Qualitatives Wachstum in China

Holger Gräbner  / pixelio.de

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Im Rahmen einer Konferenz in Peking, zu der die Kommunistische Partei Chinas – und das ist hier der Regierung gleichzusetzen – Parteien von Rechts bis Links eingeladen hat, sprach ich über smart growth, also über qualitatives Wachstum, wie wir das früher genannt haben. Ich finde es sehr positiv, dass China bereits im jetzigen Stadium der Entwicklung an die Qualität des Wachstums denkt und nicht nur an möglichst hohe Wachstumsraten.

China hat sehr hohe Wachstumsraten, weitaus höher als selbst die höchsten Raten in der EU und das ist wichtig für die Befriedigung der wichtigsten Bedürfnisse der chinesischen Bevölkerung. Aber dazu gehören auch wesentliche Verbesserungen, die nicht automatisch mit einem hohen Wachstum daherkommen.

1) Eine der wichtigsten Zielsetzungen ist sicher die Bewahrung oder Wiederherstellung des sozialen Gleichgewichts. Im Zuge des Wachstums, aber auch ohne Wachstum konnten wir in letzter Zeit eine wachsende Kluft zwischen Reich und Arm feststellen. Das betrifft sowohl die EU als auch China. Wir alle müssen einen Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung führen. China allein hat 150 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze, 200 Millionen interne ArbeitsimmigrantInnen ohne Sozialversicherung und 60 Millionen Behinderte. Das sind die wichtigsten Herausforderungen, denen sich China gegenübersieht. Und es ist nachzuvollziehen, dass die Durchsetzung der sozialen Rechte bei den Chinesen an erster Stelle der Menschenrechte steht.

2) Es geht aber auch um das regionale Gleichgewicht. Wachstum ist als solches nie gleichgewichtig, sondern führt oft zu Entzerrungen und regionalen Ungleichgewichten. In China ist das Problem der Landflucht und der massiven Zuwanderung in die Städte besonders groß. Die Planung von kleineren urbanen Zentren in den einzelnen Regionen ist eine gute Idee. Wir alle, Europa und China, haben die Aufgabe der regionalen Kohäsion und des möglichst ausgeglichenen regionalen Wachstums.

3) Besonders relevant für die Entwicklung eines qualitativen Wachstums ist die Energiefrage. Wir müssen Energie sparen, die CO2 Emissionen reduzieren und nachhaltige Energieproduktionen fördern. Hier bestehen besonders viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen China und der EU. China macht schon sehr viel auf diesem Gebiet, auch wenn in einem solch großen Land mit einem großen wirtschaftlichen Nach- und Aufholbedarf das Organisieren eines umweltfreundlichen Energiesystems nicht leicht ist. Jetzt müssen wir noch den Widerstand Chinas gegen verbindliche Klimaziele überwinden. Aber da ist China nicht so viel anders als die Vereinigten Staaten von Amerika.

Was für die Energieversorgung wichtig ist, ist allerdings auch generell für alle natürlichen Ressourcen relevant. Und auch da ist zu begrüßen, dass China sehr auf eine ressourcenschonende Wirtschaft setzt. In diesem Sinne sind China und Europa an einer umweltfreundlichen Entwicklung interessiert. Und das schafft viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit.

4) Große Möglichkeiten der Zusammenarbeit ergeben sich vor allem im Rahmen der Forschung und Entwicklung. Bereits jetzt nehmen viele chinesische Forscher an Projekten im Rahmen der europäischen Forschungsrahmenprogramme teil. Und es gibt noch Möglichkeiten der Intensivierung dieser Kooperationen. Sowohl Europa als China haben ihre Forschungsausgaben deutlich erhöht, wenngleich noch einige Verstärkung unserer Forschungsanstrengungen notwendig sind. Vor allem der Energiebereich ist ein wichtiger und für beide interessanter Bereich für Forschungsanstrengungen. Denken wir nur an die Gewinnung und Lagerung von Co2 aus Kohlekraftwerken etc.

5) Qualitatives Wachstum braucht ein offenes kreatives, innovationsfreundliches Klima. Und hier spielt auch die europäische Haltung zu individuellen Menschenrechten eine große Rolle. Ich verstehe die Betonung der sozialen Rechte in China, diese sind nach wie vor auch in Europa wichtig. Aber wir sollten auch die Bedeutung der individuellen Rechte, insbesondere der Meinungsfreiheit unterstreichen. Wir brauchen in den Unternehmungen und in der Gesellschaft Menschen mit verrückten Ideen und Vorstellungen. Denn unter diesen finden sich auch diejenigen Ideen, die zu neuen innovativen Prozessen und Produkten führen. Solarenergie, die Energiegewinnung aus Wind, das Nullenergiehaus und ähnliches waren alles einmal verrückte Ideen. Heute gehören sie zum Mainstream einer nachhaltigen Energiepolitik und sind vielfach verwirklicht und im Ausbau begriffen. China sollte daher bei allem Bestreben nach Sicherheit und Disziplin – Werte, ohne die eine solch große Bevölkerung jedenfalls nicht regiert werden kann – mehr Duldsamkeit mit individuellen Provokationen haben. Ja, das Land sollten sogar ein Interesse an mehr Individualität und damit Kreativität haben.

Der Dialog zwischen China und den VertreterInnen der EU bzw. der verschiedenen eingeladenen Parteien sollte vor allem die Ziele des europäischen Programms Europa 2020 mit den Zielen des 12. chinesischen Fünfjahresplans konfrontieren. Viele Ziele decken sich und es wird sowohl für die EU als auch für China nicht leicht sein, sie umzusetzen. Trotz aller Unterschiede in den Auffassungen hinsichtlich Menschenrechte und Demokratie sollten wir das Angebot Chinas zur Zusammenarbeit als auch zum gegenseitigen Lernen annehmen.