Interessante „Debatten“

hannes 6Derzeit findet unter konservativen Journalisten eine interessante „Debatte“ statt. Der englische Kommentator und konservative Thatcher Biograph Charles Moore und der Chefredakteur der FAZ Frank Schirrmacher fragen sich in ähnlichen Beiträgen, ob die Linke nicht doch Recht hat. Wie Robert Misek in seinem Kommentar dazu im “ Standard“ aufzeigte, sind die beiden Top Journalisten über die wachsende Ungleichheit und den gesellschaftlichen Konsequenzen daraus besorgt. Charles Moore fragt sich, ob die Freiheit nur für die Reichen gilt und Frank Schirrmacher geißelt die „enthemmte Finanzmarktökonomie“. Des Weiteren fragt er sich, ob das „politische System nur den Reichen dient“.

In einem weiteren Beitrag -ebenfalls in der FAZ- analysieren zwei Soziologen -Jens Beckert und Wolfgang Streeck- die Möglichkeiten der Politik des Finanzsystems Herr zu werden. Für sie ist die Lösung der Schuldenkrise eine Verteilungsfrage: „Nachdem die Zuwächse des Sozialprodukts während der vergangenen dreißig Jahre vornehmlich den oberen Bevölkerungsschichten zugutekamen, stellt sich in der Schuldenkrise die Frage, ob und mit welchen Mitteln die Wohlhabenden versuchen werden, ihre Position auch um den Preis einer massiven sozialen und politischen Krise zu verteidigen. Wir können nicht ausschließen, dass sie die Schrift an der Wand auch weiterhin nicht verstehen wollen.“

Man kann also davon ausgehen, dass der Staat und hier vor allem die konservativ/liberalen Kräfte den Reicheren und den Wohlhabenderen besonders gut gesinnt waren. Das wesentliche Argument war der Hinweis auf den Markt, der doch so offensichtlich besser funktionierte als die verrottete Planwirtschaft, die ja nicht ohne Grund zusammenbrach. Den Ärmeren und sozial Schwächeren jedoch wurde -immer mit Hinweis auf die Funktionstüchtigkeit des Marktes- öffentliche Unterstützung und Hilfe entzogen. In diesem Zusammenhang meinte der deutsche Soziologe – ebenfalls in der FAZ- :“ Der neue große Brand von London brach aus, weil der Staat keinen Schutz mehr bietet und darum keinen Gehorsam erfährt.“ Der britische Premierminister Cameron hingegen meint, dass der Bürger auch dann zu liefern hat, wenn der Staat seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommt. Schoeffer meint hingegen:“ Wenn aber in einem Staatswesen bei sinkenden Wohlstand in gleichem Maße die Solidarität abnimmt, setzt der Staat seine Vertragsidee und damit seine Legitimation aufs Spiel.“

Es geht hier nicht um eine Rechtfertigung vandalistischer und krimineller Akte. Aber die Berufung auf Moral und Disziplin durch Cameron und seine Kumpanen, wenn gerade die Spekulanten der City in London und Cameron selbst mit seinem Freund Rupert Murdoch -und mit ihnen die Spitze der Polizei- es an Moral sehr mangeln haben lassen ist ein Skandal.

Aber zurück zur so sehr vernachlässigten Verteilungsfrage. Ebenfalls in der konservativen FAZ fragt sich die empirische Forscherin Renate Köcher :“ Produzieren wir eine Schicht sozialer Verlierer“? Und sie kommt zum empirisch untermauerten  Ergebnis: “ Unter- und Mittelschicht bleiben abhängig vom Arbeitseinkommen. Die Oberschicht hat sich aus der Abhängigkeit gelöst. Aber auch sonst läuft vieles auseinander in der Gesellschaft.“

Und zwar lösen sich die oberen Sozialschichten von der konjunkturellen Einkommensentwicklung durch “ Vermögen und wachsende Vermögenseinkünfte, Erbschaften und Schenkungen.“ Aber es sind nicht nur die materiellen Unterschiede im Wachsen sondern auch die kulturellen wie die Gesundheitsorientierung, die Lesebereitschaft, das politische Interesse etc. Ist es nicht erschütternd, dass am Beginn unsres Jahrhunderts Forscher hinsichtlich Deutschland – und ähnliches gilt für andere europäische Länder – feststellen müssen: “ Das Auseinanderdriften der sozialen Schichten ist keineswegs nur eine Frage der materiellen Ausstattung, sondern immer mehr auch der Entwicklung unterschiedlicher Kulturen. Ein besonders ernster Aspekt ist dabei, dass sich die Voraussetzungen, unter denen Kinder aufwachsen, die Impulse, Förderungen und Maximen für die Lebensführung, die sie erhalten, immer mehr unterscheiden.“

Der deutsch-britische Soziologe Ralph Dahrendorf hat einmal gemeint, die sozialdemokratische Einstellung und Politik haben sich überholt und dass das sozialdemokratische Jahrhundert vorbei ist. All diese Analysen und Fakten belegen das Gegenteil. Wir müssen neuen Schwung holen, nicht nur im eigenen Interesse sondern im Interesse der gesamten Gesellschaft – jedenfalls hier in Europa. Wir können nur dann stolz auf unseren Kontinent sein und nur dann uns als Modell empfehlen, wenn wir diese Entwicklung stoppen und mehr Gleichheit als Ungleichheit produzieren. Hören wir dabei den konservativen Stimmen aufmerksam zu und schöpfen gerade aus deren Einsichten Mut und Kraft für eine erneuerte sozialdemokratische Politik.