Persönliches Resümee

Es ist schwierig, eine kurze Reise nach China zusammenzufassen. Unterschiedliche Eindrücke prasseln auf einen nieder. Aber es sind nicht nur die Eindrücke, die widersprüchlich sind, sondern auch die Realität. Von chinesischer Seite wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass China ein Entwicklungsland ist. Darauf entgegnete ich mit Hinweisen auf die Situation in Städten wie Peking oder Shanghai. Sie sind ultramodern, aber sicher sieht die Situation in vielen ländlichen Regionen anders aus.

China hatte jedenfalls nicht die Gelegenheit die Entwicklung der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Umwelt in historischen Schritten zu gestalten. Europa hatte diese Chance in viel stärkerem Ausmaß. Den Schritten der wirtschaftlichen Entwicklung folgte jeweils der gesellschaftliche Fortschritt mit zunehmender Demokratisierung. Und auch die Sorge um die Umwelt begann erst, als ein bestimmtes Minimum an Güterversorgung und auch tendenziell Vollbeschäftigung erreicht wurde.

China hingegen hat noch eine große Anzahl von Menschen in den ländlichen Regionen, hat noch viele alte, umweltverpestende Industrien aber schon einen hohen Motorisierungsgrad, vor allem in seinen Großstädten wie Peking. Die „alten“ Emissionen aus den Industrien, die im Umkreis von Peking noch besonders häufig anzutreffen sind, treffen auf die „neuen“ Emissionen aus dem Autoverkehr (Peking hat 5 Millionen Autos!).

Der rasche Ausbau der Infrastruktur hat nicht genügend Mittel für die Modernisierung und Ökologisierung von Industrie und Konsum übrig gelassen. Das muss alles jetzt nachgeholt werden und zwar in allen Regionen des Landes, oft weit entfernt von der “ Kommandozentrale “ in Peking. Und damit ist ein anderes schwieriges Thema angeschnitten: wie kann man ein Land mit 1,3 Milliarden Menschen regieren? Wieviel Macht -und damit auch Geld – soll auf die fünf verschiedenen politischen Ebenen verteilt werden? Und das gilt für die offizielle Ebene aber auch für die dominierende Kommunistische Partei, die eine kontrollierende Parallelstruktur aufgebaut hat.

Bei alldem muss man noch die Rolle der Minderheiten und der von ihnen bewohnten Regionen berücksichtigen, insbesondere Tibet und die westliche Provinz Xinjiang, die vor allem von muslimischen Uighuren bewohnt ist. Immer wieder kommt es in diesen Provinzen zu Unruhen gegen diskriminierende Handlungen seitens der Han (chinesische Mehrheit). Sogar während unseres Aufenthalts in Peking kam es einige Gehminuten von unserem Hotel entfernt zu einem Selbstmordattentat, durch das auch Unschuldige getötet und verletzt wurden.

Die Kommunistische Partei Chinas wird sich etwas überlegen müssen, wie sie auch das politische System modernisieren und dezentralisieren kann, ohne dem Zerfall des Landes Vorschub zu leisten. Immer wieder wird die Gefahr des Zerfalls des Landes nach dem “ Vorbild“ der Sowjetunion/ Russlands an die Wand gemalt. Das ist das große Schreckensbild, das den chinesischen Funktionären Angst macht. Und in der Tat, auch wir sollten kein Interesse am Zerfall Chinas haben, denn dieser Prozess würde keineswegs so „friedlich“ ablaufen, wie bei seinem Nachbarn Russland. Aber ein großes Reich kann nicht mit mehr Konsum einerseits und Kommandos und Polizeieinsatz anderseits zusammengehalten werden

Viele Beobachter im Westen und darunter leider auch einige JournalistInnen, die wir in Peking getroffen haben, sehen die Dinge, insbesondere die Menschenrechtsfrage, nur unter einem westlichen Gesichtspunkt. Ich verstehe den Ärger über unzulässige und inakzeptable Beschränkungen für die JournalistInnen. Aber für mich zählen zu den Menschenrechten nicht nur die politischen Rechte sondern vor allem die Rechte der ArbeitnehmerInnen auf gerechte Entlohnung und faire Behandlung, das Recht auf sauberes Wasser und saubere Luft, auf eine entsprechende Gesundheitsversorgung und ein ausgedehntes System der sozialen Sicherheit etc. Und da hoffe ich auf weitere Fortschritte und zwar schon mit dem „Novemberplenum“ des Zentralkomitees der KP.

Je mehr sich China an das europäische Modell annähert, desto mehr kann daraus ein faires und gleichgewichtiges wirtschaftliches und politisches Verhältnis entstehen. Vor allem dann, wenn wir uns nicht an das heutige China, sein Lohnniveau und sein lückenhaftes Sozialversicherungssystem annähern. Denn das würde kein nachhaltiges System darstellen. Die Annäherung muss den umgekehrten Weg gehen und dabei sollten wir China mit unserem Know how und unserer Erfahrung helfen. Wir sollten allerdings berücksichtigen, dass wir China nichts aufzwingen können und dass die chinesische Führung sehr langfristig denkt und rasche Demokratisierungsschritte nicht zu erwarten sind. Aber der Dialog und gegenseitige Besuche, vor allem auch von StudentInnen und Touristen, sind wichtig, um Berührungsängste und Vorurteile abzubauen. Auch wir sollten einen langen Atem haben.

China will von Europa lernen, ohne Europa zu imitieren. Aber auch wir können von China lernen. Nämlich, dass wir die Vorteile der Globalisierung nur nützen können, wenn wir uns zusammenschließen und eine klare Strategie entwickeln. Wenn wir glauben, wir können jeder für sich Vorteile erreichen gegenüber großen Akteuren wie USA, China und anderen, irren wir. Angesichts der Verschiebung wirtschaftlicher und politischer Macht in Richtung Pazifik sollten wir uns besonders um Einheit und Stärke in Europa bemühen. Und natürlich sollten wir an der aufstrebenden Region wirtschaftlich und politisch teilhaben.