Griechenland auf dem Weg nach vorne

Mein jüngster Besuch in Griechenland – in den Tagen der Regierungserklärung von Premierminister Tsipras und danach – sowie meine Gespräche dort haben mich positiv gestimmt. Als Titel dieses kurzen „Reiseberichts“ habe ich nicht den „Weg nach oben“ gewählt, das wäre zu optimistisch und zu früh, denn immerhin gibt es noch kein Wirtschaftswachstum zu verzeichnen. Aber der allgemeine Eindruck, den meine Gesprächspartner vermitteln ist, dass die Entwicklung nach vorne weist. Da stimmen führende VertreterInnen der Industrie und des Bankwesens sowie der unterschiedlichen linken Parteien überein.

Hannes Swoboda - Griechenland Oktober 2015

Die Beurteilungen der ersten Tsipras Regierung gehen dabei durchaus auseinander. Ich glaube auch, dass da viel versäumt wurde und Griechenland im wahrsten Sinn des Wortes draufgezahlt hat. Über den ehemaligen Wirtschafts- und Finanzminister Varoufakis redet daher heute kaum einer mehr. Premierminister Tsipras hat es geschickt verstanden, sich in eine starke und derzeit unangreifbare Situation zu hieven. Durch das Referendum und die neue Wahl danach hat er eine starke Position erzielt und hat derzeit bei der Umsetzung des Reformprogramms keine wirkliche Opposition. Natürlich sind die radikalen „Linken“ enttäuscht, aber sie haben den Einzug ins Parlament nicht geschafft. Jetzt wo Tsipras durch seine geschickten Schachzüge freie Hand bekommen hat, lastet eine große Verantwortung auf ihm.

Und das ist die große Frage: Will er und kann er auch das Reformprogramm umsetzen. Seine jüngste Regierungserklärung hat diesbezüglich eine klare, positive Antwort gegeben. Sie wurde auch allgemein gut aufgenommen. Da war von Reformen des öffentlichen Sektors, von Anreizen für private Investitionen, von Rückzahlungen der Schulden etc. die Rede. Tsipras hat es auch leichter als die Vorgängerregierungen. Das mit der EU verhandelte Paket enthält weniger Austerität und mehr budgetären Spielraum als die Vorgängerpakete. Auch dürfte die bis Jahresende notwendige Rekapitalisierung der Banken keine all zu großen Schwierigkeiten machen.

Die immer wieder gestellte Frage ist, ob die Regierung genug Fachleute hat, die fähig sind, die versprochenen Reformen gegen den sicher entstehenden Widerstand umzusetzen. Das jetzige Wirtschaftsteam der Regierung Tsipras 2 ist eindeutig kompetenter als das Vorgängerteam. Und der neue Finanzminister hat in seiner jüngsten Rede im Parlament auch die extreme Bürokratisierung kritisiert, ein Haupthindernis gegen die Modernisierung des Landes. Aber nicht für alle Minister fällt das Urteil gleich positiv aus. Und vor allem gilt das nicht für den rechten, nationalistischen Koalitionspartner. Dass Tsipras gerade eine solche Partei gewählt hat mag darin begründet sein, dass er als Linkspopulist keinen Rechtspopulisten außerhalb der Regierung wollte. Aber irgendwann wird es auch eine Regierung mit durchgehend kompetenten und reformorientierten Ministern brauchen.

Dabei geht es nicht nur um einen Abbau der Bürokratie und um eine effiziente Steuereinhebung. Es geht vor allem auch darum, die Bevölkerung auf eine notwendige Änderung der Mentalität und vor allem eine neue Einstellung zum Staat einzuschwören. Dem „Staat“ die Steuern nicht zu zahlen sollte kein beliebter Sport mehr sein. Natürlich muss sich da auch der Staat ändern, weniger Bürokratie und mehr Leistung für den Kunden sind notwendig. Die Griechen arbeiten auch viel. Laut Statistik mehr als die Deutschen und die Österreicher, aber sie sind weniger produktiv. Und mein Eindruck, wenn man durch die Straßen von Thessaloniki oder Athen geht, entspricht dem auch.

Wenn allerdings das Arbeiten vorwiegend im eifrigen Handeln besteht, dann genügt das nicht. Es ersetzt nicht das Produzieren von Produkten. Da ist noch viel nachzuholen. Das kann auch geschehen wenn man sich auf die Qualität – z.B. der Lebensmittel, der pharmazeutischen Produkte konzentriert. Zwar kommen diese griechischen Produkte später als andere auf den Markt, aber mit Qualität kann man auch dann punkten. Dazu braucht es auch zusätzlicher ausländischer Investoren. Aber um neue Investoren anzulocken bedarf es der Öffnung der Märkte. Das muss jetzt mit Entschlossenheit unternommen werden? Denn die Löhne sind stark gesunken (ca. 30%) aber die Preise kaum (ca. 2%)!

Ich glaube auch, dass dies alles ohne Verlust der „griechischen“ Lebensweise geschehen kann. Auch Österreich hat sich trotz Wachstum und wirtschaftlichem Strukturwandel viel von seiner spezifischen – gemütlichen – Lebensweise erhalten. Die Modernisierung einer Wirtschaft muss nicht mit der „Entmenschlichung“ eines Landes und seiner gesellschaftlichen Strukturen einhergehen.

Bei allem Optimismus hinsichtlich des Wollens der Regierung, das mit der EU vereinbarte Programm umzusetzen, sollte man nicht die Schwierigkeiten, die diese Vereinbarung schafft, übersehen. Manche Forderungen sind schlicht grotesk. Das Vorauszahlen von Einkommen ist für viele Klein- und Mittelbetriebe schwer zu verkraften, aber gerade die braucht man für Investitionen und um Arbeitsplätze zu schaffen. Der Verlust von Wohnungen oder Geschäftslokalen bei Fälligstellung der ausstehenden Kredite kann ebenfalls sozial und wirtschaftlich sehr schädlich sein. Man muss berücksichtigen, dass viele überfordert sind, bei deutlich gesunkenem Einkommen die Mieten bzw. die Wohnungskredite zeitgerecht zurückzuzahlen.

Auch die Einkommen aus der Privatisierung sind weit überschätzt. Es ist bekannt, dass wenn Privatisierung unter Druck gemacht werden muss, die Einnahmen hinter dem zurückbleiben, was bei gut geplanter Privatisierung erzielt werden kann. Wenn die potentiellen Verkäufer wissen, dass schnell verkauft werden muss, dann sind sie in einer viel besseren Verhandlungsposition.

Wenn die EU und alle Gläubiger wirklich wieder ihr Geld haben wollen, dann müssen sie beim Umsetzen der Vereinbarungen flexibel sein. Schon aus Egoismus heraus müssten sie das sein. Außer sie wollen ideologisch handeln und Griechenland doch noch aus der Eurozone drängen bzw. sie wollen Tsipras und Syriza keinen Erfolg gönnen. Doch ich wünsche mir einen Erfolg von Tsipras. Ich teile nicht alle seine Positionen, aber abgesehen von den Mühen und Plagen der griechischen Bevölkerung gilt es zu beweisen, dass Linke einen klientelistischen Staat reformieren können. Und vielleicht nur sie. Da kann dann die europäische Sozialdemokratie auch viel davon lernen.

Aus meiner Sicht war es jedenfalls absolut richtig Griechenland in der Eurozone zu halten. Glücklicherweise sind die Versuche, das Land aus der Eurozone herauszunehmen bzw. zu vertreiben, gescheitert. Da waren manche an beiden Seiten in dieser Richtung aktiv. Der deutsche Finanzminister war einer davon und vielleicht auch sein Gegenüber und Ex-Kollege Varoufakis auf der griechischen Seite. Auch manche Forderungen der Troika waren de facto darauf angelegt den Austritt als einzige Alternative zu betreiben. Allerdings waren vor allem die Vertreter des Internationalen Währungsfonds besonders intransigent. Auch wenn das im Gegensatz zu öffentlichen Äußerungen der IWF Chefin Lagarde und des IWF Chefvolkswirts Olivier Blanchard stand.

Das Land hat seine Potentiale und seine faszinierenden Seiten. Jeder Spaziergang unter anderem durch Thessaloniki oder durch Athen zeigt dies. Auch wenn klar ersichtlich ist, dass das Land ärmer als manch andere EU Mitgliedsländer ist. Gerade auch die Städte weisen einen hohen Sanierungsbedarf aus. Die Inseln des Luxus können nicht über die größeren Inseln der Armut hinweg täuschen. Europa darf aber nicht nur ein Europa der Reichen bzw. des Zentrums sein. Auch die Ärmeren und die Peripherie gehören dazu. Da sollte das Zentrum nicht zu überheblich sein.