LISSABON – HERBST 2019

Anlässlich einer Reise mit dem Architekturzentrum Wien (AZW) nach Lissabon (und Porto) habe ich im Folgenden einige Bemerkungen sozialer und städtebaulicher Natur zusammengefasst. Das ist kein umfassender Bericht über die spannende Architekturexkursion, sondern nimmt die Reise zum Anlass einige kritischen Sätze zu verfassen – auch im Hinblick auf die kommenden Parlamentswahlen in Portugal, eine Woche nach den österreichischen Wahlen.  

Portugal und sein Weltreich

Im September vor 500 Jahren startete der portugiesische Kapitän Ferdinand Magellan seine Reise nach Asien auf der Westroute. Da der portugiesische König dieses Vorhaben nicht unterstützte, unternahm er diese Reise im Auftrag des spanischen Königs. Daher wird er in Portugal nicht so gefeiert wie Vasco da Gama, der 1498 in Kalkutta/Indien landete. Nicht zuletzt ihm zu Ehren wurde auch 1998, also vor 21 Jahren und 500 Jahre nach seiner Landung in Indien die EXPO in Lissabon organisiert.

Magellan und Vasco da Gama sind beide Vorreiter der Globalisierung und des Kolonialismus. Wenn man ihr Verhalten, gerade auch gegenüber den autochthonen Bevölkerungen betrachtet, so waren sie keineswegs Transporteure des europäischen Humanismus. Zwangstaufen und Ermordung der Unwilligen waren Ihnen nicht fremd – im Gegenteil. Dass sie nicht die einzigen waren, die glaubten, auf diese Weise europäische Kultur zu verbreiten, entschuldigt ihr Verhalten nicht. Man sollte die Geschichte des Kolonialismus und des Sklavenhandels nicht vergessen, vor allem dann, wenn wir uns über die Zuwanderung aus den ehemaligen Kolonialgebieten wundern. Anderseits kann man durchaus den Mut und die Weitsicht – im wahrsten Sinn des Wortes – von Menschen wie Magellan und Vasco da Gama anerkennen. Diese Suche nach Neuem und Unbekannten hat viel zum wirtschaftlichen und technologischen Erfolg der Europäer beigetragen. Aber er beruht auch auf der Ausbeutung anderer Völker. 

Der Kolonialismus hat sich jedenfalls auch für Portugal durch lange Zeit hindurch ausgezahlt. Lissabon zeugt in vielen monumentalen Gebäuden und Denkmälern noch heute davon. Man darf nicht vergessen, das portugiesische Kolonialreich war gemessen an der Kleinheit des Mutterlandes sehr umfangreich. Was Portugal nicht gelang, ist sich durch eine starke Wirtschaft zu Hause auf die Zeit nach dem Ende des Kolonialismus vorzubereiten. Die konservative Ideologie und der Glaube an die Aufgabe der europäischen – christlichen Mission verhinderte das. Dabei hätte gerade Portugal durch seine besondere Lage am Atlantik und in unmittelbarerer Nachbarschaft zu Afrika zwischen Europa, Afrika und den USA wirtschaftliche Vorteile für sich herausholen können. Vor allem die Diktatur unter Präsident Salazar hat das durch ihre isolationistische und rückwärtsgewandte Politik – die auch in der Architektur ihren Ausdruck fand – verhindert. Die heute bekanntesten Architekten Portugals wie vor allem Fernando Tavora und dessen Schüler Álvaro Siza Vieira mussten sich gegen diese konservative Tendenz, die vom Regime Salazar geförderte wurde, durchsetzen. 

Lissabon 2008 und danach 

Die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 hat das Land besonders getroffen. Viele junge PortugiesInnen suchten sogar Jobs in den ehemaligen Kolonien. Es gab eine umgekehrte Migration aus dem früheren Mutterland hinaus. Inzwischen hat sich die Lage wieder zurückverlagert. Lissabon ist eine Boomtown geworden, vor allem wenn man die Entwicklung des Tourismus und die Aktivitäten einiger Investoren aus dem Ausland, vor allem auch aus China, betrachtet. Den Aufschwung bekommt allerdings nur ein Teil der Menschen zu spüren. 

In den letzten Jahren hat Lissabon stark an Bevölkerung verloren, aber trotzdem sind die Wohnungspreise massiv angestiegen. Das ist das Schlimmste, was einer Stadt unter sozialen Gesichtspunkten passieren kann. Dem Einfrieren der Mieten in der Vergangenheit ist eine weitgehende Liberalisierung des Wohnungsmarktes gefolgt. Außerdem gibt es derzeit etwa 30.000 Airbnb Wohnungen in Lissabon, also gute Wohnungen, die dem Wohnungsmarkt entzogen werden. Hinzu kommt, dass der soziale Wohnungsbau deutlich unterentwickelt ist.

Auf der Plusseite der Politik der letzten Jahre steht sicher die Senkung der Arbeitslosigkeit. Davon hofft auch die gegenwärtige linke Koalition unter Premierminister Antonia Costa bei den anstehenden Wahlen zu profitieren. Allerdings sind viele Arbeitsverhältnisse prekär, vor allem auch die für die Jüngeren. Die Regierung Costa hat versucht eine Politik der Balance zwischen den rigiden Budget – Forderungen aus Brüssel und den sozialen Herausforderungen zu Hause zu betreiben. Aber was den Wohnungsmarkt, vor allem was die leichten Kündigungsmöglichkeiten betrifft, sind einige soziale Korrekturen absolut notwendig. 

Jedenfalls ist das Lissabon von heute nicht mehr eine gemütliche und verschlafene Stadt. Die gewachsene Zahl der TouristInnen ist vor allem im Zentrum unübersehbar. Und Lissabon will noch mehr an Tourismus anziehen auch aus dem vor Anker gehen von großen Touristenschiffen. Dazu wurde auch ein großer moderner Terminal gebaut. 

Aus meiner Sicht ist das mit den Interessen der EinwohnerInnen verträgliche Ausmaß an Touristen überschritten, aber sicher sehen das all jene, die am Tourismus verdienen anders. Die Frage ist wann die Zustimmung kippt. Aber vielleicht sind dann all jene, die das Wohnen unerträglich finden, schon ins Umland gezogen und pendeln in die Stadt, um am Tourismus zu verdienen. 

Lissabon jedenfalls hat sich nicht zuletzt durch die EXPO und durch kulturelle Investitionen heraus gemausert. Im Rahmen der EXPO wurde eine neue Brücke über den Tejo, ein neuer Bahnhof – entworfen von Calatrava – und verschiedene Pavillons gebaut. Einer davon beherbergt das Ozeanum, ein anderer ein Wissenschaftszentrum etc. Der portugiesische Pavillon von Alvaro Siza mit einer interessanten, freischwebenden Dachkonstruktion hat noch keine permanente Funktion erhalten. Die EXPO machte es auch möglich, Lissabon ans Ufer des Tejo zu rücken. Wie viele Städte hatte auch Lissabon das Problem durch Hafenanlagen und die Verkehrsinfrastruktur entlang des Ufers vom Wasser getrennt zu sein. Jetzt wurde das durch die Weltausstellung aber auch durch weiter Investitionen in Richtung Atlantik deutlich geändert. 

So auch durch das Architektur- und Kunstmuseum in Belem. Dieses Museum ist nicht zuletzt durch ein chinesisches Unternehmen, das den portugiesischen Energieversorger aufgekauft hat, entstanden. Es hat einen Altbau, der im Eigentum des Energiekonzerns stand und denkmalgeschützt ist, renoviert und daneben einen eindrucksvollen Neubau errichtet. In der Tat sind in Portugal viele kulturelle Einrichtungen wie Museen aber auch Theater etc. durch private Investoren errichtet worden oder sind das Ergebnis von geteilt öffentlich und privater Finanzierung. 

Exkursion nach Porto

Das ist auch beim gut ausgestatteten portugiesischen Architekturmuseum „Casa da Arquitectura“ in der Nähe von Porto der Fall. Dieses wird zu fünfzig Prozent von Privaten und zu fünfzig Prozent einer Vorstadt von Porto, Matosinhos, getragen. Sicher hilft da die Tatsache, dass der wahrscheinlich bekannteste Architekt Portugals Alvaro Siza ein Sohn der Stadt ist. Und er hat auch schon in jungen Jahren mehrere – in ihrer Schlichtheit spektakuläre – Bauten entworfen und gebaut, so ein Schwimmbad und das Boa Nova Teehaus auf den Klippen des Atlantik.

Viele soziale Probleme bleiben

Die vor allem auch ausländischen Investitionen haben vielfach für spannende Kulturbauten gesorgt. Seit einigen Jahren wurden Investoren auch durch Visa und Staatsbürgerschaft gegen größere Finanzierungen in Portugal angelockt. Ich verstehe, dass nach der Krise und dem Exodus vieler arbeitslos gewordener Portugiesen das Land die Abwärtsspirale durchbrechen und umdrehen wollte. Aber viele ausländische Investoren sind nur an „spektakulären“ Investitionen interessiert und nicht am sozialen Wohnbau. Und manche, die wie ein chinesischer Investor auf dem EXPO Gelände Wohnungen gebaut haben, bauen Grundrisse und verlangen Preise, die eine Vermietung faktisch unmöglich machen.

Neben der Zuwanderung von finanzstarken Investoren gab es natürlich auch eine starke Zuwanderung von ärmeren Bevölkerungsschichten. Diese kamen und kommen nicht nur aus den ehemaligen Kolonien aus Afrika und aus Brasilien, sondern auch aus verschiedenen asiatischen Ländern. Diese Zuwanderung von ärmeren Schichten hat die schon vorhandene Slumbildung und das Drogenproblem in Teilen Lissabons noch verstärkt. Erst seit einigen Jahren ist man daran gegangen diese Gebiete einer Sanierung zu unterziehen. Und jetzt sind daraus durchaus lebendige und von der Jugend frequentierte Straßenzüge und Plätze geworden – ohne deshalb alle sozialen Probleme zu lösen. 

Der Städtebau und die soziale Frage

Mit diesem kurzen Beitrag wollte ich keineswegs die städtebauliche Entwicklung in Lissabon schlecht „schreiben“. Lissabon hat viel durch die EXPO und auch nachfolgende Investitionen gewonnen. Und wenn auch manches an baulicher Qualität leidet, vieles wird, wenn es einmal besser in die städtische Struktur eingebettet ist, nicht mehr wegzudenken sein. Das gilt vor allem auch für die Schaffung zusätzlichen Freiraums inklusive Parkanlagen. Auch der Versuch der Regierungskoalition unter Antonio Costa – meines ehemaligen Parlamentskollegen – eine extreme Austerity Politik zu vermeiden – verdient große Beachtung. Allerdings sollten wir alle lernen, dass die sozialen Probleme durch großartige Investitionen nicht vergehen. 

Politik im generellen und Städtebau im spezifischen sollte die sozialen Herausforderungen immer im Auge haben und auf Lösungen drängen. Vor allem müssen die Grundlagen für den sozialen Wohnbau geschaffen werden. Im Falle eines Bevölkerungswachstums und der Zuwanderung ärmerer Schichten ist der soziale Wohnbau – zusätzlich zur Arbeitsplatzschaffung für den sozialen Frieden entscheidend.