In Istanbul

Wieder einmal war ich auf einen – nicht einmal 20 Stunden dauernden – Kurzbesuch in Istanbul. Anlass war eine von mir zu haltende Keynote Adress bei einem Kongress über Rechtsstaatlichkeit in der EU und der Türkei. Auch einige Journalisten benützten diese Gelegenheit, um mit mir Interviews über dieses Thema und generell über die Beziehungen der EU zur Türkei zu führen. Wie immer sind die Interviewpartner entweder eher Erdogan oder der Opposition zugetan.

 

Zuvor allerdings traf ich die Chefs der türkischen Anwaltsvereinigung, die sowohl Erdogan als auch die Opposition kritisierten. Die Regierung und speziell Premierminister Erdogan deshalb, weil er zunehmend individuelle Rechte, so auch jene der Anwälte, einschränke. Und weil er die reale Gefahr der Unterwanderung des Staates durch die Gülen-Bewegung zur undemokratischen Gestaltung des Rechtssystems verwendet bzw. missbraucht. Nachdem er zuerst der Gülem-Bewegung die Schleusen in die Verwaltung sowie ins Rechts- und Polizeisystem geöffnet hat, hat er sie, als sie ihm zu mächtig geworden sind, zu Feinden erklärt. Im Übrigen wurde ja die moderate islamische Gülen Bewegung nicht zuletzt durch eine öffentliche Finanzierung ihrer Schulen etc. durch Erdogans Regierung und Stadtverwaltung unterstützt.

 

Und die Opposition, vor allem die „sozialdemokratische“ CHP, bietet leider keine wirkliche Alternative. Sie scheint sich sogar mit der Gülen Bewegung zu arrangieren, nur weil diese jetzt den Hauptfeind Erdogans darstellt. Soweit die Meinung dieser Spitzen der Anwaltsvereinigung.

 

Die Veranstaltung, auf der ich mein Referat hielt, schien eher von einer Juristenvereinigung ausgerichtet zu sein, die jedenfalls eindeutig Erdogan verurteilte. Ihr Verhältnis zur Gülen-Bewegung, Gülen selbst ist ja nach wie vor im Exil in den USA, wurde mir nicht klar. Aber ich bleibe meinen Grundsätzen treu und kritisiere die Dinge, die ich nicht für richtig halte, unabhängig wer dahinter steht. Das schafft mir nicht nur Freunde, aber mir geht es um die Sache.

 

Vor allem geht es mir um die Verteidigung der Meinungsfreiheit, um die Unterstützung der individuellen Freiheiten gegen das Ausspionieren und um die Unabhängigkeit der Justiz. All dies wird durch die gegenwärtige Regierung immer wieder in Frage gestellt. Zum Teil versucht Erdogan, Justiz-Reformen, die er selbst gegen den Widerstand der Opposition eingeleitet hat, wieder rückgängig zu machen. Und der Versuch, Youtube bzw. Twitter zu sperren, ist nur ein Beispiel für die versuchte Einschränkung der Meinungsfreiheit. Ein anderes Beispiel ist die Gründung eines mit großen Vollmachten ausgestatteten Geheimdienstes, der auch die Arbeit der Anwälte gefährdet.

 

In einem der Interviews meinte ich, die Türkei sei heute weiter weg von einem möglichen Beitritt zur EU als vor sieben, acht Jahren. Erdogan war zu Beginn seiner Amtszeit durchaus ein Reformer. Aber dann schmeckte ihm die Macht zu sehr. Und die EU war und ist nicht bereit, ihn zu testen. Insbesondere die Eröffnung der Verhandlungskapitel 23 und 24, die die Justiz und die Rechtsstaatlichkeit betreffen, könnte einen solchen Test darstellen. Dann müsste nämlich Erdogan Farbe bekennen. Aber auch wenn Erdogan momentan viel Macht ausübt, die Türkei ist nicht Erdogan. Insbesondere außenpolitisch ist die Türkei wichtig, und angesichts der Krise in der Ukraine ist dieser Anrainer-Staat des Schwarzen Meeres strategisch noch wichtiger geworden. Wobei es derzeit nicht um eine Mitgliedschaft geht, sondern um eine enge außen- und sicherheitspolitische Partnerschaft. Wir brauchen einen verlässlichen Partner in dieser Region.