Über Gleichheit reden

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Wien

In Deutschland hat eine Debatte über Ungleichheit und staatliche Interventionen begonnen. Am Anfang dieser Debatte stand ein Beitrag von Peter Sloterdijk über die zu große Steuerbelastung und seine Vision einer Gesellschaft, wo die Reichen freiwillig Solidarbeiträge an die Armen zahlen. Dieser Beitrag führte zu heftigen Reaktionen und diese wieder zu nicht weniger heftigen Gegenreaktionen und Verteidigungen der Sloterdijkschen Vorschläge. Hinzu kamen die den türkischen ZuwanderInnen gegenüber abwertenden Bemerkungen des ehemaligen Berliner Finanzsenators und jetzigen Bundesbankdirektors Sarrazin sowie abfällige Äußerungen eines Berliner Bezirksbürgermeisters über Sozialhilfeempfänger.
Die Rechte kann sich über ein solches Aufgreifen konservativer Thesen nur freuen. Dass solche Äußerungen aus sozialdemokratischen Ecken kommen, ist besonders bedauerlich. Es geht mir dabei nicht um das Totschweigen von Problemen. Aber die provokante Form mancher Äußerungen und der Mangel an politischen Ansätzen, um die – tatsächlichen oder vermeintlichen – Übel zu beheben, machen eine ernsthafte Debatte beinahe unmöglich.
So kommt es dann, dass ein durchaus seriöser Journalist, Ulrich Greiner in der Zeitung „Die Zeit“ unter dem Titel „Die Würde der Armut“ den Untertitel „Warum wir nicht länger von Gleichheit reden sollten“ setzt. Ich meine hingegen, wir sollen und müssen auch über Gleichheit reden, denn gerade die wieder gewachsene Ungleichheit von Einkommen, Vermögen und Lebenschancen sind für eine moderne Sozialdemokratie eine Herausforderung. Daher kann ich nicht – jedenfalls nicht in dieser Form – akzeptieren, was Ulrich Greiner akzeptiert, wenn er meint: „Wenn man hingegen akzeptieren könnte, dass Ungleichheit zu den menschlichen Grundbedingungen zählt, gewänne die Tugend der Barmherzigkeit ihr altes Gewicht zurück“. Welches „altes Gewicht“ meint er denn? Die Almosenkultur der Großbürger und des Adels? Das kann doch nicht die Vision einer europäischen Gesellschaft sein und auch nicht eine Leitlinie für die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen.
Ungleichheit – und ich meine hier die der Chancen – ist daher meiner Meinung nach nicht als gesellschaftliche „Grundbedingung“ zu akzeptieren, sondern als gesellschaftliches Phänomen, dass immer wieder eine Herausforderung für die Politik darstellt. Dabei müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir sie nie gänzlich beseitigen können, weil sie leider ständig aufs Neue produziert wird. Aber als SozialdemokratInnen müssen wir immer wieder einen Anlauf nehmen, sie zu bekämpfen und dürfen nie den leichten Weg nehmen, sie zu akzeptieren.
In diesem Sinn freut es mich, dass der neue japanische Premierminister Yukio Hatoyama in seinem Land den Kampf gegen die Ungleichheit und die Entsolidarisierung aufgenommen hat. Die für die wachsende Ungleichheit mitverantwortlichen Liberalen kämpfen natürlich gegen diesen Wandel der Politik an. Aber es ist gut, einen Verbündeten in diesem entwickelten asiatischen Land für die europäische Sozialdemokratie zu haben. Die neue japanische Politik sollte auch einen Anreiz darstellen, die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Ungleichheiten nicht abzuschwächen, sondern sie mit Klugheit und Überzeugungskraft zu verstärken. Denn eine faire und gerechte Gesellschaft mit weniger Ungleichheit ist im Interesse aller. Nur eine solche Gesellschaft nützt die Ressourcen und Talente optimal. Und gerade für die Wettbewerbsfähigkeit Europas ist die optimale Ausnützung der Fähigkeit all unserer BewohnerInnen notwendig.
Daher können freiwillige Sozialarbeit und nachbarschaftliche Unterstützung selbstverständlich den Sozialstaat ergänzen, aber niemals eine tragend Säule unserer Gesellschaften sein. Die Steuerpolitik und die Leistungen des Sozialstaates müssen den Kern der finanziellen Gleichheitspolitik darstellen. Viele andere Maßnahmen im Bildungs- und Gesundheitssektor, am Arbeitsmarkt etc. kommen dann hinzu. Entscheiden aber ist, dass sich Europas Sozialdemokratie dem Prinzip der Gleichheit verschreibt und damit einer solidarischen Gesellschaft. Aber wie gesagt, das muss im Interesse der Gesamtgesellschaft geschehen und kann nicht als Klassenkampf argumentiert und geführt werden.