RECHTSENTWICKLUNG IN ÖSTERREICH

Bemerkungen im Rahmen einer Debatte über Rechtsentwicklungen in Europa im Institut für den Frieden. 

Langfristige Tendenzen des Nationalismus

Die Rechtsentwicklung in Österreich ist kein neues Phänomen. Solche Eigenschaften und Tendenzen kommen nicht plötzlich und nicht von ungefähr. Schon in der Monarchie hat es jedenfalls im deutsch-österreichischen Teil immer wieder Abgrenzungsbemühungen gegenüber den anderen – vor allem slawischen Volksgruppen gegeben. Und es gab auf der „anderen“ Seite genauso nationalistische Strömungen, die dann auch nach dem Ersten Weltkrieg zum Zerfall der Monarchie beitrugen. 

Der Nationalismus war im Wesentlichen ein Bekenntnis zum Deutsch-Nationalen. Ein spezifisch österreichischer Nationalismus hat sich mit dem Heranwachsen des 

christlich-autoritären oder auch austro-faschistischen Systems herausgebildet. Aber das würde sowohl von den Nazis als auch der Linken bekämpft.

Der Nationalsozialismus machte dem Spuk einer österreichischen Variante des Faschismus ein Ende. Er schuf auch die Basis für die bekannte österreichische Kooperation von Links und Rechts der Mitte nach dem Zusammenbruch der Nazi-Herrschaft. 

Systeme verschwinden – Einstellungen bleiben

Geblieben sind aber viele Einstellungen und Vorurteile – gegen Juden und andere Untermenschen, das Fremde generell. Der Erfolg der Juden in Israel hat die Vorurteile gemindert, aber dafür die negative Einstellung gegenüber den Arabern/Muslimen verstärkt. Und diese Einstellungen betrafen dann auch die GastarbeiterInnen, vor allem aus der Türkei. 

Eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den Ursachen und den Untaten des Nationalsozialismus gab es selten. Die politischen Parteien versuchten die „Ehemaligen“ für sich zu gewinnen. Der böse Nazi war immer der, der die andere Partei unterstützte. Und es gab wenige, die die notwendige und kurzfristig anvisierte Arbeitsimmigration nicht nur unter einem wirtschaftlichen Gesichtspunkt sahen sondern für eine gelingende Integration plädierten. 

Es stimmt, dass unterschiedliche Flüchtlingswellen aus Ungarn, Polen, Tschechoslowakei und dem Balkan relativ gut „bewältigt“ wurden. Aber sie kamen vielfach in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs bzw. konnten relativ leicht in die Wirtschaft integriert werden. 

Aber die nach außen hin friedliche Integration und de facto Akzeptanz der Gastarbeiter und Flüchtlinge sollte nicht über die konstante und zum Teil wachsende Aversion gegenüber Fremden hinwegtäuschen. In Befragungen und auch in persönlichen Gesprächen kam dies zum Ausdruck: „ich fühle mich nicht mehr zu Hause hier“. 

Sozialstaat und Nationalstolz

Der zunehmende Ausbau des Sozialstaates mit seinen Verteilungswirkungen hat den Wettbewerb um diese Ressourcen bedeutend gemacht. Was jeder Einzelne bekommt, hängt auch von der Anzahl der potentiellen Empfänger ab. Allerdings wurde übersehen, dass mehr zu verteilen ist, je mehr – auch „Ausländer“ – einzahlen. Und es wurde auch selten die Frage gestellt, wie wir unsere Wirtschaft und unser Sozialsystem ohne die „Fremden“ aufrecht erhalten könnten. 

Letztendlich hat auch der österreichische Nationalstolz mit seinen verschiedenen Wurzeln den Nationalismus befördert. Österreich war ja ein Opfer der deutschen Besatzung und von Hitler. Österreich hat es geschafft die Besatzung durch die Alliierten los zu werden. Österreich ist neutral und muss sich nicht in Konflikte einmischen. 

Österreich ist so erfolgreich, es kann allein agieren und existieren. Diese Einstellung kam in vielen Debatten während der Vorbereitung zur EU Volksabstimmung zum Ausdruck. Die EU wurde von vielen als einschränkend und eher als neuer Unsicherheitsfaktor gesehen als ein Beitrag zu mehr Sicherheit. 

Neue Unübersichtlichkeit und Unsicherheit

Die Wirtschaftskrise ab 2008 hat sicherlich einen neuen Impuls für Ängste und Unsicherheit gegeben. Aber schon längere Zeit hindurch haben die Menschen bemerkt, dass der durch lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erfahrbare Aufschwung gebremst wurde. Es war angesichts prekärerer Arbeitsverhältnisse nicht mehr klar, dass es den Kindern einmal besser gehen wird. 

Und in dieser Zeit kamen dann eine größere Anzahl von Flüchtlingen aus muslimischen Ländern. Sie kamen aus fremden Ländern – vielfach unkontrolliert – , sie brachten eine fremde Religion mit sich und oft auch Belastungen und Verletzungen durch Krieg und Flucht. Sie brachten ein Mehr an Unsicherheit, jedenfalls an Ungewissheit in eine ohnedies an Unsicherheit gekennzeichneten Gesellschaft. 

Dabei ist ersichtlich und auch verständlich, dass in Regionen mit wenig bis keinem Kontakt die Ängste stärker ausgeprägt sind als in den „multikulturellen“, urbanen Regionen. Hinzu kommt dass die ländlichen Regionen auch oft Regionen der Abwanderung von Menschen, Betrieben und sozialen Diensten sind. Die betreffenden BewohnerInnen fühlen sich doppelt vernachlässigt, einerseits durch Entwicklungen in ihrer Region und durch die Bedrohungen, die aus den Städten kommen. 

Immer wenn die offizielle Politik nicht rechtzeitig und nicht im geeigneten Ausmaß auf solche Tendenzen reagiert haben andere – zum Beispiel rechtsgerichtete Parteien ein leichtes Spiel. Sie können dann die Dinge so zuspitzen, dass es um ein Entweder – Oder geht. Sie können die Komplexität reduzieren und die Verantwortlichen eindeutig definieren. Die Fremden, die Ausländer und die Kosmopoliten, die die Tore öffnen, weil sie davon profitieren, sind die Verantwortlichen. 

Rausch der Polarisierung

Die Rechte lebt genau von diesen Konflikten. Politik hat es geschafft  – so der deutsche Schriftsteller Marcel Beyer unlängst -, dass “ Sphäre um Sphäre des gemeinschaftlichen Zusammenlebens in ein potentielles Schlachtfeld verwandelt“ wird. 

Es geht also nicht darum den gesellschaftlichen Zusammenhang wieder herzustellen, Konsense zu erreichen, sondern Kämpfe zu führen: gegen die Flüchtlinge, gegen die Ausnützung des Sozialstaates durch jene, die unsere Wirtschaft und das Sozialsystem aufrecht erhalten, gegen das Kopftuch, gegen die – türkisch stämmigen – Doppelstaatsbürger etc. 

Prof. Johannes Völz von der Universität Frankfurt sprach unlängst in Bezug von Amerika von einem „Rausch der Polarisierung“. Und diese Logik „mit ihrer strukturellen Abhängigkeit von Zuspitzung und Konflikt, steht der Wiederentdeckung eines auf Ausgleich und Kompromiss bedachten politischen Diskurses im Wege.“ 

Es ist wichtig Gegner zu haben, die man mit Vorurteilen – Ausnützung sozialer Einrichtungen und Mittel, tendenziell Kriminelle, etc. belegt. Trump kann das am Besten und am lautstärksten. Aber es gibt genug, die das in Österreich können.

Anpassung und Widerstand

Was besonders gravierend für die Entwicklung nach Rechts ist, ist die Stimmung, in der andere Stimmen als unpatriotisch angesehen werden. Mehr und mehr schweigen die Dissidenten z.B. in den Medien oder wiederholen die Argumente, halt in etwas milderer Form. Und das gilt zum Teil auch für oppositionelle Parteien. Allerdings gibt es auch Mutige, die sich dem Trend entgegenstellen. Und wie die letzten Wahlen jedenfalls in den USA gezeigt haben, durchaus mit Erfolg.

Insofern besteht kein Anlass zu Pessimismus. Insoweit prinzipielle Institutionen bestehen und funktionsfähig bleiben, kann der Rechtsruck auch ein Symbol einer lebendigen Demokratie sein. Der schon vor den letzten Kongresswahlen verfasste Artikel von Christoph R. Browning „The Suffocation of Democracy“ zeigt für die USA und einige andere Staaten ernste Gefahren eines Erstickens der Demokratie auf. Aber Wahlen können etwas ändern.

Daher ist es besonders wichtig, dass die Europäische Union und vor allem die Kommission darauf achtet, dass nicht die Institutionen der Mitgliedstaaten ihrer demokratischen Funktionen und Aufgaben beraubt und ausgehöhlt werden.

Wo bleibt die Opposition?

Viele fragen immer wieder wo denn die – sozialdemokratische –  Opposition bleibt. Nun bei diesem kurzen Beitrag geht es mir nicht darum, die Sozialdemokratie in Österreich bzw. Europa von Mitschuld bzw. Mitverantwortung für die aktuelle politische Lage frei zu sprechen. Aber die oft geforderte Rückbesinnung auf die traditionellen Werte und die Unterstützung der Arbeiterklasse macht einen großen Fehler. Sie nimmt nicht zur Kenntnis, dass wir es mit einem strukturellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel zu tun haben.

Die traditionelle Arbeiterklasse gibt es nicht mehr. Und soweit es sie gibt, so werden – insbesondere in Österreich – die weniger qualifizierten und somit auch schlechter bezahlten Arbeiten meist von MigrantInnen ausgeführt. Und diese haben oft nicht mal die Staatsbürgerschaft und dürfen nicht wählen. Und so wenig sie wählen können, muss man bedenken, dass sie oft aus machistischen Gesellschaften kommen und dann die starken Männer der Rechten wählen.

Anderseits sind viele, die der ehemaligen Arbeiterklasse angehörten, auf der beruflichen und gesellschaftlichen Leiter nach oben gestiegen und orientieren sich nach oben und nicht nach unten. Hinzu kommt, dass sich die, die sich abgehängt und an die Peripherie gedrängt fühlen, oft in ländlichen Regionen zu Hause sind, wo die Sozialdemokratie nie stark vertreten war. Die mangelnde Integration der MigrantInnen vor allem der GastarbeiterInnen war sicher ein Fehler, der auch der Sozialdemokratie anzulasten ist. Aber gerade die Orientierung an einer immer fiktiver gewordenen Arbeiterklasse hat diese Missachtung der Integrationsaufgabe unterstützt.

Die Sozialdemokratie muss sicher die soziale Frage weiter im Zentrum ihrer Programmatik und ihre Aktionen haben. Aber die politische Auseinandersetzung muss heute viel breiter aufgefasst und geführt werden. Die Frage der Demokratie und Mitwirkung, der Medienfreiheit und des Missbrauchs sozialer Medien, der umfassenden Sicherheit bei prekärer werdenden Arbeitsverhältnissen, der europäischen Antworten auf globale Herausforderungen, all das sind Fragen, wo die Sozialdemokratie gegen die autoritäre und nationalistische Rechte Alternativen in die politische Auseinandersetzungen einbringen muss.