Noch ist der Balkan für die EU nicht verloren

Belgrad, Thessaloniki und Athen waren meine jüngsten Reiseziele. Und immer ging es um den Balkan – und seine mögliche (oder sichere ?) – Zukunft in der Europäischen Union. Weder die EU noch der Balkan (Western Balkans) sind in bester Verfassung. Und die meisten Menschen und dazu zählen auch die PolitikerInnen haben andere Sorgen als über den Beitritt der Süd Ost Europäischen Länder nachzudenken. Es hat sich nicht viel geändert am Balkan. Erst dieser Tage wurde Milo Djukanovic, der langjährige, die politische Szene in Montenegro beherrschende, Politiker neuerlich zum Präsidenten des Landes gewählt. Der starke Mann Serbiens Vujcic hat erst unlängst vom Amt des Ministerpräsidenten zu dem des Staatspräsidenten gewechselt. Milorad Dodik der „Chef“ der Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina liebäugelt immer wieder mit einem Referendum über die Unabhängigkeit dieses Teilstaates. Das Land bleibt auch sonst tief gespalten. Im Kosovo hat der – frühere – Innenminister auf Geheiß des türkischen Präsidenten einige Anhänger der Gülen Bewegung an die Türkei ausgeliefert. Positiv ist die Entwicklung in Mazedonien, aber das Land wartet noch immer auf eine Einigung im Namensstreit mit Griechenland, um die Verhandlungen mit der EU aufnehmen zu können. In Albanien sind, nach dem klaren Wahlsieg von Ministerpräsident Edi Rama, die Weichen positiv in Richtung EU gestellt. Aber man wartet noch immer auf grünes Licht aus Brüssel für den Beginn der Verhandlungen mit der EU.

Inzwischen wird die Enttäuschung der Bevölkerung mit den mangelnden Fortschritten in Richtung EU immer grösser. Und das nützen die „Mitbewerber“ um die Gunst der Balkan Bevölkerung immer mehr aus. Russland, die Türkei und auch China wurden in den letzten Jahren sehr aktiv. Sie konnten die EU nicht ersetzen aber sie schufen eine Ambivalenz bzw. Ambiguität gegenüber der EU in bestimmten Teilen der Bevölkerung und der politischen Klasse. Manche meinen die soft power dieser Staaten habe die Oberhand gegenüber der traditionellen soft power der EU gewonnen. Nach so vielen Jahren der tatsächlichen und potentiellen EU Erweiterung am Balkan ist es Zeit, Entscheidungen zu treffen.

Da ein Beitritt ohne Einhaltung der Kopenhagener Kriterien mit Recht von der EU und den Mitgliedstaaten abgelehnt wird, muss ein anderer Weg gesucht werden. Aber es muss ein Weg sein, der bereits jetzt(!) die Länder der Region stärker an die EU bindet und das Ausmaß der Unsicherheit und der Ambivalenz deutlich verringert. Da scheinen mir zwei Alternativen übrig zu bleiben: ein genereller aber schrittweiser Beitritt zur EU mit begrenzten Rechten und Pflichten bis zum Vollbeitritt oder eine institutionelle Verknüpfung in wichtigen Teilbereichen. Das könnten vor allem alle – nicht – militärischen Sicherheitsfragen umfassen, von der Kontrolle der Außengrenzen bis zur Vorsorge gegen Terrorismus: eine EU – Western Balkan Sicherheitsunion.

In beiden Fällen müssen jetzt klare Entscheidungen getroffen werden, ob die Länder des Balkans den EU Prozess fortsetzen und zu Ende führen wollen. Aber auch die EU würde sich klar zum Erweiterungsprozess verpflichten. Beiden Seiten bleibt die letzte Entscheidung, bis alle Fragen geklärt sind, offen. Aber beide Seiten würden schon jetzt einen engen Kooperationsprozess beginnen. Und damit würde auch ein klares Signal Richtung Moskau, Ankara und Peking gegeben werden. Sie sind eingeladen, mitzuarbeiten an der Entwicklung des Westlichen Balkans, aber sie sollten wissen, wohin sich die Balkan Länder politisch und wirtschaftlich primär orientieren. Allerdings niemand sollte gezwungen werden, der sich lieber an Entwicklungsmodellen von Russland oder der Türkei (oder an China) orientieren möchte.

In der Podiumsdiskussion in Belgrad, an der ich bei einer Jubiläumskonferenz zu 10 Jahren Arbeit des European Fund for the Balkans teilnahm, stellte ich klar, dass es bei der Idee einer institutionellen Verbindung der Balkan Länder mit der EU „jetzt“ nicht um einen Ersatz für eine spätere Mitgliedschaft, also nicht um einen Plan B geht. Nein, wir brauchen eine zusätzliche Dimension für den Weg in die Europäische Union. Europa braucht nach wie vor den individuellen Beitrittsprozess, den jedes Land des Westbalkans mit der EU gestalten muss. Aber ein einiges Europa auf Grundlage der demokratischen und liberalen Prinzipien braucht auch den kollektiven Prozess einer engen institutionellen Verknüpfung jetzt. Die jüngsten Signale der EU Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen gegenüber einzelnen Ländern kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die individuellen Verhandlungen lange dauern werden und die Frustration in der Bevölkerung nicht zum Verschwinden bringen wird. Wir brauchen deutlichere Signale für eine gemeinsame Zukunft.

Denn die Frage, wann die einzelnen Länder der Balkanregion der EU beitreten können bzw. werden, kann heute nicht beantwortet werden. Aber jedenfalls wird es lange dauern bis alle Länder Vollmitglieder der EU sein werden. Je später dies der Fall sein und damit je länger der Beitrittsprozess dauern wird, desto mehr werden die „Mitbewerber“ Russland, China und die Türkei Unsicherheiten schaffen und sich als Alternativen anbieten. Und sie werden sich dabei auf eine große Enttäuschung der Menschen im Balkan mit der EU auf Grund des langsamen Beitrittsprozesses stützen können.

Diesen Wettbewerb sollte die Europäische Union bestehen ohne sich erpressbar zu machen. Denn auch wenn selbst die Anhänger Putins ihre Kinder lieber nach Europa oder in die USA zum Studieren schicken wollen, kann Russland – oder die Türkei bzw. China – den Beitrittsprozess torpedieren. Es gibt kein Argument gegen einen fairen Wettbewerb, aber mit Staaten bzw. Regierungen, die „Fake News“ oder viel Geld ohne Bedingungen zum Einsatz bringen, ist der Wettbewerb nicht fair. Am Ende müssen allerdings die Staaten des Balkans – ob Regierungen und Parlament oder die Bevölkerung direkt – entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen.

Von Belgrad flog in nach Saloniki, das ja auch als Balkanstadt gelten kann. Hier wurde auch auf einem Gipfel im Jahre 2003 beschlossen, die Balkanstaaten nach entsprechender Vorbereitung in die EU aufzunehmen.  Sie wurden als „potentielle Beitrittskandidaten“ bezeichnet. In Thessaloniki existiert auch ein „Zentrum für Demokratie und Versöhnung in Südost Europa“. Es hat vor allem sehr wertvolle Bücher über die Geschichte der Region publiziert. Das Spannende ist vor allem, dass in diesen Büchern die verschiedenen historischen Ereignisse aus unterschiedlichen – nationalen und ethnischen – Gesichtspunkten dargestellt werden. Geschichtsunterricht sollte so zu einem besseren Verständnis und zur Verständigung der jungen Menschen am Balkan beitragen.

Das Zentrum versucht auf diese Weise sehr konkret und anschaulich die Konflikte der Region aufzuarbeiten und dadurch eine Grundlage für eine fruchtbare Kooperation anstatt einer zerstörerischen Konfrontation zu schaffen. Jetzt geht es vor allem darum, durch Seminare mit LehrerInnen für die Verbreitung dieses Ansatzes in den Schulen der Balkanländer zu sorgen, um dem wieder wachsenden Nationalismus entgegen zu wirken. Aber es ist nicht leicht das dafür notwendige Geld aufzutreiben. Zwar hat die EU Kommission in ihrem letzten Strategiebericht zum Westlichen Balkan die Notwendigkeit der Verständigung und der Versöhnung in den Vordergrund gerückt aber die Umsetzung dieser Ziele in eine finanzielle Vorsorge ist noch nicht gelungen.

(Gemeinsam mit Erhard Busek, der mir den Vorsitz im Vorstand des Zentrums für Demokratie und Versöhnung in Südost Europa übertragen hat und den übrigen Vorstandsmitgliedern werde ich um eine ausreichende Finanzierung des Zentrums und seiner Aktivitäten bemühen. Es wäre schade die Arbeit aufzugeben.)

In Athen traf ich dann die griechische Historikerin Christina Koulouri, die das Team der WissenschaftlerInnen leitete, die die Bücher zu Geschichte der Balkanländer geleitet hat. Sie würde gerne weiterarbeiten um die Arbeit nicht in einigen Schubladen verschwinden zu sehen. Gerade wenn wir die Jugend aus der nationalistischen Vergangenheit herausführen wollen, müssen wir Ihnen einen anderen als den national oder ethnisch dominierten Geschichtsunterricht bieten. Um die Jugend am Balkan zu halten gilt es, natürlich noch viele andere Maßnahmen zu setzen. Vor allem der Aufbau einer modernen digitalen Wirtschaft könnte dazu beitragen, die gut qualifizierten jungen Menschen in der Region zu behalten bzw. sie wieder zurück zu holen. Ein „Silicon Balkan“ könnte durchaus attraktiv sein und demonstrieren, dass sich die Jugend des Balkans auch der Zukunft zuwendet.

Über alle diese Fragen werden wir auch im Rahmen von Veranstaltungen des IIP – gemeinsam mit anderen Instituten – diskutieren. Die nächste diesbezügliche öffentliche Diskussion findet am 3.5. nachmittags in Wien, im Haus der Europäischen Union statt, mit interessanten TeilnehmerInnen aus den Balkanländern, aus Österreich und anderen EU Staaten.