Rückblick auf die ungarische Präsidentschaft

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In dieser Woche verabschiedete sich die ungarische Präsidentschaft im EU-Parlament. Ich glaube, dass beide Seiten froh waren, dass diese Präsidentschaft vorüber ist. Als Hauptredner der sozialdemokratischen Fraktion versuchte ich, meine Kritik konkret, präzise und nicht demagogisch zu verfassen.

Trotz mancher andersartigen Erwartungen spielen die rotierenden Präsidentschaften auch in der heutigen EU eine nicht zu unterschätzende Rolle. Sie sollten dabei nicht nur die laufenden Geschäfte, insbesondere hinsichtlich der Gesetzgebung, gut erledigen,sondern auch die Grundsätze und Werte der EU vertreten und verteidigen.

Was nun die erste Aufgabenstellung betrifft, so haben Sie manches gut erledigt und oftmals mit dem Parlament korrekt und erfolgreich zusammengearbeitet. Sie haben die letzten Schritte der Vorbereitungen auf den Beitritt Kroatiens gut begleitet. Sie haben auch die Neuformulierung der Roma-Strategie zu Ende gebracht. Dafür möchte ich Ihren MitarbeiterInnen und den zuständigen Regierungsmitgliedern den Dank aussprechen.

Und dennoch herrscht nicht nur bei uns in diesem Parlament, sondern auch in den Medien und bei vielen BürgerInnen eine große Enttäuschung über die ungarische Präsidentschaft. Sie war nämlich überschattet von innenpolitischen Entscheidungen, die zum Teil europäischen Werten krass widersprach und zum Teil den europäischen Konsens verletzte. Und damit handelte es sich eben nicht nur um reine innenpolitische Angelegenheit. Im gemeinsamen Europa gibt es eine Reihe von Fragen und Politiken, bei denen innenpolitische Entscheidungen europäische Bedeutung haben. Letztendlich ist Europapolitik Innenpolitik und Innenpolitik hat vielfach eine europapolitische Dimension. Für ein Land, das die Präsidentschaft führt, gilt das in besonderem Ausmaß.

Deshalb mußte Sie auch das missglückte Mediengesetz ändern, wobei Sie das Glück gehabt haben, dass die EU-Kommission von einer aus unserer Sicht sehr verengten Interpretation ihrer Aufgabe ausgegangen ist und damit eine nur sehr milde Kritik geäußert hat. Und hinsichtlich der neuen Verfassung hat die Venediger Kommission sowohl den Prozess des Zustandekommens kritisiert als auch einige wichtige Bestimmungen. In beiden Fällen haben Sie sich entgegen ihrer jedenfalls moralischen Pflicht nicht um die fachliche Meinung unabhängiger Experten gekümmert. Die politische Verantwortung, die Ihnen gerade mit einer Zweidrittelmehrheit zukommt, haben sie ignoriert.

Sie haben sich immer wieder – nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Verfassung – darauf berufen, dass sie an das Jahr 1949 anschließen wollen. Damit haben Sie aber auch das Jahr 1956 verdrängt, in dem durch die großartige und für die Geschichte unseres Kontinents bedeutende Ungarische Revolution versucht wurde, Freiheit und soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen.  Für mich war diese Revolution das erste politische Ereignis, das einen besonderen Eindruck machte und wie ich weiss, gilt das nicht nur für mich. Vor allem die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Medien sowie politischer Pluralismus waren die grossen Ziele dieser Revolution. Schade, dass Sie diese Ziel nicht aufgegriffen haben.

Dass nicht nur wir Sozialdemokraten und andere in diesem Parlament ihre diesbezügliche Politik kritisch sehen, mussten Sie selbst jüngst im ungarischen Parlament erleben. Als nämlich bei einer Feier zu Ehren des ungarischstämmigen US- Kongressabgeordneten Tom Lantos Hillary Clinton zur Wachsamkeit hinsichtlich der demokratischen Entwicklung aufrief. Und zwar im Allgemeinen, aber besonders auch in Ungarn. Tom Lantos war, wie so viele andere Ungarn, ein unermüdlicher und unerschrockener Kämpfer für Demokratie, Freiheit und Pluralismus. Wir wünschten, Sie könnten ihm folgen.