FRÜHLING IN BRÜSSEL – INNERE UND ÄUSSERE HERAUSFORDERUNGEN 

Brexit ja oder nein?

Rechtzeitig zum Frühlingsanfang wurde es sonnig und warm in Brüssel – jedenfalls was das Wetter betrifft. Weniger frühlingshaft ging es beim Gipfel in Brüssel zu. Wieder einmal stand der Brexit auf der Tagesordnung. Das Chaos in London, in das die Austrittsbefürworter das Vereinigte Königreich gestürzt haben, hat auch auf die EU insgesamt seine Auswirkungen. Anstatt sich mit den wesentlichen Fragen der europäischen Zukunft zu beschäftigen, müssen sich die Staats- und Regierungschefs nicht immer mit den britischen „Extrawürsten“ herumschlagen.

In all den privaten Gesprächen, die ich mit früheren MitarbeiterInnen und KollegInnen – bei einem kurzen Brüssel Besuch am 20./21. März hatte, ging es immer wieder um Brexit. Und viele, die so wie ich auf einen Verbleib des Vereinigten Königreichs gehofft haben, wurden angesichts der chaotischen politischen Verhältnisse in London der Meinung, dass dieses(!) Großbritannien keinen Platz in der EU hat. Während ich kurz einen Espresso am Place Luxembourg – hinter dem Parlament – trank, sah ich Nigel Farage, einen der Hauptverantwortlichen für das Chaos, ins Lokal kommen. Ich war schon versucht ihn anzusprechen, und zu fragen was er nun vom Chaos in seinem Land hielt, aber ich unterließ es. Ich habe ihn ja viele Jahre im EU Parlament erlebt und seine mangelnde Bereitschaft für Argumente und Diskussionen kennen gelernt. 

Brüsseler Blase

Interessant war es aber auch, dass ich in den 10 Minuten meines Aufenthalts auch den EVP Spitzenkandidat Weber und andere frühere KollegInnen vorbeigehen gesehen habe. Und außerdem traf ich im Lokal einen „Lobbyisten“, den ich wenige Tage zuvor bei einer Konferenz in Wien gesehen habe. Er machte in Brüssel Lobby für ein europäisches Volksbegehren gegen Rassismus, das schon viele Unterschriften erzielt hatte. Ich betone ja immer wieder, dass entgegen landläufiger Meinung auch für gute Sachen und Anliegen durch Lobbyisten geworben wird. Sicher haben solche Lobbys weniger Geld, aber deren Engagement wiegt oft das viele Geld der anderen auf. Jedenfalls wenn es um die Beeinflussung der Parlamentarier geht. 

Und genauso muss man immer wieder darauf aufmerksam machen, dass, wenn jemand die großen Konzerne in die Pflicht nimmt, es die EU ist. Und das sogar oft gegen den Widerstand von nationalen Regierungen. So war das der Fall, als die EU Kommission von Apple eine hohe Steuernachzahlung gefordert hat und Irland gar nicht diese Steuer einheben wollte. Erst dieser Tage hat die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Google mit einer hohen Strafe belegt. Und zwar waren es diesmal 1,5 Mrd Euro und das macht insgesamt 8,25 Mrd. Euro Strafen für Google in den letzten 2 Jahren aus. Und es ist nicht nur das Unternehmen Google das auf der Liste der Strafen steht. Große Autofirmen und Banken waren ebenso betroffen. 

Was man der Wettbewerbskommissarin vorwerfen kann, ist nicht eine hohe Toleranz für die Steuer- und Wettbewerbsvergehen großer Konzerne, sondern ein allzu rigoroses Vorgehen gegen Fusionsabsichten europäischer Unternehmen, die sich gegen ausländische Konkurrenz besser aufstellen wollen. Dadurch wird aber die Herausbildung global wettbewerbsfähiger europäischer Unternehmen erschwert. Und es ist nicht zufällig, dass – laut einer Analyse der Europäischen Kommission – der Anteil der ausländischen Investoren an der europäischen Industrie deutliche gestiegen ist. Zu den traditionellen Investoren wie USA, Schweiz und Kanada kam vor allem China hinzu. Und dabei sind auch staatliche Unternehmen beteiligt. 

Was mir natürlich bei dieser Gelegenheit wieder aufgefallen ist, ist die „Brüssler Blase“, in der man sich in der europäischen Hauptstadt befindet. Man trifft immer wieder dieselben Leute – die aber keineswegs der gleichen Meinung sind. Aber diese Blase hilft natürlich sich näher kennen zu lernen, miteinander auszukommen und gemeinsam an der europäischen Einigung zu arbeiten und das am Kompromissweg – wenngleich nicht mit Farage und ähnlichen Gegnern eines gemeinsamen Europas. Anderseits muss man sehr aufpassen, dass man die skeptischen und kritischen Meinungen vieler BürgerInnen nicht übersieht. Darum sind solche Rückmeldungen immer wichtig. Ohne die Brüsseler Blase formt sich schwer eine europäische Gesinnung aber mit der Brüssler Blase allein nimmt man die Bevölkerung nicht mit und überlässt sie den nationalistischen Einflüsterern wie Farage und ähnlichen. 

Europäischer Wertediskurs

Ein anderes Thema, das die Europäische Volkspartei (EVP) kurz vor dem Gipfel gelöst bzw. nicht gelöst hat war die Zugehörigkeit der ungarischen Regierungspartei Fidesz und damit von Orban zur christlich-konservativen Parteienfamilie. Fidesz wurde nicht ausgeschlossen sondern suspendiert und eine hochrangige politische Gruppe soll die Übereinstimmung mit den „Werten“ der EVP überprüfen. 

Auch die Europäische Sozialdemokratie hat immer wieder Probleme mit einigen Ihrer Mitglieder gehabt. Derzeit sind es vor allem die Rumänen, die Probleme bereiten. Sie sind zwar nicht provokativ anti-europäische eingestellt wie Viktor Orban, aber was die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit und die Bekämpfung der Korruption betrifft, liegen sie weit unter dem europäischen Niveau und verletzen sicherlich sozialdemokratisch Grundsätze. Der Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten, der niederländische EU-Kommissionspräsident Frans Timmermans hat dazu auch klare Worte gefunden. Er meinte unlängst in einem Interview mit der FAZ zu Rumänien: „Wenn das so weitergeht mit Korruption und Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit, dann gibt es für euch keinen Platz in unserer Familie…. ich bin da politisch farbenblind, wenn es um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geht, in Polen, Ungarn und Rumänien.“ Inzwischen hat die rumänische Regierung auch in der Nah – Ost Politik die EU torpediert und schwenkt auf die Trumpsche Politik ein. Bin neugierig wie die Europäische Sozialdemokratie reagiert. 

Es ist schade, dass die großen pro-europäischen Parteien – und auch die Liberalen – immer wieder grundsätzliche Probleme mit einigen Mitgliedsparteien haben. Sie waren auch in der Vergangenheit viel zu tolerant mit fundamentalen Abweichungen von den jeweiligen europäischen Prinzipien. Es nicht leicht innerhalb einer Familie objektiv und eindeutig zu sein, aber wenn „europäische Werte“ immer wieder propagiert werden, dann muss man auch danach handeln. Nun ist der Wertebegriff ein diffuser und auch Premierminister Orban sieht sich als besonderer Verteidiger der christlichen Werte. Er benimmt sich ja fast schon als Schutzpatron des christlichen Abendlands. Da ist er sich mit seinen polnischen Kollegen einig. 

Allerdings – zum Unterschied zu den Vertretern der polnischen PIS – gehört für Orban auch die russische Orthodoxie zum christlichen Abendland. Und da wieder ist er sich mit dem – neuen – Schutzpatron der Orthodoxie, Wladimir Putin, einig. Und damit ergeben sich auch Koalitionen mit der europäischen extremen Rechten. Von Le Pen bis Putin, von Strache bis Orban und unter Einschluss der beiden italienischen Regierungsparteien formiert sich eine gesamteuropäische Rechte, die Europa verändern will – gemäß ihren Werten. Auf Grund des Brexit Chaos geht es nicht mehr um den Austritt aus der EU sondern um eine radikale Veränderung – und das halten manche für gefährlicher für den europäischen Zusammenhalt. 

Und einige von ihnen, vor allem Russland selbst, sind darüber hinaus auch am Balkan aktiv, insbesondere in slawischen Ländern. Manche ideologische Verbindungen gehen allerdings bis in die Rechte um Premierminister Netanyahu nach Israel. Es ist kein Wunder, dass sich dieser besonders um gute Kontakte zu diesen – vor allem mitteleuropäischen – Kräften bemüht, den nach wie vor grassierenden Antisemitismus in diesen Reihen negierend. Und generell mischt dann auch die US-amerikanische Rechte mit der Unterstützung mancher rechtsextremer „Sozialmedien“ mit. Aber da sind sie sich ja mit der offiziellen Trump Haltung einig – auch was die Unterstützung der extremen Rechten in Israel betrifft. 

Es geht aber nicht nur um einen Wertediskurs sondern auch um die Infragestellung von Grund- und Freiheitsrechten. Die eng definierten „christlich-jüdischen“ Werte – als ob die Juden in Europa von den Christen immer als Brüder und Schwestern angesehen und behandelt worden wären – führen schnell zur Einschränkung von Grundrechten und sind oft mit Rassismus, insbesondere Islamophobie verbunden. Die Medienfreiheit wird tendenziell oder unmittelbar eingeschränkt und der politische Einfluss auf Gerichte erhöht. Im Besonderen wird das Asylrecht ausgehöhlt. Und das sind die entscheidenden Auseinandersetzungen, die im Europa von heute zu führen sind. Gar nicht so sehr als Diskussion über Werte als über die Einhaltung oder Verletzung von Menschenrechten. 

Ein Besuch im reaktiv neuen Museum der Europäischen Geschichte im Parc Leopold, gleich hinter/vor dem EU Parlament macht deutlich, wohin die Verletzung von Grund- und Freiheitsrechten führen kann. Autoritäre Ideologien haben Europa immer ins Verderben geführt. Demokratie und der Schutz fundamentaler Rechte haben Europa und seine Staaten nach vorne geführt. Sie sind zugegebener Maßen mit Risiken und individueller Unsicherheit verbunden. Deshalb sehnen sich manche Menschen heute wieder nach der starken Hand. Aber es sollte gerade die EU sein, die Offenheit, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit mit Schutz für die Menschen in Europa verbindet. Die Wahrung des europäischen Einflusses auf seine kritischen und sensiblen Wirtschaftszweige gehört dazu. Und da muss die EU angesichts Chinas gewachsenem Interesse an europäischen Unternehmungen erfreut aber auch alarmiert sein. 

Offenes Europa und China 

Offene Gesellschaften sind immer anfällig für auch „gefährliche“ Einflüsse von außen. Ob es um Zuwanderung geht, unter die sich auch Terroristen einschleusen können, um Aufkäufe von sensiblen Betrieben und den ungewünschten Technologietransfer oder die Verbreitung von Fake News über die Social Media. Länder wie Russland und China können sich einerseits relativ gut abschließen und anderseits die Offenheit der europäischen Märkte und Gesellschaften beeinflussen. Derzeit stehen Chinas Aktivitäten in Europa im Mittelpunkt von Debatten wie Europa Offenheit und Schutz miteinander verbinden können. China ist ja nicht irgendein Land. Neben seiner Größe ist vor allem auch die klare politische Strategie im Inneren und nach Außen hin zu beachten. 

In China sind trotz aller Lockerungen Wirtschaft und Politik eng verbunden. Besonders problematisch ist die chinesische Überwachungs- und Lenkungsstrategie. Die neuen Medien und die damit möglich gewordenen Überwachungssysteme werden sehr gezielt eingesetzt, um individuelles Verhalten zu lenken. Gemäß dem Prinzip von Lenin – Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – sollen alle Menschen und wirtschaftlichen Akteure überwacht und letztendlich gelenkt werden. Vielleicht scheitert das System, aber vielleicht möchte China seine Interessen auch weltweit durch entsprechende Systeme und die damit möglich gemachten Eingriffe beeinflussen und auch gestalten. Da darf man nicht einfach naiv sein, solche Möglichkeiten (!) sind mit zu bedenken, wenn es um die Einladung an chinesische Investoren geht.

Nun ist es schwierig eine gemeinsame europäische Linie zu finden. Einige Länder wie zum Beispiel Portugal haben schon wichtige chinesische Investitionen und sind offensichtlich zufrieden. Dennoch kann ich dem portugiesischen Premierminister Costa, den ich noch gut aus dem EU Parlament kenne und auch schätze, nicht zustimmen, wenn er die Risiken großer chinesischer Investitionen, geringschätzt. China hat seine Aktivitäten strategisch gut und geschickt aufgeteilt. Im Osten Europas und auch im Süd-Osten investiert es vor allem in die Infrastruktur, im Westen mehr in die Industrie. 

In Italien ist es aktuell, vor allem – auch – an den Häfen interessiert um sich die Offenheit der Handelswege – vor allem für seine Exporte – zu sichern. 

Bei all den inner-europäischen Differenzen wird zumindest über diese Fragen diskutiert und die EU Kommission sah sich gezwungen, ein paar Vorschläge und Regeln für das Verhalten gegenüber China zu machen. Was mich dabei besonders stört ist, dass viele in Europa so gar keine strategischen Überlegungen anstellen – im Gegensatz zu China. Insofern könnten wir viel von ihnen lernen. Die Vorschläge der Kommission sind dabei keineswegs revolutionär. Mit Recht sehen sie keine Abschottungs- oder Protektionismus-Strategie vor. Kooperation ist die anzustrebende Strategie. Aber dazu braucht es mehr Gegenseitigkeit und auch Wachsamkeit auf der europäischen Seite. Was das Erstere betrifft so wird von China neben der Einhaltung der WTO Regeln auch eine entsprechende Offenheit und damit Gegenseitigkeit im Beschaffungswesen also bei öffentlichen Aufträgen verlangt. 

Und hinsichtlich Übernahmen in sensiblen Wirtschaftszweigen bzw. von kritischen Unternehmen fordert die EU Kommission die Mitgliedsländer auf, „für die zügige, vollständige und wirksame Umsetzung der Verordnung über die Überprüfbarkeit ausländischer Direktinvestitionen zu sorgen“. Ziel muss es sein, „ausländische Investitionen in kritische Vermögenswerte, Technologien und Infrastrukturen aufzudecken“ um solche Investitionen auch verbieten zu können. Es geht also nicht um einen blinden Protektionismus aber um eine Verhinderung von Sicherheitsrisiken und der Währung europäischer/nationaler Interessen in kritischen Wirtschaftszweigen. Dabei geht es sicher nicht nur um China. Aber dort, wo wirtschaftliche und staatliche Interessen stark verknüpft sind, muss die EU besonders aufmerksam sein.