In Istanbul

Hannes-lächelndWiedereinmal stand ein Kurzbesuch in der Türkei auf dem Programm und auch diesmal war es Istanbul. Eingeladen haben mich die Organisatoren des dritten „Istanbul Financial Summit“, das sich mit den Finanzmärkten angesichts einer fragilen Umgebung beschäftigen sollte. Meine Key Note Rede sollte die Finanzmärkte und die sozialen Netze behandeln.

Meine Kernaussagen, die ich auch auf empirische Studien aufbaute, plädierten für ein ausgeglicheneres Verhältnis von Finanzsektor und realer Wirtschaft bzw. zwischen der wirtschaftlichen und der sozialen Agenda. Empirisch lässt sich nachweisen, dass ein hoher bzw. rasch wachsender Finanzsektor Ressourcen von anderen Wirtschaftssektoren abzieht und damit das Wachstum insgesamt schwächt. Und überdies wird das Wachstum auch durch die ungleichere Verteilung der Einkommen und der Vermögen reduziert.

Das Fazit ist, dass wir einen geringeren Finanzsektor brauchen -durch Regulierung und Besteuerung- und mehr Mittel aus diesem Sektor in die Realwirtschaft leiten müssen. Gerade dazu brauchen wir eine Rückkehr zu einer mehr ausgewogenen Verteilung von Einkommen und Vermögen. Auch das würde das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung fördern. Angesichts dieser strukturellen Probleme und Notwendigkeiten greifen unsere europäischen Krisenmaßnahmen viel zu kurz.

Mein Aufenthalt in Istanbul war allerdings auch wieder von vielen Interviews geprägt. Einige Einladungen bekam ich von den wichtigsten Zeitungen, andere von Fernsehstationen unter anderem auch für ein 50 minütiges Gespräch mit dem öffentlichen türkischen Fernsehen – vor dem herrlichen Panorama der Stadt.

Daneben gab es auch eine Reihe von Gesprächen zur politischen Lage mit Experten und Vertretern des Reformflügels der CHP unserer “ Schwesterpartei“ in der Türkei. Der neue Parteiführer ist weit offener und progressiver als sein langjähriger Vorgänger. Aber leider wird er immer wieder von Vertretern der alten Garde gebremst. Dabei braucht die Türkei mit dem immer autoritäreren Premierminister Erdogan dringend eine Alternative.

Erdogan hat mit seiner AK Partei am Anfang seiner Regentschaft viele wichtige Reformen umgesetzt. Aber leider dürfte der Reformeifer erlahmt sein. Das betrifft insbesondere die Kurdenfrage. Es gibt aber auch noch immer nicht die versprochene neue Verfassung. Und anstatt guter Beziehungen zu allen Nachbarn, hat die Türkei nun mit allen Nachbarn Probleme. Das ist nicht nur die Schuld der Türkei, aber auch der zumindest Ungeschicklichkeit der gegenwärtigen Regierung.

Nach wie vor stellt das Kurdenproblem eine große Herausforderung für die Türkei dar. Leider hat die PKK wieder mit ihren terroristischen Anschlägen begonnen. Und die Regierung schafft es nicht in einer Doppelstrategie die Gewalt der PKK mit Polizei und wo notwendig mit dem Militär zu bekämpfen und gleichzeitig durch Gespräche, Verhandlungen und über Mittler eine politische Lösung zu erzielen. Anstatt dessen werden eine Reihe von Journalisten und Lokalpolitiker die der Kontakte zur PKK verdächtigt werden ins Gefängnis geworfen.

Ein Thema, das ich wieder anschnitt ist die Dezentralisierung des Landes, die so indirekt auch den kurdischen Kommunen und Regionen mehr Selbstverwaltung einräumen könnte. Die Türkei ist ohnedies für einen modernen Staat viel zu zentral verwaltet. Und im Sinne der Bürgernähe braucht es ohnedies ein Näherkommen von Politik und Verwaltung zu den Bürgern. Und das könnte auch den politischen Vertretern der Kurden mehr Möglichkeit einräumen und sie stärker ins System integrieren. Eine solche Dezentralisierung würde nicht alle Probleme lösen aber sicher helfen, eine Entspannung zu erreichen.

Auch diesmal wollte ich es nicht versäumen, einen Blick auf Istanbul vom Wasser aus zu werfen. So stand ich am Tag unserer Abreise sehr früh auf um noch vor einem letzten Interview den Sonnenaufgang am Bosporus zu erleben. Beim Blick auf die Stadt fallen einem jedes Mal die neuen Hochhäuser auf – nicht im Bereich der historischen Altstadt aber an den sich immer weiter ausdehnenden Rändern der Stadt. Istanbul drückt die wachsende Wirtschaft und das noch stärker wachsende Selbstbewusstsein der türkischen Politiker aus.

So hat vor meinem Redebeitrag der stellvertretende Premierminister und Wirtschaftsminister Babacan diese Haltung klar zum Ausdruck gebracht. Mehrmals betonte er, dass die Türkei das stärkste Wirtschaftswachstum Europas(!) aufweist und natürlich gibt es in der türkischen Wirtschaft und auch beim Budget keine Probleme. Erst in der Diskussion gab er einige Schwierigkeiten zu. Gerade diese selbstbewusste und manchmal nationalistische  Haltung macht es auch mir schwer daran zu glauben, dass sich die Türkei gut in die EU integrieren könnte.

Aber dessen ungeachtet bin ich ein starker Befürworter die Beziehungen zu diesem wichtigen und aufstrebenden Land zu intensivieren. Immer wieder bin ich ja auf die fast eingefrorenen Beziehungen zwischen der EU und der Türkei angesprochen worden. Und man sollte auch in den Beitrittsverhandlungen einige neue Kapitel eröffnen so das Energiekapitel und die Kapitel Justiz und Inneres. Dann konnten wir auch die Fragen der Grund- und Menschenrechte stärker ansprechen. Aber wir sollten nicht immer auf die Beitrittsfrage starren.

Wir haben in unserer gemeinsamen Nachbarschaft zu viele gemeinsame Probleme. Denken wir nur an den arabischen Frühling und insbesondere die Lage in Syrien. Vor allem den politischen und wirtschaftlichen Aufbau nach dem Fall von Assad sollten wir gemeinsam begleiten und auch gemeinsame Projekte durchführen. Vor allem dann, wenn Premierminister Erdogan nicht einen zu religiösen und fundamentalistischen Weg einschlägt was manche befürchten. Aber wie dem auch sei, die Türkei bleibt ein wichtiger dynamischer Nachbar in dem sich europäisches Engagement lohnt. Und Istanbul bleibt eine faszinierende Stadt. Vor allem wenn man zeitlich in der Früh mit den vielen jungen Männern und Frauen (davon wenige mit Kopftuch)  auf der Fähre vom „asiatischen“ in den „europäischen“ Teil der Stadt fährt und das erwachende Istanbul erlebt.