Krise der Politik

Mit der Wahl von Giorgio Napolitano ist das Problem in Italien noch lange nicht gelöst. Napolitano ist ein sehr ehrenwerter Mann. Ich kenne ihn noch als Kollegen in unserer Parlamentsfraktion. Unter anderem war er Vorsitzender des Verfassungsausschusses des Europäischen Parlaments. Italien kann von Glück reden, einen solchen Präsidenten zu haben. Aber die Krise in Italien ist eine tiefere, grundlegende.

Die Wahlen haben die große Unzufriedenheit klar gezeigt. Beppe Grillo ist der Nutznießer dieser Unzufriedenheit. Allerdings hat seine Totalopposition keine neue konstruktive Zusammenarbeit zum Beispiel mit den (Sozial) Demokraten ermöglicht. Und ich verstehe auch die Enttäuschung von Pier Luigi Bersani über die sture Haltung von Grillo. Warum er dann allzu früh und ohne Begründung für die Wahl des Staatspräsidenten ein Bündnis mit Berlusconi gesucht hat, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Jedenfalls ist das Manöver gescheitert. Bersani blieb nichts anderes übrig, als zurück zu treten.

Nun ist die Situation in Italien eine besondere, aber sie ist nicht einzigartig. Die Unzufriedenheit bei unseren Wählerinnen ist weit verbreitet. Die Ursachen sind sicher unterschiedlich. Und Europa ist vielfach der Sündenbock dieser Unzufriedenheit, auch wenn eigentlich nationale Ursachen überwiegen. Das ist das besondere Dilemma.

Einerseits brauchen wir eine konkrete und pragmatische Politik, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Dazu zählt auch ein gewisses Vertrauen der „Märkte“! Dafür benötigen wir auch technisch versierte PolitikerInnen. Anderseits brauchen wir auch radikalere Reformen und auch eine klare soziale Strategie, um das Vertrauen der Bevölkerung wieder zu gewinnen. Die Notwendigkeit das doppelte Vertrauen bzw. die zweifache Legitimität wieder zu gewinnen, ist das größte Dilemma der heutigen Politik.

Wir müssen versuchen – manche mögen kritisch bemerken in echt sozialdemokratischer Manier- einen Weg zu gehen, der pragmatische Wirtschafts- und Sozialpolitik mit radikalen Reformen und einer Wiederbelebung politischer Diskussionen verbindet. Dem steht oftmals die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, also die wachsende Ungleichheit entgegen. Und vor allem die tatsächlichen Verluste bzw. die Verlustängste der Mittelschicht machen einer klaren politischen Linie Schwierigkeiten.

Wir müssen auf die Ängste, Sorgen und Nöte der Menschen eingehen, ohne dem kurzfristigen und kurzsichtigen Populismus zu verfallen. Allerdings ist es schwierig die Grenze zwischen beiden zu ziehen. Die vom französischen Präsidenten Hollande verordnete Transparenz ist so ein Fall. Nach den beharrlichen Lügen seines Budgetministers hinsichtlich eines Bankkontos in der Schweiz, ging Präsident Hollande, durch eine Offenlegung der totalen Einkommens- und Vermögensverhältnisse seiner Minister in die Offensive. Nun soll das auch gesetzlich für die übrigen PolitikerInnen und die hohen Beamten festgelegt werden.

Ist das notwendig, um die Politik transparent und gesund zu gestalten? Oder hilft das vielmehr, um von den Inhalten der Politik abzulenken? Denn auch „reiche“ PolitikerInnen können eine gute und „arme“ eine schlechte Politik machen. Die Personality Stories, der Einkommens- und Vermögensstriptease und ähnliches lenken immer mehr von den politischen Inhalten ab. Aber oftmals ist es nach schweren Verfehlungen, wie denen des französischen Budgetministers, gar nichts anderes möglich als diesen Weg zu gehen. Wir alle dürfen die Bedeutung der Inhalte für die Politik nicht vergessen und sollten verschiedene Wege einer verbesserten Kommunikation mit unseren WählerInnen beschreiten.