Migration und Klimawandel: Europa muss Verantwortung übernehmen

(Vortrag zur Eröffnung der Toleranzgespräche 2016 in Fresach/Kärnten mit einigen Ergänzungen auf Grund der Diskussionen)

Migration in einer „flachen“ Welt

Migration und Klimawandel sind keine neuen Phänomene und sie standen vielfach auch in einem direkten Zusammenhang. Neu ist allerdings die globale Dimension der Wanderungsbewegungen. Die Informationsverbreitung über Kontinente hinweg mittels neuer Kommunikationsmittel erzeugt neue „Nachbarschaften“. Um es in den Worten von Thomas Friedman auszudrücken: die Welt ist flacher geworden.

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Die Peripherie die über Jahrhunderte vom – europäischen – Zentrum gestaltet – und oft missgestaltet – wurde, bleibt noch immer Peripherie. Aber Menschen von dort machen sich auf den Weg ins Zentrum. Sie wollen der Armut, dem Hunger und dem Krieg entfliehen. Klimaveränderungen spielen dabei eine immer größere Rolle: als Ursachen für Kriege, Armut und Hunger führen sie damit zu neuen „erzwungenen“ Wanderungsbewegungen. Massenmigration und Klimaveränderungen sind nicht Ausdruck von Naturgewalten sondern meist Folge ungerechter und kurzsichtiger politischer Verhältnisse. Und die werden noch immer stark von den reichen Ländern, deren Unternehmungen aber auch deren KonsumentInnen mit geprägt.

Nicht Migration als solches ist das Problem, sie hilft sogar eine „gemeinsame“ Welt zu schaffen. Der Austausch von Waren und Leistungen aber auch von Kulturen ist eine Bereicherung. Dieser Austausch erfolgt auch über Migration und hat unsere Länder und vor allem Städte vielfältiger gemacht. Diese Vielfältigkeit trägt auch zu Völkerverständigung und Frieden bei, allerdings nur dann, wenn dem „Fremden“ mit offener Neugier, Akzeptanz und ohne Hochmut begegnet wird und anderseits die „Neuen“ zur Integration bereit sind. So könnten alle eine Bereicherung ihrer schon vorhandenen Identitäten erfahren, denn wir alle haben mehrere und sollten nicht die nationale Identität verabsolutieren. Jedoch, es sollte niemand gezwungen werden, seine Heimat zu verlassen und es hängt die erfolgreiche Integration auch von der Zahl der Einwanderer bzw. Flüchtlinge ab.

Gegen die neue „Flachheit“ und das Näherrücken wollen viele in Europa neue Zäune und Mauern errichten. Es ist auch durchaus einsichtig, ja notwendig die Außengrenzen der Europäischen Union zu kontrollieren und zu überwachen. Keine Gemeinschaft kommt ohne Grenzen und deren Überwachung aus. Denn jede Gemeinschaft hat das Recht den Zugang zu ihr zu regeln. Dabei muss allerdings Humanität und internationales Recht gewahrt bleiben. Denn die Menschen die fliehen sind ebenso Träger von Menschenrechten wie die BewohnerInnen der Länder in die sie fliehen.

Vom sozialen zum nationalen und kulturellen Konflikt und zurück

Überdies ist zu berücksichtigen, je mehr eine Gemeinschaft bzw. eine Gesellschaft, wie die Europäische ein ausgebautes – nationales und europäisches – Sozialsystem hat, desto mehr kommt dieser in Konflikt mit einer ungeregelten Zuwanderung. Viel sehen dann die mühsam erkämpften Errungenschaften in Gefahr ausgehöhlt und unterminiert zu werden. Das gilt besonders für die sozial Schwächeren unter den „Einheimischen“ bis zu den unteren Mittelklassen. Daher muss der Verteilungsfrage innerhalb der europäischen Länder genauso ein Augenmerk geschenkt werden wie auf globaler Ebene. Und wir müssen überdies wieder von einer wichtigen sozialen Frage reden, um der nationalen Dichotomie und den Konflikten zwischen Inländer und Ausländer zu entgehen. Denn angesichts der schon stattgefundenen Migration und der erreichten Multikulturalität ist diese Einteilung anachronistisch. Aber die soziale Frage bleibt aktuell und wenn sie missachtet wird, dann hat das fatale Konsequenzen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die demokratische Entwicklung.

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Unabhängig von der sozialen Frage haben wir es im Zusammenhang mit der Migration auch mit kulturellen Konflikten zu tun. Auch wenn sie oft übertrieben werden, so sind Konflikte zwischen einer Minderheit der Muslimen und der Mehrheit der christlichen bzw. atheistischen Gesellschaftsauffassungen sichtbar. Es geht also nicht um Islam gegen das Christentum oder um die Frage ob der Islam mit europäischen Werten vereinbar ist. Das ist eine polemische und irreführende Gegenüberstellung. Es geht um die Vereinbarkeit des politischen Islams bzw. eines radikalen Fundamentalismus mit unseren Verfassungen und gesellschaftlichen Verhaltens- und Lebensweisen. Und auch da geht es nicht um das Kopftuch und ähnliche Äußerlichkeiten, sondern um den Respekt gegenüber der Offenheit und Pluralität unserer Gesellschaften. Allerdings setzen solche Gesellschaften von allen Seiten Respekt der Andersgläubigen voraus.

Für viele, so auch für mich ist die jüngste Wahl eines gläubigen Muslims zum Bürgermeister von London ein hervorragendes Beispiel für die Bereitschaft nicht nach Religion sondern nach Fähigkeit und Kompetenz zu entscheiden. Sadiq Khan könnte für viele Muslime ein Rollenmodell abgeben, wie man Muslim/Muslimin, fortschrittlich und erfolgreich zugleich sein kann. Genau solche Menschen brauchen die heutigen multikulturellen Gesellschaften um erfolgreich die Herausforderungen der Zukunft zu bestehen.

Im Übrigen ist der Islam schon lange eine europäische Religion. Gerade der „europäische“ Islam wie er am Balkan praktiziert wird, zeigt die Vereinbarkeit von Islam und säkularen Gesellschaften und deren Rechtsordnungen. Auch bezüglich dieses kulturellen und religiösen Konflikts muss man feststellen, dass die Form wie er aufgeheizt wird, ebenfalls von den sozialen Konflikten ablenken soll und wir waren gut beraten, ihn weder zu leugnen noch zu einem „clash of civilization“ hoch zu stilisieren. An der Offenheit Europas für neue Ideen und die religiöse und kulturelle Vielfalt dürfen wir jedoch nicht rütteln. Und eine Migration die nicht durch die Lebensverhältnisse erzwungen wird, sondern vor allem dem Austausch von Ideen und kulturellen Leistungen dient, trägt zu dieser Offenheit und letztendlich auch zu wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit bei. Vergessen wir nie, unsere Bevölkerung befindet sich in einer extremen Minderheitsposition und unser Anteil an der Weltbevölkerung wird immer kleiner. Zu einer europäischen Überheblichkeit besteht kein Anlass, sehr wohl aber zur Offenheit für neue Kulturen, um unsere Errungenschaften weiter zu entwickeln und zukunftsfähig zu machen.

Europas Verantwortung

Mauern und Zäune lösen jedenfalls nicht die globalen Probleme, die die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. Es gilt vielmehr die Ursachen zu analysieren und zu bekämpfen. Und die sind vielfältig und komplex. Aber das darf uns vor allem in Europa nicht daran hindern, sich mit ihnen zu beschäftigen und unserer Verantwortung gerecht zu werden. Von Ausbeutung und Kolonialismus haben nicht nur die Kolonialländer profitiert sondern alle Europäer. Auch sie haben von billigen Rohstoffen und den damit oftmals verbundenen Umweltzerstörungen Nutzen gezogen und tun dies auch noch heute. Auch unsere Agrar- und Handelspolitik trägt zu den globalen wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichten bei. Die reichen Länder sind jedenfalls, sehr geschickt darin, die Kosten der Umweltbelastung auf andere abzuschieben und sie dann aber für dieselben Umweltbelastungen zu kritisieren und verantwortlich zu machen.

Generell ist der Konsum der Wohlhabenden für jene Emissionen mit verantwortlich, die die Klimaveränderungen verursachen oder zumindest verstärken. Viele Umweltbelastungen in den Entwicklungs- oder Schwellenländer sind primär nicht diesen anzurechnen sondern den KonsumentInnen in den reichen Ländern, die sie durch ihre Nachfrage und den Preis- und Kostendruck verursachen. Wenn wir in Europa ein in China produziertes Produkt kaufen, sind wir für die dort entstehenden Umweltbelastungen mitverantwortlich. Und wenn wir ein besonders billiges T-Shirt aus Bangladesch kaufen und uns über den niedrigen Preis freuen, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass mit diesen Einnahmen weder ein ausreichender Lohn gezahlt noch ein minimaler Brandschutz finanziert werden kann.

Daher sollten wir nicht mit dem Finger auf die „Anderen“ zeigen, sondern uns als Europäer unserer vergangenen und gegenwärtigen Verantwortung bewusst sein. Migration und Klimawandel betreffen uns alle, daher müssen alle an gemeinsamen Lösungen arbeiten. Dabei müssen wir uns auch überlegen, wie wir die politischen Entscheidungsprozess so adaptieren, dass auch langfristige Konsequenzen unserer Entscheidungen mitbedacht werden. Die aktive Zivilgesellschaft kann der Politik helfen ihre Kurzfristigkeit und die Orientierung an populistischen Schlagzeilen zu überwinden. Die Beschlüsse des letzten Klimagipfels von Paris sind schon Ausdruck eines solchen verlinkten Entscheidungsprozess. Jedenfalls darf die Demokratisierung nicht mit einer Fülle von Referenda, die den Populisten und Nationalisten erste Recht einen Auftrieb geben, verwechselt werden. Gerade angesichts der Komplexität der Fragestellungen muss sich Politik Zeit für Diskussionen und Interessenausgleich nehmen. Nur ein breiter Dialog – auch mit der Wissenschaft – kann zu langfristigen und nachhaltigen Lösungen führen.

Abschotten unseres Kontinents und der Aufbau einer „Festung Europa“ können höchstens eine kurzfristige Scheinberuhigung bewirken. Je länger Europa die Ursachen von Klimaveränderungen und erzwungener Migration missachtet und versäumt sie zu bekämpfen, umso bedrohlicher wird die Situation für unsere Nachkommen. Will man das Sterben auf dem Weg nach Europa sowie kriegerische Auseinandersetzungen und den Schussbefehl an unseren Grenzen vermeiden, muss Europa seinen Beitrag zu einer nachhaltigen und gerechten Welt leisten. Statt horrender Rüstungsausgaben und riskanter militärischer Interventionen brauchen wir neue Entwicklungspartnerschaften zwischen Europa und den ärmeren Länder dieser Welt. Und anstatt zuzulassen, dass extreme finanzielle Ressourcen in Steuerparadiese fließen, sollten sie einen Beitrag zu einer gerechteren Welt leisten müssen – in Europa selbst, aber auch global.

Wollen wir in Europa in Frieden und Wohlstand leben, müssen wir teilen lernen. Am besten indem wir allen Menschen helfen, eine lebenswerte Heimat zu schaffen. Eine Heimat, die nicht von der Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen bedroht wird, ist der beste Garant gegen erzwungene Migration und die daraus entstehenden Konflikte. Auf eine solche Heimat mit nachhaltigen Lebensgrundlagen haben alle Menschen ein Recht.