Neuanfang in Ägypten

Nach dem Besuch in Ägypten machte ich mit meiner kleinen Delegation einen „Abstecher“ nach Kairo. Die Absetzung und Verhaftung des gewählten Präsidenten Mursi Mitte des Jahres und die faktische Machtübernahme durch das Militär war für mich ein deutlicher Rückschlag. Aber die Stimmung bei der Mehrheit im Lande ,inklusive der sehr versierten und korrekten Führungsschicht der kleinen  sozialdemokratischen  Partei ist eine andere. Die Veränderungen nach den massiven Demonstrationen Mitte 2013 sind ihrer Ansicht nach notwendig und gerechtfertigt angesichts der zahlreichen Rechtsverletzungen durch Mursi und seinem Willen einen islamischen Staat einzurichten und viele Rechte rückgängig zu machen. Diese Meinung bekam ich nicht nur von mehreren Parteienvertretern, darunter auch von der salafistischen Nour Partei, zu hören, sondern auch von vielen Vertretern der Zivilgesellschaft. Ich war sehr überrascht von den eindeutigen, ja oftmals von Abscheu und Hass geprägten Argumentationen gegen Mursi und die Muslimbrüder. Angesichts dieser Argumente kann man fast von einer Propaganda sprechen, die heute – zum Unterschied der Diskussionen, die ich zu Beginn des Jahres in Kairo führen konnte, die Gespräche kennzeichnete. Es ist schwer sich ein klares Bild von der Lage zu machen.

Nur ein Gesprächspartner, ein Vertreter der „Bewegung 6. April“ hatte eine andere, differenzierte Meinung. Auch er war an den Demonstrationen zum Sturz von Mubarak beteiligt und war unter Mursi kurzzeitig im Gefängnis. Aber die Veränderungen seit Mitte des Jahres bezeichnete er als klaren Rückschritt und das zum Teil hinter die Zeit von Mubarak. Vor allem kritisierte er – mit Recht- das Demonstrationsgesetz, das schwere Strafen für illegale Demonstrationen vorsieht. Man kann sich vorstellen wie leicht in Ägypten Demonstrationen für illegal erklärt werden. Ja, die Leute haben vielfach die Demonstrationen satt, aber drakonische Gefängnisstrafen sind nicht angebracht, verstoßen gegen Menschenrechte  und tragen nichts zur notwendigen Versöhnung bei.

Nun, die Ägypter müssen sich im Jänner entscheiden, ob sie den soeben ausgearbeiteten Verfassungsentwurf annehmen wollen. Nach vielen Meinungen handelt es sich um eine sehr gelungene Verfassung, die für ein islamisches Land beispielgebend ist. Nun das war auch die Meinung von Amr Moussa, dem Präsidenten der Verfassungsgebenden Versammlung, die dem Entwurf ausgearbeitet hat. Sicherlich war das Treffen mit diesem, durch viele Jahre hindurch an prominenter Stelle aktiven Politiker Ägyptens, der Höhepunkt unseres kurzen Aufenthalts.

Moussa war Außenminister und danach Generalsekretär der Arabischen Liga. Er kandidierte auch als Präsidentschaftskandidat bei der Wahl, welche Mursi gewann.  Er kann ohne Zweifel als der große alte Mann der ägyptischen Politik bezeichnet werden. Und der weithin anerkannte Verfassungsentwurf ist sicherlich auch sein großer Verdienst. Viele meinen, er wäre der geeignetste nächste Präsident Ägyptens. Zwar hat er gerade in den letzten Tagen General Al – Sisi, den jetzigen Machthabern als nächsten Präsidenten vorgeschlagen. Und Al – Sisi, das sagen alle, würde die Wahlen haushoch gewinnen. Er ist sehr populär und könnte den Übergang zu einer funktionierenden Demokratie schaffen. Allerdings würde er alle Mängel der wirtschaftlichen und sozialen Situation in Ägypten zum Vorwurf bekommen und das könnte ihn von einer Kandidatur abhalten.

Dass meine sozialdemokratischen Freunde, die ich kennen und schätzen gelernt habe, sehr differenziert die neue politische Ordnung kommentiert und analysiert haben, hat mich nicht gewundert. Aber dass der hochrangige Vertreter der Salafisten, dies ebenfalls gemacht hat, hat mich doch überrascht. Diese eher als radikal verschriehene islamistische Gruppierung  hat sich dem durchaus progressiven Verfassungsentwurf angeschlossen. Sie befürwortet das Referendum darüber und ruft – im Gegensatz zu der Muslimbrüderschaft – nicht zum Boykott auf. Das mag taktische Gründe haben, aber jedenfalls ist das für die Akzeptanz des Verfassungsentwurfs und die politische Stabilität des Landes wichtig.

Wichtig allerdings ist auch das zukünftige Wahlgesetz, das nach dem Verfassungsentwurf vom amtierenden Übergangspräsidenten zu bestimmen ist. Denn es kann die Zukunft des politischen Systems sehr beeinflussen. Nur durch ein proportionales Listensystem als wesentlichen Bestandteil des Wahlsystems kann eine funktionsfähige Parteienlandschaft  hergestellt werden.

Ein System von Einerwahlkreisen in einem nach wie vor feudalen und von Clans beherrschten Staat, insbesondere auf dem Land, verhindert geradezu die Herausbildung und Stärkung von Parteien. Aber Parteien sind wichtig für eine lebendige Demokratie und den Wettbewerb unterschiedlicher Konzepte für das Land als solches. Die Abgeordneten die nur an der Wiederwahl in ihrem Wahlkreis interessiert sind wollen die  – finanzielle – Unterstützung von Projekten in ihrem Wahlkreis, kümmern sich aber wenig um die demokratische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes insgesamt.

Nach wie vor bin ich nicht überzeugt, dass der Weg zur Entmachtung von Morsi und der Muslimbrüderschaft der richtige war, aber jetzt geht es um die Zukunft dieses wichtigen Landes in einer fragilen Region. Daher hoffe ich, dass der allgemein gelobte Verfassungsentwurf, trotz seiner Schwächen wie der Militärgerichtsbarkeit, angenommen wird und der Weg für eine weitere Demokratisierung frei gemacht wird. Vor allem für die Stabilität der Region ist eine demokratisch abgesicherte Stabilität des größten Landes dieser Region wichtig.

Auch in Ägypten diskutierten wir die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus. Ohne eine starke und einflussreiche Position Ägyptens wird der Kampf gegen die terroristischen Aktivitäten in dieser Region sehr schwierig. Nun überschätzen manche in Ägypten die Rolle des Landes und verweisen sogar darauf, dass es sich um das Land der Pharaonen handelt. Aber dennoch, man sollte mit Ägypten trotz mancher Meinungsverschiedenheiten eng zusammen arbeiten, was die Sicherheit und den Frieden in dieser Region betrifft.

Mit Recht wurde von einigen unserer Gesprächspartner darauf verwiesen, dass weder der islamische aber nicht arabischen Iran noch die ebenso gestaltete Türkei eine Führungsrolle in der Region übernehmen können. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das ägyptische Selbstbewusstsein, welches, bei manchen Gesprächspartnern an Arroganz grenzte überall in der Region gerne gesehen wird. Aber unabhängig davon und die Angriffe gegen den Westen generell und die EU im spezifischen beiseite lassend, Ägypten ist ein wichtiger Partner der EU in der Region und ist für das regionale Gleichgewicht  ebenso wichtig wie Saudi Arabien und auch der Iran. Und hinsichtlich Respekts vor den Menschenrechten und Offenheit der Gesellschaft ist Ägypten sicherlich den anderen regionalen Mächten weit voraus.