Rede von S&D-Fraktionsvorsitzendem Hannes Swoboda anlässlich 125 Jahre SPÖ in Hainfeld

Vor 125 Jahren kamen Delegierte aus Wien und den Kronländern nach Hainfeld, um hier die österreichische Sozialdemokratie zu gründen. Selbstverständlich stand die soziale Frage im Vordergrund, man kämpfte für eine Verbesserung der sozialen Lage der Menschen, ohne Unterschied der „Rasse“, der Nation und des Geschlechts!

Diese beiden Aufträge an die Sozialdemokratie, die Lösung der sozialen Frage und eine Politik ohne Unterschied der Nation, der „Rasse“ und des Geschlechts zu verfolgen, sind heute nach wie vor aktuell.

1) Die soziale Frage bleibt die Kernfrage

Viel hat die Sozialdemokratie europaweit und gerade auch in Österreich erreicht. Die soziale Frage ist heute nicht mehr was sie vor 125 Jahren war.

Aber wir dürfen uns keiner Täuschung hingeben. Gerade in den letzten Jahren hat in Europa die Armut wieder zugenommen, jedenfalls die Armutsgefährdung.

Wir finden heute in manchen Ländern und in manchen Gemeinschaften zum Beispiel bei den Roma eine ungeheure, kaum vorstellbare Armut! Und es ist die Aufgabe aller progressiven Kräfte dagegen anzukämpfen.

Die Ungleichheit ist in vielen Ländern größer geworden. Das gilt nicht nur für die Einkommen, sondern vor allem auch für die Vermögen.

Und darum ist besonders bedauerlich, dass sich die Rechten in ganz Europa, und  so auch in Österreich, so vehement dagegen wehren, dass auch die Vermögenden einen gerechten Beitrag zur Finanzierung der Aufgaben für die Allgemeinheit leisten.

Die Finanztransaktionssteuer, die gerade auch von der österreichischen sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften gefordert wird, wäre nur ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit.

Ungeheure Summen werden jährlich an Steuern hinterzogen und in verschiedene Steuerparadiese verschoben. Rund 1000 Milliarden Euro verlieren allein die europäischen Volkswirtschaften pro Jahr durch Steuerhinterziehung.

Sicher, dank der Sozialdemokratie spielt der Staat heute eine größere, ausgleichende Rolle. Die österreichische Sozialdemokratie kann stolz auf ihre Erfolge diesbezüglich sein. Dennoch wächst die Kluft zwischen Arm und Reich und unsere Aufgabe muss sein, dem entgegenzuwirken. Einen wichtigen Beitrag für mehr soziale Gerechtigkeit leisten auch die Gewerkschaften. Es wäre wünschenswert, wenn auf europäischer Ebene die Gewerkschaften genauso stark wären wie in Österreich. Das ist eines unserer Ziele, die wir in der EU erreichen wollen.

Jedoch müssen wir wachsam sein, denn die neoliberalen Strömungen wollen die Rolle des Staates wieder abschwächen. Dabei sollte der Markt und die Freiheit, wie wir Sozialdemokraten sie definieren, wieder dominieren: In Österreich, in Europa und weltweit.

2) Gemeinwirtschaft als notwendiges Pendant zur Privatwirtschaft

Die aggressiven Befürworter der Privatisierung wollen Gesundheit und Bildung vermehrt dem staatlichen Einflussbereich entziehen.

Aber wir wissen ja, je mehr ein Gesundheitssystem privat organisiert ist, desto teurer ist es und umso schlechter ist die Versorgung für die Bevölkerung. Die USA waren dafür ein gutes Beispiel. Obama hat den Versuch einer Gesundheitsreform gestartet, dieser wurde jedoch von Lobbyisten der Versicherungsindustrie so sehr verunstaltet, dass kaum etwas übrig geblieben ist.
Deshalb kämpft die europäische Sozialdemokratie gemeinsam mit der österreichischen für einen  funktionierenden und gut ausgestatteten öffentlichen Sektor, also für die Gemeinwirtschaft. Hier gilt es, Liberalisierungstendenzen entgegenzutreten

Und Bildung und Erziehung bleiben ebenso eine wichtige öffentliche Auf- und Ausgabe. Gerade jüngste Studien haben gezeigt, dass Bildung ein wesentlicher Faktor der individuellen Emanzipation ist. Darum dürfen wir auch nicht locker lassen, Bildung als wesentlichen Faktor für mehr Gerechtigkeit zu sehen.

3) Gegen Diskriminierung und Nationalismus

Das Hainfelder Programm macht aber auch klar, dass gute Lebensbedingungen ohne Ansehen der Nation, der „Rasse“ und des Geschlechts zu erzielen sein müssen.

Und in der Tat hat gerade die österreichische Sozialdemokratie durch ihre Männer und Frauen an führender Stellung eine auch international anerkannte Politik betrieben: sie war die entscheidende Kraft für die Gleichstellung von Mann und Frau und sie hat immer wieder den Nationalismus bekämpft.

Schon Karl Renner und Otto Bauer haben sich mit der Nationalitätenfrage intensiv auseinander gesetzt.

So war es Karl Renner, der sich in den ersten Jahren des Ersten Weltkriegs stark für die Umwandlung der Monarchie in einen „Internationalen Bund autonomer Nationen“ einsetzte. Denn er meinte, dass dies „in einer Zeit, wo sichtbarlich die Wirtschaft und die Kultur der Welt über den Nationalstaat hinauswächst“ notwendig sei.

An anderer Stelle meinte Karl Renner: „Die Träumereien souveräner Sonderstaatlichkeit, die schönen Jugendträume eines jeden Volkes sind in einem Zeitalter, das in Weltteilen denkt nicht mehr am Platze und nicht mehr verzeihlichNichts ist schlimmer als die Mystik in der Epoche der Röntgenstrahlen und Marconi Telegraphie.“

Und heute sind wir natürlich viel weiter, technologisch und wirtschaftlich. Und dennoch hat sich ein neuer Nationalismus herausgebildet, der auf die alte Mystik zurückgreift.

Aber Karl Renners Worte von vor fast hundert Jahren haben auch heute noch  Gültigkeit wenn er meinte:

Das große Missverständnis, das der Nationalismus auf sein Schuldkonto zu buchen hat, ist die Überhitzung der nationalen Rivalitäten zur unversöhnlichen Feindschaft, die Übertreibung seines relativen Rechts zum Unrecht und die Projektion dieser inneren Rivalität in die Auswärtige Politik.“

Die Mahnung von Karl Renner, der natürlich auch selbst Fehler begangen hat,  sollten uns Warnung aus Auftrag zugleich sein.

Und es ist, glaube ich, kein Zufall, dass viele Parteivorsitzende dem Beispiel Renners gefolgt sind und sich ebenfalls mit europäischen und internationalen Problemen auseinandergesetzt haben. Nur einige von ihnen möchte ich in diesem Zusammenhang nennen:

So hat sich Bruno Pittermann, nicht zuletzt als Präsident der Sozialistischen Internationale, für die Opfer der Diktaturen eingesetzt: von Chile bis Griechenland.

Bruno Kreisky hat sich mit Willy Brandt und Olaf Palme sich unermüdlich für eine progressive internationale Politik  engagiert und sich vor allem für einen Frieden im Nahen Osten stark gemacht.

Franz Vranitzky hat sich für die EU als Beschäftigungsunion eingesetzt und
Werner Faymann hat sich vor allem dem Thema der Jugendbeschäftigung auf europäischer Ebene gewidmet. Für alle von ihnen war die soziale Frage immer auch mit einem übernationalen Engagement verbunden.

4) Ein soziales Europa für alle

Und die soziale Frage, auch das lehrt uns das Hainfelder Programm darf sich nicht nur auf eine nationale Bevölkerungsgruppe beziehen. Die Rechte, besonders die Rechtsextremen, wollen von der wirklichen sozialen Frage ablenken und stellen die nationale Frage – in einem nationalistischen Sinn –  in den Mittelpunkt.

Für sie geht es nicht um Arm und Reich, Schwach und Stark, sondern um Inländer gegen Ausländer, Einheimische gegen MigrantInnen, Christen gegen Andersgläubige. Sie wollen die Gesellschaft nicht zusammenbringen sondern in Gute und Schlechte spalten.

Mit aller Vehemenz müssen wir uns gegen diese Politik von gestern wehren.

Für uns ist das 125 Jahre alte Programm vielfach ein Programm fürs morgen, für ein Europa der sozialen Gerechtigkeit und der Überwindung des Nationalismus.

100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs darf für den Nationalismus kein Platz mehr sein, jedenfalls nicht in der Sozialdemokratie.

Gedenken als Anlass fürs Nachdenken über die Zukunft
Die österreichische Sozialdemokratie hat seit der Gründung vor 125 Jahren großes geleistet. Die Erfolge überschatten eindeutig manche Fehler und Misserfolge.

Aber kein Erfolg währt ewig und ist garantiert. Kernschichten und die Zahl der Stammwähler werden kleiner.

Wir dürfen mit der schrumpfenden Zustimmung bei Wahlen nicht zufrieden sein.

Neue soziale Fragen entstehen, gerade auch mit den Wanderungsbewegungen.

Die Sozialdemokratie – ob auf nationaler oder europäischer Ebene – muss versuchen, alle progressiven Kräfte zu binden und zu bündeln.

Wir müssen offen sein für neue Ideen und neue Bündnisse. Aber wir tun zu wenig, um  – wie Kreisky es sagte – Menschen einzuladen, ein Stück des Weges mit uns zu gehen.

Wenn die SPÖ daran geht, sich ein neues, modernes und grundsatzorientiertes Parteiprogramm zu geben, dann wäre das die beste Gelegenheit den Gründungsvätern und Gründungsmüttern unsere Dankbarkeit zu erweisen.

Aber diese Diskussion muss offen, mutig und transparent erfolgen. Unorthodoxe Ideen und kontroverse Persönlichkeiten müssen in den Debatten und in der Partei ihren Platz finden.

Wir müssen uns ein wenig am Mut und den Visionen derjenigen, die vor 125 Jahren und in schwierigsten Zeiten die SPÖ gegründet, verteidigt oder wieder gegründet haben, ein Beispiel nehmen.

Denn europaweit und global gesehen, hat das sozialdemokratische Jahrhundert noch gar nicht begonnen.