des Leids leisten.“

Offensichtlich ist es auch eine Frage der Größe und des Umfangs einer Aufgabe die mitbestimmt, ob man die Bewältigung der Aufgabenstellung schafft. Wobei es im konkreten Fall darum geht, Flüchtlinge (ob AsylbewerberInnen oder andere Schutzbedürftige) zu versorgen und sie in die Aufnahme-Gesellschaft einzuführen und zu integrieren. Dabei ist aber festzuhalten, dass Integration  bzw. Inklusion immer eine zweiseitige Angelegenheit ist, sie setzt Integrationswilligkeit bzw. -bereitschaft bei den Flüchtlingen/MigrantInnen, aber auch  der Aufnahmegesellschaft voraus. Der Rückgang des Flüchtlingszustroms hat uns sicher – zumindest vorübergehend – geholfen. Und dabei gilt es den Menschen vor allem in ihren Herkunftsländern und deren Nachbarschaft zu helfen. Aber das kann und darf keine Ausrede sein. Oft geschieht gerade seitens jener, die diese Sprüche führen, nichts oder viel zu wenig in den Herkunftsregionen der Flüchtenden.

2) Wie schaffen wir Integration/Inklusion?

Integration bzw. Inklusion ist über verschiedene Kanäle möglich bzw. notwendig. Kindergarten, Schule, Berufsausbildung und Arbeit stehen dabei im Vordergrund. Damit sind öffentliche und private Teile/Organisationen unserer Gesellschaft angesprochen. Verständlicherweise haben die Bildungseinrichtungen eine besondere Bedeutung. Wichtig ist, dass die Flüchtlinge in Schulen und Klassen kommen, die geeignet sind, ihnen die Integration bzw. die Inklusion zu ermöglichen. Vorurteile hinsichtlich Herkunft dürfen nicht verfestigt werden. Die Bildungseinrichtungen müssen Beispiele für eine vielfältige Gesellschaft darstellen.

Was nun die Integration in den Arbeitsmarkt betrifft, so weiß man wie wichtig das für die gesellschaftliche Einbindung ist. Dabei ist die Vorbildung der Flüchtlinge sehr verschieden und das Arbeitsmarktservice muss seine Ausbildungsmaßnahmen darauf abstellen, also sehr auf individuelle Voraussetzungen Rücksicht nehmen. Vielfach ist die Bereitschaft zu arbeiten sehr hoch, wenngleich manchmal kulturelle Unterschiede die kontinuierliche Arbeitsleistung durch ein und dieselbe Person – und nicht durch mehrere Familienmitglieder – nicht gewährleistet.

Problematisch ist die Tatsache, dass diese Integration in Zeiten stattfindet, in denen die Prekarisierung der Arbeit zunimmt. Wichtig ist es, mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen schon zu Beginn der Asylverfahren zu beginnen. Allerdings wird das dann schwierig durchzuhalten, wenn – zum Beispiel wie im Falle Afghanistans – Flüchtende aus bestimmten Ländern immer weniger Chance auf Asyl oder vergleichbaren Schutz haben. Aber anderseits ist das auch eine effiziente Art der Entwicklungsunterstützung, wenn man Menschen, die wieder in ihre Heimat zurückkehren (müssen), eine Ausbildung gewährt.

Grundsätzlich ist aber von den Unternehmungen, die ja immer wieder mehr Zuwanderung verlangen, zu erwarten, dass sie sich auch stark engagieren bei der Beschäftigung und der Ausbildung. Oft gibt es generelle Vorbehalte gegen Flüchtlinge, die schwer zu überwinden sind.

Aber auch die Zivilgesellschaft spielt eine enorme Rolle. Sowohl die organisierte Zivilgesellschaft vom Roten Kreuz über die Volkshilfe zu den Kirchen haben auch in den letzten Jahren Enormes geleistet. Das trifft aber auch auf viele Menschen außerhalb solcher Organisationen zu, die sich oft sehr spontan zur Hilfestellung bereit erklärt haben. Die Frage ist ob und inwieweit der Staat bzw. einzelne staatliche Stellen diese Hilfestellungen der Zivilgesellschaft anerkannt und unterstützt haben. Und da gibt es berechtigte Zweifel. Leider hat man es verabsäumt die verschiedenen Formen der Zivilgesellschaft, vor allem die nicht institutionalisierten Formen, als  wichtige Partner in der Betreuung der Schutzbedürftigen anzuerkennen. Und da kann man durchaus von Ländern wie Kanada lernen.

Besonders interessant und wahrscheinlich beispielgebend ist das „private sponsoring“ wie es in Kanada entwickelt wurde. Private Personen oder Organisationen können -wenn sie nachwiesen können, dass sie über ein Jahr einen Flüchtling oder eine Flüchtlingsfamilie unterstützen können – das vom Staat organisiert tun. Auf diese Weise wird die Sorge um Flüchtlinge nicht abgeschoben, aber BürgerInnen werden involviert und tragen die Flüchtlingspolitik mit. Damit wird ein wesentlicher Beitrag zur sozialen Integration der Gesellschaft insgesamt und zur Inklusion der Flüchtlinge geleistet.

3) Brauchen wir eine Leitkultur, in die integriert werden muss?

Viele stellen sich aber die Frage, ob es mehr bedarf als konkrete Hilfe und Unterstützung, um die Integration zu bewerkstelligen. Mit welcher Haltung müssen die Flüchtlinge/Zuwanderer an die Integration herangehen bzw. mit welchen „Werten“ muss die Aufnahmegesellschaft die Flüchtlinge „ausstatten“. Diesbezüglich ist in Deutschland die Leitkultur-Diskussion wieder einmal neu aufgeflammt. Der deutsche Innenminister De Mazieres hat dazu einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt. Bekannt ist vor allem der Ausdruck: „Wir zeigen unser Gesicht, wir sind nicht Burka.“ Aber auch das Handgeben ist ein Teil dieser von ihm propagierten Leitkultur. (Gilt das als Pflicht auch für orthodoxe Muslime ebenso wie für nicht-orthodoxe Muslime?) Aber auch die deutsche Geschichte und Kultur gehören dazu. Ebenso die Leistungsbereitschaft. Und: auch die besondere Rolle der Religion in einer Demokratie mit Religionsfreiheit: „In unserem Land ist Religion Kitt und nicht Keil der Gesellschaft.“

Jedenfalls reichen das Grundgesetz und die anderen Gesetze für die Vertreter der Leitkultur nicht aus um „ein gutes Miteinander“ zu definieren: „Jeder von uns, der in ein anderes Land und eine andere Kultur reist, kauft sich einen Reiseführer und keine Gesetzessammlung“ meinte unlängst De Mazieres.

Eine etwas differenziertere und dynamischere Auffassung von der Gesellschaft sind der Ausgangspunkt der 15 Thesen der deutschen Initiative Kulturelle Integration. Für sie gehören Einwanderung und Integration „zu unserer Geschichte“. Und das trifft übrigens auch auf Österreich zu. Sie betont die kulturelle Vielfalt und verlangt Respekt und Toleranz von allen. Aber vor allem ist für sie auch „Erwerbsarbeit wichtig für Teilhabe, Identifikation und sozialen Zusammenhalt“.

Mit den Thesen des deutschen Innenministers haben sich auch konservative Medien wie z.B. die FAZ auseinandergesetzt. Was ist mit der Anerkennung der Leitkultur angesichts der vielen betrunkenen Fußball-Fans mancher Klubs, die unter polizeilichen Begleitschutz zu und von den Matches gebracht werden müssen? Welche Jugendlichen geben sich heute noch die Hand zur Begrüßung? Und ist die Leistungsbereitschaft so generell vorhanden in unserer Gesellschaft? Und was ist mit jenen „Einheimischen“, die Vielfalt und Religionsfreiheit nicht anerkennen wollen?

4) Gemeinsame Arbeit an Integrationsgrundsätzen

Nun die Tatsache, dass viele in unserer Stamm-Bevölkerung bestimmte Werte nicht anerkennen, ist noch kein Argument gegen diese Werte. Und es wäre auch unsinnig zu leugnen, dass  es unterschiedliche Kulturen und Gewohnheiten gibt. Viele von ihnen sollte man tolerieren, aber mache können zu Konflikten führen. Aber vielleicht wäre es notwendig die Werte-Diskussion für die ganze (!) Gesellschaft zu führen. Und vielleicht sollte man weniger verordnen, aber mehr gemeinsam erarbeiten. Denn wie anfangs erwähnt, wir schaffen die Inklusion der neu Hinzugekommenen nur gemeinsam und nur mit Integrationsbereitschaft auf beiden Seiten. Die „Leitkultur“ sollte alle in die Pflicht nehmen.

Sicher haben die Gastgeber mehr Rechte bei der Definition der Werte, auf denen eine Gesellschaft beruht, aber sie müssen sich als Gastgeber mit den entsprechenden Vorrechten aber auch angemessener Toleranz gerieren. Dabei müssen sie auch zur Kenntnis nehmen, dass die Nation und die Gesellschaft nie abgeschlossene Projekte sind, wie das der neu gewählte französische Präsident feststellte. Und auch die Identität bzw. besser Identitäten sind nicht fixe Größen sondern im Fluss. Tradition und Erneuerung sollten sich dabei die Waage halten.

5) Stabilität versus Veränderung

In unruhigen, unsicheren und manche würden sagen chaotischen Zeiten ist Integration besonders schwierig. Die Sehnsucht nach Stabilität und die damit verbundene Nostalgie nach Zeiten,  die es allerdings nie wirklich gab, steht unvermeidlichen und notwendigen Veränderungen, die mit Migration verbunden sind, oftmals entgegen. Und das Teilen fällt in solchen Zeiten, die noch dazu mit stagnierenden Einkommenssituationen verbunden sind, besonders schwer. Auch Attentate in verschiedenen europäischen Ländern haben die Migration inkl. der erzwungenen als Risikofaktor dargestellt. Aber Vorurteile hängen oftmals nicht von den besonderen und aktuellen Bedingungen ab, sondern kommen historisch immer wieder zum Vorschein.

Trotz mancher Mängel ist in Europa  in den letzten Jahren viel  geschafft worden – gerade auch in Österreich.  Allerdings würde man sich mehr Koordination zwischen den verschiedenen öffentlichen Stellen wünschen. Oft werden Flüchtlinge oder deren BetreuerInnen hin und her geschickt. Einerseits wird viel an und durch den Integrationsfonds zentralisiert bzw. standardisiert, zum Beispiel bei den Sprachkursen, anderseits aber gibt es viele Schnittstellen zwischen verschiedenen Bürokratien, die schwierig zu überwinden sind. Überdies wird oft die persönliche Anwesenheit verlangt ohne dass aber die Reisekosten übernommen werden. Vor allem müssten die Asylverfahren endlich – wie versprochen – verkürzt werden. Solche Schwierigkeiten und Hindernisse würden viele geübte ÖsterreicherInnen enervieren, für viele Flüchtlinge sind sie besonders belastend und integrationshemmend. Ein eigenes Integrationsministerium müsste diesen Fragen mehr Aufmerksamkeit schenken und sie einer Lösung zuführen.

Mit den Angeboten des österreichischen Sozialstaates kann man viel machen, – auch wenn in einigen Bundesländern die finanzielle Unterstützung gekürzt wurde – aber bei einer besseren Koordination könnte man noch viel mehr und es überdies effizienter erreichen. Manchmal hat man allerdings den Eindruck, dass einige aus der Politik gar nicht zu viel an Effizienz wollen. Es sollte alles vermieden werden, was als Anreiz für Flüchtlinge dienen könnte, nach Österreich zu kommen. Auch die mangelnde Unterstützung für die Zivilgesellschaft könnte darauf zurückzuführen sein.  Aber eine ineffiziente Flüchtlingspolitik schadet allen. Ein besserer auch  Einsatz der finanziellen und personellen Ressourcen würde der Inklusion und damit der gesamten Gesellschaft helfen.