Frieden für Syrien – aber wie?

Vortrag vor dem Politischen Klub der Evangelischen Akademie Tutzing/Deutschland

Was war Syrien?

Syrien war vor der Ausübung gegenseitiger Gewalt und dem(n) Stellvertreterkrieg(en) ein relativ stabiles Land mit vorhersehbarer Politik. Trotz vieler Polemik gegen Israel und der Unterstützung für die Hamas waren keine Abenteurer (mehr) am Werk. Inwieweit das Land eine nukleare Rüstung anstrebte ist schwer zu sagen, auch angesichts der Geheimnisse um die israelischen Luftanschläge auf vermeintliche Installationen für den Bau einer Bombe.

Innenpolitisch war es de facto ein Einparteien Regime mit Verfolgung etlicher Oppositioneller. Was die Rolle der Religionen betrifft so war die Akzeptanz der freien Religionsausübung über dem Niveau der übrigen arabischen Länder gelegen. Diese Toleranz betraf auch die kurdische Bevölkerung. Der Glaube, dass Assad innerhalb weniger Wochen fallen würde zeugte damit von großer Unkenntnis der Entschlossenheit des Regime einerseits aber auch der relativen Verankerung in weiten Teilen der Bevölkerung anderseits. Auch die externen Unterstützer vom Iran über die Hisbollah bis zu Russland wurden dabei außer Acht gelassen.

Überdies darf man nicht übersehen, dass der Vater des gegenwärtigen Präsidenten, Hafis al-Assad 1982 einen Aufstand der Muslim Brüder 1982 brutal niedergeschlagen hat. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Massaker von Hama, bei dem sich der Bruder des damaligen Präsidenten durch eine besonders unrühmliche Aktivität „ausgezeichnet“  hatte. Man spricht von 30.000 Toten und 10.000 Gefangenen. Das brutale Vorgehen des gegenwärtigen Präsidenten hat also ein Vorbild im ebenso brutalen Verhalten seines Vaters.

Syrien als Objekt regionaler und globaler Machteinflüsse

Der Iran – direkt oder mittels der Hisbollah – sowie Russland sind heute stärker denn je in das syrische Geschehen involviert. Hinzu kommen aber heute auch die USA mit besondererem Interesse hinsichtlich des Einflusses der syrischen Verhältnisse und Entwicklungen auf den Irak. Und von sunnitischen Seite sind es vor allem Saudi – Arabien und die übrigen Golfstaaten sowie auf der anderen geographischen Seite die Türkei.

Die Türkei hat eine besondere Interesse an der Kurdischen Frage. Das Verhältnis der Türkei zur Kurdischen Regionalregierung im Irak hat sich sehr positiv entwickelt. Im Gegensatz dazu ist der begonnene Friedensprozess mit der PKK zusammengebrochen. Und in diesem Zusammenhang befürchtet die Türkei eine starke kurdische Autonomie innerhalb Syriens. Denn die militanten syrischen Kurden sind zum Großteil eng mit den PKK Kämpfern verbunden. Das gilt insbesondere für die PYD.

Saudi – Arabien und den übrigen Golf Staaten geht es vor allem um ein Zurückdrängen des iranischen, schiitischen Einflusses. Sie sehen im Erstarken dieses Einflusses ein Gefahr für die regionale und innenpolitische Stabilität. Das ist auch an der saudischen Intervention im Jemen ablesbar.

Der Iran wiederum war und ist mit dem allevitischen Regime von Assad verbündet aber dennoch betrachten die Schiiten die Alleviten als Ketzer. Demgemäß hat der Iran auch in letzter Zeit zahlreiche schiitische Lehranstalten errichtet, vor allem in Damaskus und in Lattakia. Der Iran nutze jedenfalls die Abhängigkeit der syrischen Machthaber von der Unterstützung des Iran und der Hizbollah weidlich aus und verbreitete seine strikte Form des schiitischen Glaubens.

Und was ist mit Europa? Im Grundsatz haben wir kein spezifisches, parteiliches Interesse. Allerdings haben wir das größte übergeordnete Interesse an Frieden und Stabilität. Der von dieser Region ausgehende Terrorismus gefährdet vor allem Europa und die Flüchtlinge sind auf Grund ihrer großen Anzahl eine Bedrohung der europäischen Stabilität.

Die innere Zerrissenheit Syriens

Die äußeren Einflussfaktoren spiegeln sich in inneren Spaltungen wieder. Dabei sind diese schon weit über die länderweisen, ethnischen oder religiösen Spaltungen hinausgegangen. Vor allem radikale fundamentalistische und terroristische Organisationen haben die Gelegenheit genützt, um sich in Teilen der Bevölkerung zu verankern und in einigen Regionen festzusetzen. Es gibt momentan kein Syrien mehr, es ist eine Fiktion auf alten Vorstellungen und Grenzen beruhend. Aber sowie es durch die Grenzziehungen von Sykes – Picot geschaffen wurde, so kann es wieder erneut geschaffen werden – allerdings unter Berücksichtigung der neuen Verhältnisse im Lande selbst und in der Region.

Variante 1: Modell Libanon

Eine Möglichkeit ein „Neues Syrien“ zu schaffen ist die Einsetzung bzw. Bildung einer Einheitsregierung , die die unterschiedlichen Kräfte im Land umfasst. Dabei könnte es auch eine Aufteilung der Positionen Präsident, Regierungschef und Parlamentspräsident nach dem libanesischen Muster geben. So wurde im Abkommen von Taif vom Oktober 1982 versucht ein Gleichgewicht der verschiedenen Kräfte herzustellen. Auch wenn es immer Unzufriedenheit der einen oder anderen Seite gibt, ist das eine Möglichkeit die Einheit eines Landes zu bewahren.

Das heißt Syrien bleibt ein Einheitsstaat, aber die verschiedenen  Gruppierungen (und deren ausländische „Partner“) bekommen verschiedene Positionen und damit einen entsprechenden Einfluss. Diese Variante wird – zumindest offiziell – von der Türkei vertreten, die eine Regionalisierung wie im Irak ablehnt, jedenfalls solange die PYD die führende Kraft unter den syrischen Kurden ist. Ein stärkere Dezentralisierung an lokale Gemeinden ist dabei denkbar – ein Konzept, das allerdings die Regierung der Türkei für das eigene Land ablehnt. Vor allem auch die USA als Geburtshelferin von Rojava wird sich verpflichtet fühlen die PYD zu unterstützen.

Variante 2: Modell Bosnien-Herzegovina

Eine zweite Möglichkeit ist die  Föderalisierung des Landes. In den verschiednen Landesteilen haben schon derzeit verschriebene Gruppierungen (und wieder deren ausländische Partner) den dominierenden Einfluss. Dies könnte dann auch durch eine föderale Struktur formalisiert werden. Trotzdem können die zentralen Organe auch auf einzelne Gruppierungen aufgeteilt werden bzw. alle politischen Kräfte auch in den zentralen Staatsorganen vertreten sein. Das wäre dann das bosnisch – herzegowinische Modell.

In beiden Fällen gibt es nur eine schwache Zentralregierung und ein schwaches Parlament. Die Gruppen- bzw. Parteiführer haben das entscheidende Wort und sind meist eher an Blockaden als an Lösungen und Kompromissen interessiert. Sowohl der Libanon als auch Bosnien – Herzegovina sind dafür „gute“ Beispiele. Aber im Fall der Balkan Lösung hat jedenfalls das Töten aufgehört. Im Falle des Libanons hat es zumindest deutlich abgenommen, geblieben sind einzelne, allerdings die Stabilität immer wieder gefährdende, terroristische Anschläge.

Variante 3: Auflösung der kolonialen Grenzen und Gründung neuer Staaten

Eine Alternative zu den „sanften“ Varianten der inneren Neuorganisation ist die Auflösung der Sykes – Picot Grenze und eine Neuordnung von Syrien und dem Irak. Es könnte ein Sunniistan und ein Schiistan geben und überdies ein Kurdistan. Ein solches könnte sich aber maximal auf die kurdischen Gebiete des Iraks und Syriens beziehen. Aber nicht nur die Türkei würde sich massiv gegen eine solche Lösung wehren. Hinzu kommt, dass die kurdische Führung im Irak und in Syrien sehr unterschiedliche Ziele verfolgen und kaum unter einen Hut zu bringen wären. Am ehesten würde ein solches Kurdistan von der PKK unterstütz werden – mit der Hoffnung diesem kurdischen Staat später beizutreten.

In allen Fällen würde eine solche Neuordnung und die Veränderung der Grenzen mehr Probleme schaffen als lösen. Wo sollten die neuen staatlichen Grenzen gezogen werden. Allein bei der Abgrenzung des kurdischen Regionalstaates im Irak heute stellen sich kaum überwindbare Probleme.

Die jeweilige Minderheit in den neuen Staaten hätte keine innerstaatliche Unterstützung und Solidarität, auf die sie im Falle des Falles zählen könnte. Es kämen Bevölkerungsumschichtungen/austäusche zur Diskussion, die aber niemals die entsprechenden Probleme lösen könnten.  Schon die Grenzziehungen innerhalb eines föderalen Syriens werden Probleme schaffen, aber das Vorhandensein der einzelnen Gruppierungen in verschiedenen Teilstaaten des gemeinsamen Gesamtstaates gibt eine gewisse Gewähr, dass Minderheitenrechte nicht grob vernachlässigt  werden.

Variante 4: Rückkehr zum zentralen Einheitsstaat

Es gibt auch ExpertInnen, die eine direkte Rückkehr zum einheitlichen, zentral regierten Staat empfehlen, da alle anderen Varianten zu viele Nachteile bergen. Aber ist das wirkliche eine realistische Alternative?  Nach so vielen gewaltsamen, ja brutalen Auseinandersetzungen sehe ich nicht welche Kraft/Kräfte die Stärke hat/haben eine solche Einheitsregierung zu bilden und die entsprechende Macht auszuüben. Auch Irak ist kein und wird kein Einheitsstaat sein. Für Israel und Palästina wird es auch eine neue staatliche Struktur zwischen einer Einstaatenlösung und einer Zweistaatenlösung geben müssen, soll es überhaupt zu einer Lösung kommen.

Wir müssen in neuen Kategorien denken, wobei ohnedies eine verschiedene Länder übergreifende Struktur anzudienen wäre. Natürlich ist es zu früh Iran, Saudi Arabien und die Türkei und dann noch Israel in ein regionales Boot zu holen. Heute kommen Saudi – Arabien und Israel noch eher zusammen als Saudi – Arabien und der Iran. Aber dennoch muss man auch einige Visionen ins Spiel bringen.

Die Zukunft des Terrorismus

Die terroristische Landschaft ist sehr unübersichtlich und durch scharfe Gegensätze gekennzeichnet. Das Schlimmste wäre eine Einigung der verschiedenen terroristischen Gruppen und ein gemeinsames Vorgehen. Umso mehr müssten sich die (Teil-) Staaten in Nachfolge des vergangenen/untergegangenen  Syriens daher im Kampf gegen den Terrorismus sein. Allerdings bedarf es zuerst einer gemeinsamen Definition des Terrorismus und der – religiösen – Grundlagen die zum Terrorismus führen. Gemeinsam müsste den Gliedstaaten auch ein Interesse an einem wirtschaftlichen Aufschwung sein. Dieser ist auch (!) wichtig um den verführerischen Slogans der  Terroristen und ihrer Wegbereiter  die Grundlage zu entziehen.

Die Rolle der sinkenden Ölpreise

Wie immer die Neukonstituierung Syriens angegangen wird, stellt sich die Frage des weiteren Engagements der regionsfremden Mächte in der Region. In diesem Zusammenhang ist interessant wie sich der Verfall des Ölpreises auf die weitere Kriegs- und Kampfbereitschaft auswirkt. Man kann davon ausgehen, dass Saudi – Arabien durch eine aktive Politik der sinkenden Ölpreise die Fracking Industrie in den USA wirtschaftlich und Russland aber vor allem den Iran wirtschaftlich und politisch schaden wollte. Aber inzwischen muss man davon ausgehen, dass sich Saudi – Arabien auch selbst geschadet hat. Jedenfalls könnten die verringerten Einnahmen aus dem Ölgeschäft zu einer geringeren Bereitschaft zu militärischen Aktivitäten beigetragen haben und dastand auch für die ISIS gelten.

USA – Europa –  Russland

Da Saudi -Arabien, der Iran und die Türkei auch bei gesunkenen Ölpreisen jedenfalls engagiert bleiben werden stellt sich die Frage für Russland, die USA und die EU. Mittel- bis langfristig werden sich die USA zumindest teilweise zurück ziehen und sich mehr in Asien engagieren. Man kann davon ausgehen, dass dieser Rückzug auch die Russen zu einer stärkeren Präsenz motivierte haben bzw. auf Dauer anregen. Russland wird sich jedenfalls einen Fuß in der Tür behalten. Mittels dieses Fußes unterstreicht es eine wenn auch begrenzte geopolitische Rolle bzw. einen Wiedereintritt in das weltpolitische Geschehen. Und überdies hat Putin nun auch gegenüber Assad eine stärkere Rolle, die Frage ist wie er sie ausnützt

Für die EU und ihre Stabilität ist die Region besonders wichtig. Ein Engagement der EU ist daher dringlich erforderlich, wobei ich am wenigsten an ein militärisches Engagement denke. Es sind ja gerade die militärischen Interventionen im Irak und in Libyen, die katastrophale Auswirkungen gehabt haben. Dabei hat der Westen mit dem Versuch mit militärischer Gewalt politische Ziele zu erreichen auch ein schlechtes Beispiel für die Regionalmächte gegeben.

Wenngleich Obama viel kritisiert wird, ob seiner Schwäche und Zurückhaltung, hat er das Richtige gemacht. Nicht der begonnene Rückzug aus den Irak war bzw. ist das Problem sondern der Einmarsch der USA und die Eliminierung aller „Anhänger“ von Saddam Hussein aus der Verwaltung und dem Militär. Und Bodentruppen in Syrien verlangen all jene, die kaum selbst bereit sind, sich auf diese Art zu engagieren. Und der Kompromiss mit dem Iran, den vor allem die Europäer verfolgten haben, war ein absolut richtiger Schritt. Im israelisch – palästinischen Konflikt vertritt Obama ebenfalls die richtige Haltung, ist allerdings durch einen einseitigen innenpolitischen Lobbyismus behindert.

Wenn Martin S. Indyk heute von Ende des US dominieren Mittleren Osten spricht, dann muss man feststellen, dass schon lange und zwar trotz bzw. wegen ihrer militärischer Interventionen, der Mittlere Osten nicht von den USA dominiert wird. Was haben denn die USA in den letzten Jahrzehnten für Erfolge aufzuweisen?

Türkei

Für die EU bleibt nur ein stärkeres Engagement will man mehr Stabilität in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Ein neues Verhältnis zur Türkei ist dabei unabdingbar. Man kann durch viele Jahre hindurch Versäumtes nicht einfach in kürzester Frist nachholen. Und die jüngsten Entwicklungen in der Türkei machen die Sache nicht leichter. Unabhängig von der inneren Menschenrechtslage muss Europa zu allen Beteiligten in der Region die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen ausbauen. Wir müssen über Erdogan hinausdenken.

Weder in der Türkei, noch im Iran, noch in Saudi – Arabien ist die Menschenrechtslage auch nur im Geringsten zufriedenstellend. Jedes dieser Länder und das gilt auch für die meisten anderen Staaten der Region hat vielfache, meist systematische Menschenrechtsverletzungen aufzuweisen. Aber gerade auch im Interesse eines Menschenrechtsdialogs müssen die politischen und wirtschaftlichen Verbindungen ausgebaut werden.

EU’s Eintritt in die Geopolitik

Europa ist weder ein Superstaat noch eine Militärmacht. Hinzu kommt, dass die EU sich als eine sanfte, postmoderne Union versteht, die die Um- und Durchsetzung der Menschenrechte in den Mittelpunkt gestellt hat. Inzwischen müssen wir erkennen, dass die europäischen Instanzen selbst innerhalb der EU große Schwierigkeiten haben die Menschenrechte durchzusetzen. Und jetzt sollten wir auch erkennen, dass wir ohne Stabilität und Frieden auch außerhalb der EU die Menschenrechte nicht umsetzen können. Leider ist uns der direkte Weg versperrt, mit Überzeugung und Überredung Demokratien und Menschenrechte zu verbreiten. Aber Instabilität und kriegerische Auseinandersetzungen bringen immer Terrorismus hervor, insbesondere wenn der Westen daran Schuld trägt.

Zu Frieden und Stabilität durch Handel, Investitionen etc. beizutragen das ist unsere wesentliche Aufgabe. Parallel dazu sollte wir alle internen Kräfte die sich für Toleranz, Respekt, Medienfreiheit, Menschenrechte etc. einsetzen, unterstützen – soweit es die regionalen Regierungen dulden. Denn sie sehen sehr oft die Gefahr einer solchen Politik für sich selbst. Aber der EU bleibt nichts anders übrig als diesen langen und beschwerlichen Weg zu gehen. Dazu gehört auch eine realistische und humane Flüchtlingspolitik.