GLOBALISIERUNG UND BÜRGERGESELLSCHAFT (Referat beim 1. Wiener „Sound Value Engineering“ Kongress)

Globalisierung 

Der Begriff der Globalisierung ist vor allem im deutschen Sprachgebrauch relativ neu, aber findet eine wachsende Verwendung. Es hat schon immer Grenzen und Kontinente überschreitende Verflechtungen gegeben. Das betrifft sowohl die wirtschaftliche Seite als auch die Migration, also sowohl Kapital als auch die Arbeitskraft. Auch kulturelle Einflüsse waren weit von ihren Ursprüngen entfernt bemerkbar. Aber es gibt keinen Zweifel, dass diese Kontakte und Verflechtungen über die Jahrhunderte zunahmen. 

Das betrifft den Handel mit Gütern und auch Dienstleistungen. Aber auch die Unternehmensverflechtungen haben stark zugenommen. 

Ebenso gibt es verstärkte Migrationsströme innerhalb der Kontinente, aber auch zwischen den Kontinenten. 

Entscheidend ist aber die Herausbildung eines globalen Arbeitsmarktes, vor allem durch die Konkurrenz aus China aber auch aus Indien etc. Es ist auch nicht verwunderlich, dass die zusätzliche Konkurrenz durch ca. 1 Milliarde Arbeitskräfte – aber nicht entsprechend gestiegene Kaufkraft – Menschen in entwickelten Ländern Angst macht. 

Mit zunehmender Industrialisierung, aber auch auf Grund des Bevölkerungswachstums, sind auch die ökologischen Auswirkungen global gewachsen. Die Auswirkungen der Klimaveränderungen sind heute überall bemerkbar und erzeugen neue Ängste. 

Solche Ängste bemerken wir in entwickelten Länder vor allem dann, wenn sich – nicht zuletzt auf Grund der Auswirkungen der Klimaveränderungen – Menschen aus dem „Süden“ auf den Weg in Staaten des „Norden“ machen.

Für unser Thema sind aber vor allem die globalen Informations- und man kann auch hinzufügen Des-Informationsströme wichtig. Die sozialen Medien sind ein Zeichen der Globalisierung aber auch für die neue Bürgergesellschaft von konstituierender Bedeutung.

Dabei hat man feststellen können, dass sich schlechte Nachrichten – wie die über Katastrophen – schneller verbreiten als die über positive Entwicklungen. Und schlechte Nachrichten erzeugen bzw. verstärken Angst. Dabei wird diese Angst von einigen politischen Kräften auch bewusst geschürt. 

Nun gibt es zunehmende Kritik an den internationalen Verflechtungen. TTIP also das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und den USA ist ein typisches Beispiel – allerdings auch eine Beispiel für ideologisch geführte Diskussionen. In Europa hat man eine Dominanz der USA durch das Abkommen befürchtet, aber Präsident Trump hat es gestoppt, weil er es als Nachteil für gegen die USA betrachtete. 

Die Kritik an der Globalisierung hat jedenfalls zum Teil zu grotesken Reaktionen geführt. Ein neuer Nationalismus verspricht die Konsequenzen der Globalisierung zu bekämpfen ohne allerdings anzugeben, wie das erfolgen soll. Und vor allem werden nur Gewinner des neuen Nationalismus (denken wir an neue Zölle oder an Grenzkontrollen etc.) angeführt und keine Verlierer. 

Bürgergesellschaft

Unter Bürgergesellschaft verstehe ich eine Gesellschaft, die nicht autoritär geführt wird, sondern in der die Menschen gehört werden und in der ihnen verschiedene Formen der Partizipation die Möglichkeit gibt, Entscheidungen – zum Beispiel Investitionen – direkt oder indirekt zu beeinflussen. 

Der Weg zur Bürgergesellschaft war ebenso ein langer – genau wie der Weg zur heutigen globalen Verflechtung. Allerdings war er immer wieder durch die Herausbildung von Diktaturen und Führerstaaten unterbrochen. Auch die Globalisierung hat Unterbrechungen gekannt aber weniger starke. 

Was wir auch heute wieder sehen: Demokratien, und das sind vor allem Bürgergesellschaften, sind keineswegs auf immer gesichert. Immer wieder finden sich politische Kräfte und Faktoren, die die Bürgergesellschaften in Frage stellen. Ich meine damit nicht nur Parteien sondern auch vermeintlich bürgerfreundliche Medien bzw. die Benutzer solcher Medien, wenn sie Fake News verbreiten. Und immer mehr Staaten, private Organisationen und Einzelne versuchten Fake News unter die Leute zu bringen, um so Menschen in ihrem Interesse zu mobilisieren. 

Eine Bürgergesellschaft im oben definierten Sinn kann nur funktionieren, wenn sie ausreichende und auf Fakten beruhende Informationen zur Verfügung hat. Natürlich kann man auch über Fakten streiten. Aber wir müssen von bestimmten nachvollziehbaren Tatsachen ausgehen und können nicht alles relativieren. 

Wir leben allerdings in Zeiten, wo Fachleute und Eliten immer mehr in Frage gestellt werden. Das betrifft insbesondere „kosmopolitische“ Eliten, die symbolhaft für die kritikwürdige Globalisierung stehen. Waren es ehedem die vererbten Eliten – also der Adel und auch der Geldadel -, der kritisiert wurde, so ist es heute auch schon die meritokratische Elite, die in Frage gestellt wird. 

Dazu gehören sicherlich die Ökonomen, Stadtplaner, Architekten, Ingenieure etc. Sie sind allerdings nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung. Auch wenn sie im guten Glauben handelten, so haben sie auf Emotionen und insbesondere Ängste kaum Rücksicht genommen. Zwar sind zunehmend psychologische Elemente in die Lehre aufgenommen worden aber keineswegs im adäquaten Ausmaß. Noch immer gibt es allzu viele, die an den homo oeconomicus glauben, also an einen Menschen, der rein rational handelt, ob es sich um Konsum-, Investitions- oder auch Wahlentscheidungen handelt. Und ExpertInnen sollten nicht vergessen, dass auch sie bei ihrer Meinungsbildung von subjektiven Ansichten oder von finanziellen Interessen geleitet sein können. 

Den Eliten werden dann oft die Verlierer, die an den Rand Gedrängten, gegenüber gestellt. Das sind die WählerInnen von Donald Trump und in Europa von populistischen Parteien. Sie sind besonders schwer von neuen Projekten zu überzeugen, weil sie fürchten noch weiter zu verlieren. Wobei „verlieren“ oft nicht absolut gemeint ist sondern in Beziehung zu denjenigen zu setzen ist, die sich in der neueren, unsichereren Gesellschaft und Wirtschaft zurechtfinden, die vielleicht sogar Nutzen daraus ziehen können. 

Wie soll es weitergehen?

Wie sollen wir – die Politik, die Investoren und die Ingenieure etc. – agieren? Grundsätzlich müssen wir die neuen Entwicklungen im Bereich der Informations- oder auch Des-Informationsgesellschaft zur Kenntnis nehmen. Und zweitens müssen wir von einem gestärkten Einfluss von Emotionen und vor allem von Verlustängsten ausgehen. 

Da gibt es den Vorschlag, dass die direkte Demokratie, also vermehrte Volksabstimmungen a la Schweiz, den(!) Ausweg aus Entscheidungsschwierigkeiten bietet. Man darf aber nicht vergessen, dass die Schweiz diesbezüglich eine lange Tradition hat. Darüberhinaus ist jede Abstimmung mit einer sehr umfangreichen und verpflichtenden Information verbunden. Ich glaube nicht, dass das Schweizer Modell, das einen Teil einer bestimmten politischen Kultur darstellt, auf andere Länder übertragbar ist.

Aus ähnlichen Gründen halte ich nicht viel von Abstimmungen per Mausklick. Auch sie sind oft von momentanen Emotionen abhängig und schaffen nicht die Möglichkeit eines offenen Diskurses. 

Ich halte es daher für sinnvoll, den Weg des „sound value engineering“ zu verfolgen. Am Weg verstärkter Information, eines intensiven Dialogs mit den Betroffenen und des versuchten Interessenausgleichs, führt kein Weg vorbei. 

Dabei ist zu berücksichtigen, dass jedes Projekt Gewinner aber auch Verlierer erzeugt. In der Ökonomie hat man das Modell entwickelt, dass die Gewinner die Verlierer kompensieren sollen. In der Praxis ist das aber schwer möglich. Daher muss das zwischen Investor und dem Staat, der Region und der Kommune geteilt werden. 

Nun stellt sich bei den Debatten über verschiedene Projekte die Frage: Wer vertritt die Bürgergesellschaft? Vielfach haben wir es auch damit zu tun, dass Einzelne sich als Vertreter des Volkes und des Gemeinwohls darstellen. Und ein wachsender Individualismus bzw. sogar Egoismus ist nicht zu leugnen. In einer ungleichen Gesellschaft fühlen sich schnell Menschen benachteiligt und wähnen sich als Verlierer. 

Die Ungleichheit wird aber oft noch dadurch verstärkt, dass sich vermögende BürgerInnen, die sich einen Anwalt leisten können, einen Vorteil herausholen.

Ein anderes Problem ist, dass sich normalerweise eher die Gegner als die Befürworter zu Worte melden. Das ist bei einzelnen Projekten der Fall, aber auch bei größeren Entscheidungen wie bei der Abstimmung über den Brexit.

Je mehr unabhängige ExpertInnen versuchen die Gewinner und Verlierer zu definieren und zu gewichten, desto mehr kann man die betroffenen BürgerInnen gezielt in die Debatten miteinbeziehen. Und es bedarf auch einer klugen und neutralen Moderation, um eine gewisse „Waffengleichheit“ zwischen Investoren und Betroffenen herzustellen.

Ich habe selbst immer wieder erlebt, wie sich bei der Vorstellung von Verkehrsprojekten aber auch von neuen Flächenwidmungsplänen für den sozialen Wohnbau Proteste der Anrainer erhoben. Die Nutznießer meldeten sich nicht oder waren oft bei den Planungen noch gar nicht bekannt. Das schafft natürlich ein Ungleichgewicht in der Diskussion, das man auch benennen muss. Bürgerbeteiligung heißt nicht allen Widerständen nachzugeben. 

Ich könnte aber auch Beispiele anführen, bei denen die von offizieller Seite beigezogenen ExpertInnen einsehen müssten, dass die Expertise aus der Bevölkerung wichtige Verbesserungen an den Projekten vornahmen. Auch waren viele DiskussionsteilnehmerInnen froh, endlich gehört zu werden und ihre Ansicht vertreten zu können. 

Zusammenfassung

In diesem Sinn kann das Sound Value Engineering sogar einen wichtigen Beitrag zur Herausbildung und zur Pflege von funktionierenden Bürgergesellschaften führen. Sie können Praxismodelle der partizipativen Demokratie darstellen.  

Es geht also nicht nur darum, bessere Projekte zu verwirklichen und um schneller zum Ziel zu kommen sondern es geht auch um die Umsetzung des Gemeinwohls. Aber es geht dabei eben nicht nur darum, möglichst viele Gewinner zu haben sondern auch darum die Anzahl der Verlierer möglichst gering zu halten und zweitens sie soweit als möglich zu entschädigen.

Dabei zählen zu den Verlierern und Gewinnern nicht nur die unmittelbar betroffenen Menschen sondern auch die zukünftigen Generationen und damit auch die Umwelt. Damit bekommen solche Investitionsentscheidungen eine große Bedeutung im Rahmen einer Verantwortung für die Zukunft unserer Welt im Kleinen wie im Großen. Dessen sollten sich öffentliche aber auch private Investoren bewusst sein.