Spannung in Moldawien

Die aktuelle Krise im Zusammenhang mit der Annexion der Krim durch Putins Russland gab der schon länger geplanten Reise nach Chisinau, der moldawischen  Hauptstadt, eine besondere Aktualität. Im Zuge der Unabhängigkeitserklärung Moldawiens nach dem Zerfall der Sowjetunion löste sich ja das vornehmlich russischsprachige Transnistrien von der Republik Moldau. Und jüngst gab es in der Provinz Gagausien, im Zusammenhang mit der Umwälzung in der Ukraine, Unruhen und ein illegales Referendum, das den Anschluss an Russland forderte.

Und das ist die große Frage: werden die Umwälzungen in der Ukraine und die schnell und leicht durchgeführte Eingliederung der Krim in Russland unmittelbar Auswirkungen auf Moldawien haben, noch dazu, wo auch Moldawien ein Assoziierungsabkommen mit der EU in wenigen Wochen unterzeichnen möchte? Russland hat ja in der Vergangenheit immer wieder Schwierigkeiten gemacht. Und auch derzeit sind Weinimporte aus Moldawien nach Russland verboten: mit Ausnahme  aus dem abtrünnigen, von Russland unterstützten Transnistrien und aus der vornehmlich russischsprachigen Provinz Gagausien. Wein ist aber ein wichtiges und inzwischen qualitativ hervorragendes Exportgut.

Befürchtet werden weitere Importbeschränkungen seitens Russlands, insbesondere bezüglich Gemüse und Obst, vor allem Äpfel. Darüber hinaus muss man beachten, dass mehrere Hundert Tausend MoldawierInnen in Russland arbeiten und ein Zurücksenden dieser ArbeitnehmerInnen Moldawien vor sehr große Probleme stellen würde.

Die neuesten Entwicklungen und die Demonstration der Stärke durch Präsident Putin haben natürlich auch innenpolitische Auswirkungen. Die jüngst wieder erstarkten Kommunisten und die „Sozialisten “ plädieren gegen die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens mit der EU und dagegen für den Beitritt zur Zollunion mit Russland und einige anderen Nachbarn Russlands. Und so gibt es auch in diesem Land eine Spaltung zwischen einer Orientierung hin zu EU und einer hin zu Russland. War noch bis vor kurzem eine Mehrheit in der Bevölkerung für ein Assoziierungsabkommen mit der EU, so hat sich jüngsten  Meinungsumfragen zur Folge eine Mehrheit der Bevölkerung für die Zollunion mit Russland ausgesprochen.

Diese Spaltung in der öffentlichen Meinung und die Frage, inwiefern man die „Westorientierung“ unterstützen könnte, war naturgemäß das Hauptthema der Gespräche mit dem moldawischen Präsidenten, dem Premierminister sowie mit den Vertretern der Sozialdemokratie (Demokraten), deren Vorsitzenden, dem Parlamentspräsidenten und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten. Die größere liberale Partei stellt den Premierminister in einer Koalition mit den Demokraten, und beide vertreten den „Westkurs“.

Die Vertreter der Regierungsparteien fahren auch einen gemäßigten Kurs und wollen Russland nicht unnötig provozieren. Manchmal hat man den Eindruck, dass das sehr nach Russland orientierte Transnistrien ohnehin schon abgeschrieben ist. Allerdings wird auch in Frage gestellt, ob Russland selbst nicht angesichts der hohen Kosten,  die mit dieser Region, die ja nicht an Russland grenzt,  für sie verbunden sind, gar kein hohes Interesse an Transnistrien hat.

Vor allem die Demokraten vertreten zwar eindeutig die Orientierung an der EU, wirtschaftliche und politisch, aber nicht militärisch. Sie bekennen sich zur Neutralität und zur Bündnisfreiheit. Und der Gesprächsfaden zu Russland dürfe nicht abreißen. Und natürlich stellt sich die Frage, ob eine solche Strategie nicht auch für die Ukraine zu empfehlen ist. Ein jüngstes Interview mit dem ukrainischen Außenminister in „Die Presse“ kann so verstanden werden, dass es auch dort diesbezügliche Überlegungen gibt.

Selbstverständlich waren die vielen Gespräche mit offiziellen Vertretern und den Medien auch die Gelegenheit, die generellen Absichten von Vladimir Putin zu hinterfragen. Welche Strategie verfolgt Putin und welche weiteren Schritte nach der Annexion der Krim hat er vor? Gibt es nach der Krim keine weiteren Gebietsansprüche? Ist er „nur“ an der slawischen Ukraine interessiert? Will er alle Territorien, in denen vornehmlich Russen leben, „wieder“ nach Russland integrieren? Verfolgt er nach wie vor das Ziel einer „Eurasischen Union“ mit möglichst vielen Nachbarstaaten  als eine Art Gegen-EU?

Wenn sich Putin nicht mit der Annexion der Krim zufrieden gibt, dann wird es jedenfalls gefährlich. Dann sind Konflikte mit ihm unvermeidbar. Was aber jedenfalls notwendig ist, ist die Integration der russisch-sprachigen Bevölkerungen in die jeweiligen – nicht russischen – Staaten. Denn da stehen sich zwei Konzeptionen gegenüber. Einerseits scheint Putin sich und Russland als Schutzmacht aller Russen zu verstehen. Und als solches haben sie das Recht, ja sogar die Pflicht im Falle potentieller Verletzungen von deren Lebensbedingungen auch in andere Länder einzugreifen.

Diesem russischen Konzept des Alleinvertreteranspruchs steht das Konzept der multi-ethnischen und multi-sprachigen Staaten gegenüber. Allerdings kann dieses Konzept nur verwirklicht und nach außen vertreten werden, wenn die russisch-sprachige Minderheit auch voll in die Gesellschaften und die politischen Systeme integriert wird. Was leider nicht überall der Fall ist. Erst jetzt gibt es in Estland den ersten russisch-sprachigen Minister und leichtere Möglichkeiten, die estnische Staatsbürgerschaft zu erlangen. In Lettland hingegen versucht die „lettische“ politische Klasse noch immer, die russisch-sprachigen Parteien von der Regierung wegzuhalten. Und die erste Reaktion der neuen politischen Machthaber in Kiew gegen die Verwendung der russischen Sprache  als Amtssprache war Ausdruck eines dummen und engstirnigen Nationalismus.

Wahrscheinlich hängt die langfristige Strategie von Putin  nicht von der konkreten Behandlung seiner „Schwestern und Brüder“ ab, aber man sollte ihm keineswegs irgend einen Vorwand liefern. Und überdies müssen wir konsequent sein bei der Umsetzung unserer Werte und Ansprüche.  Die moldawischen Gesprächspartner waren jedenfalls bereit, durch eine Politik der Integration aller  Minderheiten, der Ukrainer, der Russen und der Rumänen ein gutes Beispiel zu geben. Sie sahen die möglichen Entwicklungen optimistisch und bereiteten sich dennoch auf mögliche Interventionen Russlands vor. Der Weg Richtung Europas stand für sie nicht in Zweifel. Aber ebenso wollten sie gute Beziehungen zu Russland pflegen. Ich hoffe, sie kommen mit diesem Konzept durch die schwierigen Phasen vor uns. Das wäre auch für Europa und unsere Beziehungen zu Russland hilfreich.

Es muss uns aber klar sein, dass nicht nur die EU eine Anziehungskraft auf unsere Nachbarn ausübt. Inzwischen erweist sich auch Moskau als attraktiv. Moskau verlangt nicht viel an Gegenleistung. Keine schmerzlichen Reformen, keinen Abbau von (Energie-) Subventionen, keinen Kampf gegen Korruption etc. Und Putin kann ohne Rücksicht auf innenpolitische Kritik in die Kasse greifen und Geld ausschütten. Und das verfehlt oft nicht die Wirkung an Menschen, die kurzfristig denken. Vor allem dann nicht, wenn sie mit der heimischen Politik nicht zufrieden sind, weil sie die Korruption nicht bekämpft und sich einige wenige bereichern. Jedenfalls zeigen auch die Verhältnisse in Moldawien, dass die Verantwortlichen in der Regierung noch viel unternehmen müssen, um Moskaus Verlockungen etwas Taugliches entgegenzuhalten.