Gemeinsame Wege aus der Krise

Hannes-lächelndMan kann nun nicht behaupten, dass deutsche Medien, Politiker und Wissenschaftler nicht über die Zukunft Europas eifrig diskutieren. Insbesondere im Vorfeld der Entscheidung des deutschen Verfassungsgerichtshofes über den ESM gibt es unzählige Kommentare zu diesem Thema selbst aber auch zur Grundsatzfrage wie sich Europa weiterentwickeln soll.

Der Bundesverfassungsgerichtshof hat ja bisher sehr konservativ, zumindest zurückhaltend die Kompetenzerweiterungen in bzw. der EU beurteilt. So ist mit Spannung sein Erkenntnis zum Rettungsfonds ESM zu erwarten. Dabei liegt mir nicht der ESM als solches am Herzen. Da gibt es einiges an ihm auszusetzen. Aber die Erkenntnis des deutschen Verfassungsgerichts ist ein Wegweiser für den Spielraum Deutschlands für die Neugestaltung der EU als solches. Seiner bisher primär am Nationalstaat orientierten Spruchpraxis halten allerdings einige deutsche Autoren das deutsche Grundgesetz als solches entgegen.

Das deutsche Grundgesetz, also die gültige Verfassung verlangt nämlich von allen Verfassungsorganen bei der Verwirklichung eines Vereinten Europas mitzuwirken. Es bekennt sich schon in der Präambel zum Vereinten Europa. Und wenn das Bundesverfassungsgericht in einem seiner Erkenntnisse die mangelnde Repräsentativität des Europäischen Parlaments hinsichtlich der Bevölkerung der einzelnen Mitgliedstaaten beklagt, was soll man dann erst hinsichtlich der USA sagen, wo jeder Staat -unabhängig- von seiner Größe zwei Senatoren in den Senat entsendet. Und – so schließen einige folgerichtig – dann muss man halt weitere Schritte der Demokratisierung setzen. So könnte die Wahl des Kommissionspräsidenten noch klarer und transparenter von der Mehrheitsbildung im Europäischen Parlament abhängig gemacht werden- nach Präsentation der einzelnen Kandidaten bei der EU-Wahl.

In diese Debatte platzte auch eine kritische Bemerkung des italienischen Ministerpräsidenten Monti hinsichtlich der Rolle der nationalen Parlamente hinein. Sofort wurde diese Bemerkung von EU kritischen Politikern und Medien aufgegriffen. Nun vielleicht war die Bemerkung Montis missverständlich. Aber im Wesentlichen ging es um die Frage, wie man in Europa die notwendige europäische Antwort auf die Krise geben kann, wenn in allen nationalen Parlamenten zuerst darüber abgestimmt wird. Denn die „Märkte“ agieren rasch und willkürlich, während die parlamentarischen Mühlen langsam mahlen. Vor allem nur nach eher kurzfristigen nationalen Kriterien mahlen.

Ein wenig erinnert mich das an die Schilderungen des US Kongresses in einer kürzlich erschienen Biografie über den früheren US Präsidenten Lyndon B. Johnson. Denn der gewiefte Parlamentarier Johnson hatte selbst große Probleme einige Senatoren, also seine Ex Kollegen von den Bürgerrechtsgesetzen zu überzeugen. Und da meinten einige Senatoren selbst über die führenden und altgedienten Herren des Senats: diese sehen ihre Aufgabe prinzipiell darin, bestimmte Dinge zu verhindern und nicht wichtige Anliegen voranzubringen. Manchmal und nicht selten habe ich diesen Eindruck auch von heutigen nationalen aber auch einigen europäischen Parlamentariern.

Glücklicherweise gibt es auch auf führender politischer Ebene einige die sich trauen über den Tellerrand zu schauen und der populären aber kurzsichtigen Politik von Angela Merkel eine Alternative gegenüberstellen. Und da meine ich nicht die äußerst scharfe Kritik einer früheren Mitarbeiterin von Helmut Kohl, die das System M also die Merkel’sche „pragmatische“ Wendepolitik geißelte. Nein ich meine die Führung der SPD, die eine klare Linie vertritt, die für die ganze europäische Sozialdemokratie Leitlinie sein sollte: Vergemeinschaftung der Kreditaufnahmen und insofern der Schulden, aber dafür mehr europäischer Einfluss auf die nationale Budgetgestaltung. Jedenfalls in Ländern die derzeit Kredite an überschuldete Länder bzw. in die Rettungsfonds geben ist das keine populäre Lösung. Aber sie bringt die einzige langfristige Lösung für die jetzige Krise und vor allem für die Verhinderung neuer Krisen.

Ja die Verwirklichung dieser Lösung bedeutet Aufgabe von nationaler Souveränität oder besser Verlagerung der Abhängigkeit von den Finanzmärkten auf eine gemeinsame Schuldenpolitik der EU. Das ist die wirkliche Alternative. Und man kann keine gemeinsame Währung haben ohne gemeinsame Finanzpolitik. Das sollte inzwischen allen klar geworden sein.

Denn gerade die gegenwärtige Krise hat unsere extreme Abhängigkeit von den Finanzmärkten offengelegt. Nun da bleibt noch viel zu tun, um diese irrationalen und dominanten Märkte zu bändigen. Aber es wäre eine Illusion zu glauben wir könnten diese Abhängigkeit ganz abschütteln. Ja, weniger Schulden bedeutet weniger Abhängigkeit. Aber in Zeiten enormer Arbeitslosigkeit brauchen wir Investitionen und die erfordern eine – wenn auch begrenzte- Kreditaufnahme und damit Verschuldung. Vor allem dann wenn eine verstärkte Besteuerung insbesondere der höheren Einkommen schwer durchsetzbar ist. Und es sind genau dieselben Kräfte die uns die Verschuldung vorhalten und sie als ein Grundübel ansehen, die sich einer höher Besteuerung hoher Einkommen verweigern.