Narva – Peripherie oder Tor zu Europa?

In der letzten Woche veranstaltete die Fraktion der Sozialisten und Demokraten im EU Parlament zwei „Relaunching Europe“ Diskussionen. Eine in Helsinki und die zweite in Narva. Obwohl Narva bedeutende Schlachten erlebt hat und sowohl unter schwedischer Besetzung, als auch unter russischer Besatzung,  Deutsch die Umgangssprache der lokalen Elite war, wusste ich zuerst nicht, wo Narva in Estland lag.

Bald wurde mir klar, dass es eine Grenzstadt zu Russland ist, ungefähr 3 Autostunden von Tallinn entfernt. Die unterschiedlichen Besatzungsmächte wechselten sich ab und bescherten dieser Stadt eine oft leidvolle Geschichte. Besonders tragisch war die Bombardierung der Stadt durch die Sowjetarmee 1944. Narva wurde fast ausradiert. Ein Juwel des nördlichen Barocks verschwand durch die Bombardierung bzw. durch den späteren Abbruch der stehengebliebenen Mauern, als Estland sowie die beiden anderen baltischen Staaten Teil der Sowjetunion waren.

Nur drei Gebäude blieben einigermaßen erhalten, davon das Rathaus. Die Börse wurde in einer interessanten Variante rekonstruiert und in eine Universität „umfunktioniert“! Die Geschichte, aber vor allem die sowjetische Ansiedelungspolitik, machte aus Narva eine russische Stadt. Noch heute sind nur 3-4% der Bevölkerung Esten, der Rest sind vor allem Russen und dann noch viele andere Nationen wie Ukrainer, Weißrussen etc. Demgemäß wird hier vornehmlich russisch gesprochen.

Leider hat sie tragische Geschichte und die Erlangung der Unabhängigkeit nicht dazu geführt die Grundlagen für eine Zukunft der engen Zusammenarbeit zu schaffen. Wer mit dem Auto die russische – estnische Grenze passieren möchte muss sich in eine elektronische Warteschlange eintragen, die bis zu einer Woche dauern kann. Dann bekommt er einen genauen Slot für das Passieren zugewiesen. Nur zu Fuß geht es schneller.

Zwar gibt es einige russische Investitionen im benachbarten Sillamäe, vor allem in der Grundstoffindustrie und dem Transportwesen inklusive in den Ausbau eines Hafens. Aber das hat wenig an der mangelnden direkten Kooperation geändert. In Sillimäe wurde übrigens in der Sowjetzeit Uran gewonnen und verarbeitet. Angeblich auch dasjenige, das in der ersten russischen Atombombe steckte.

Heute werden dort mit 600 Beschäftigten seltene Erden „hergestellt “ und zwar aus kalifornischen Minen gewonnen Mineralien. Aber keines der seltenen Metalle – die für jedes Handy, Auto etc. unentbehrlich sind-wird in Estland weiterverarbeitet. Alles geht in den Export. Die estnische Firma wurde übrigens vor einigen Jahren von dem amerikanischen Unternehmen Molicorp aufgekauft und stand vor einiger Zeit schon vor dem Zusperren. Die Nachfrage nach seltenen Erden hängt sehr von der generellen Konjunktur ab.

Was aber fehlt sind Klein- und Mittelbetriebe, die den jungen Menschen dieser Region eine Chance geben. Daher wandern viele ab, nicht nur in die Hauptstadt Tallin sondern – aus ganz Estland – ins Ausland. Das erklärt auch, das zwar die Arbeitslosigkeit sinkt, aber dass die Beschäftigung nicht steigt.

Insofern ist Narva allerdings ein Tor zu Europa: viele junge Menschen zieht es mangels Job in andere Länder der EU. Lenin hingegen, den man hinter ein Haus, in das Areal des erhaltenen Schlosses, gestellt hat, zeigt nach Russland. Die Zukunft für Narva sollte darin liegen beide Seiten zu verbinden und daraus Chancen für die eigene Jugend zu schaffen. Aber dafür bräuchten wir ein besseres Verhältnis zu Russland.

Es liegt allerdings nicht nur an denjenigen, die die sowjetische Okkupation und die kommunistischen Diktaturen nicht vergessen können. Es ist das Russland eines Putins, das immer wieder die Ansätze zu einer verbesserten Zusammenarbeit torpediert. Erst jüngst begann Russland die Exporte all jener Länder zu verzögern und speziellen Kontrollen zu unterwerfen und manchmal sogar zu verhindern, die mit der EU ein Assoziierungsabkommen unterzeichnen wollen. Das betrifft vor allem die Ukraine und Moldawien. Und da diese Abkommen in Vilnius, der litauischen Hauptstadt unterzeichnet werden sollen, werden auch litauische Waren diskriminierend behandelt.

Aber wir sollten unsere Bemühungen nicht aufgeben, mit Russland vernünftige und für beide Seiten nutzbringende Beziehungen herzustellen. Die zuletzt gefundene Einigung hinsichtlich der syrischen Chemiewaffen, die hoffentlich hält, könnte der Anlass für ein solches neues pragmatisches Verhältnis sein. Narva und andere EU Grenzstädte zu Russland warten sehnlichst darauf.