Im – friedlichen – Kurdistan

Schon vor langer Zeit haben die Austrian-Airlines eine Flugverbindung nach Erbil im Irak aufgenommen. Recht bald nach dem Sturz von Saddam Hussein galt diese Stadt als so sicher, dass ohne weiteres reguläre Flüge aufgenommen werden konnten. Erbil ist die Hauptstadt der Region Kurdistan, die in vielen Aspekten einem selbstständigen Staat gleichkommt. Allerdings, formell ist diese Region Teil des Iraks und wartet noch immer auf eine Klärung der Beziehungen zur Zentralregierung. Vor allem was die Einkommen aus den Ölexporten betrifft und bezüglich einiger umstrittener kurdischer Gebiete, die sich nicht unter Verwaltung der Kurdischen Regionalregierung befinden.

Die Geschichte der Kurden im Nahen Osten ist lang und schmerzvoll. Eine besonders tragische Epoche war die Zeit der Giftgasangriffe durch Saddam Hussein. Diese führten aber in der Folge, Anfang der Neunziger Jahre, zu einer vom Westen kontrollierten Flugverbotszone, was praktisch der Beginn einer halb-autonomen kurdischen Republik bedeutete. Dieser Eingriff in die Souveränität des Iraks war ein sehr gerechtfertigter, rettete vielen Menschen das Leben und ermöglichte endlich wenigstens einem Teil der Kurden eine ausgedehnte Selbstverwaltung.

Spätestens mein kurzer Besuch in Erbil hat mich davon überzeugt, dass die irakischen Kurden sehr viel aus ihrer gewonnen Selbstständigkeit machen. Obwohl sie selbst noch kein Öl (und Gas) exportieren dürfen – eine Einigung mit der irakischen Zentralregierung darüber steht noch aus – boomt das Land wirtschaftlich. Erbil und Kurdistan insgesamt wurden zu einem „Treffpunkt“ der Investoren, von den Emiraten bis zur Türkei. Tausende von Unternehmungen siedelten sich hier in den letzten Jahren an.

Wie erwähnt, viele Fragen im komplizierten Verhältnis zwischen Erbil und Bagdad sind noch ungeklärt. Und mancher potentielle Investor wartet auf diese Klärung, um hier zu investieren. Aber die hervorragende Sicherheitslage lockt bereits jetzt viele Investoren an. Das Gespräch mit dem Sicherheitschef des Landes, dem Sohn des Präsidenten Barzani, war auch eines der interessantesten. Er geht von einem sehr umfassenden zivilen, polizeilichen und militärischen Konzept aus. Die Schaffung von Arbeitsplätzen und neue Investitionen fördern die Sicherheit des Landes und umgekehrt. Viele alte Guerilla-Kämpfer (Peshmerga) konnten in die Sicherheitskräfte integriert werden. Aber man hat nicht den Eindruck, in einem Polizeistaat zu leben. Und das im Irak, wo fast täglich Attentate stattfinden. Den Kurden ist hier eine große Leistung gelungen.

Immer wieder fragte ich in den Gesprächen mit dem Präsidenten Barzani, dem Außenminister und dem Sicherheitschef, wie eigentlich das Verhältnis zu den Kurden in den anderen Regionen ist. Alle antworteten im gleichen Sinn: wir mischen uns nicht in die inneren Angelegenheiten unserer Nachbarn ein, aber selbstverständlich wünschen wir eine Verbesserung der Lage der Kurden von Syrien über die Türkei bis in den Iran. Bezüglich der Kurden in Syrien kritisierten sie die Aktivität einer PKK nahen Organisation (PYD) die einen Teil der Kurden in Richtung Präsident Assad geführt haben und damit die Einheit der syrischen Kurden zerstört haben.

Was nun die Türkei betrifft, so hat es ja seit den Treffen von Premierminister Erdogan und Präsident Barzani in Erbil und Diyarbakır eine starke Annäherung zwischen der Türkei und Kurdistan gegeben. Meine Gesprächspartner lobten auch Erdogans Bereitschaft, die Kurdenfrage zu „lösen“. Ich sehe allerdings nach anfänglichem Entgegenkommen keine großartigen Schritte Erdogans auf die türkischen Kurden zu. Aber vielleicht kommt das noch nach den Präsidentschaftswahlen, bei denen Erdogan hofft, auf den türkischen Präsidentensessel gehievt zu werden.

Das bessere Verhältnis zwischen Kurdistan und der Türkei hat allerdings für beide Seiten große wirtschaftliche Vorteile. Die schon erwähnte Investitionstätigkeit türkischer Unternehmungen in Kurdistan sowie die Fertigstellung einer Pipeline zum türkischen Energiehafen Ceyhan sind zwei wichtige Zeichen einer engen wirtschaftlichen Verflechtung zwischen beiden Feinden von gestern.

Es ist durchaus verständlich, dass sich das heutige Kurdistan nicht allzu sehr in die inneren Verhältnisse der Nachbarländer einmischt. Denn sie wollen nicht als Unruheherd, sondern als Faktor der Stabilität dastehen. Die Nachbarländer schauen da mit Argusaugen auf die Aktivitäten der kurdischen Nationalregierung. Und die Vertreter der beiden großen kurdischen Parteien, die wir trafen, also der PDK und der PUK, waren sich in dieser Zurückhaltung einig. Jetzt geht es erst einmal um die Bewahrung der Sicherheit und Stabilität und um die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Mit einer geringen Arbeitslosigkeit bei etwa vier bis sechs Prozent sind sie schon sehr weit gekommen.

Und das alles, ohne ein völkerrechtlich voll selbstständiger Staat mit entsprechenden Grenzen zu sein. Das kurdische Beispiel zeigt deutlich, wie wichtig es ist, sich auf die zentralen Fragen zu konzentrieren und nicht dauernd nach vollständiger Unabhängigkeit zu rufen. Nicht nur einmal kam das Beispiel der Europäischen Union in die Diskussion. Grenzen sind nicht das wichtigste. Entscheidend ist es, den Menschen Arbeit und eine konkrete Zukunftsperspektive zu geben. Das sollte man im Europa von heute öfters hören, vor allem auf Seiten der Nationalisten, für die Grenzen und die eigene Nation wieder über alles andere zu stehen kommen.