Überreichung der Bürgerurkunde der Stadt Wien durch Bürgermeister Michael Häupl

Anlässlich der Überreichung der Bürgerurkunde der Stadt Wien durch Bürgermeister Michael Häupl habe ich versucht einige Gedanken, die mir zu Wien einfallen zum Ausdruck zu bringen:

1. Zuallererst möchte ich dir sehr geehrter Herr Bürgermeister sowie dem Stadtsenat für diese Auszeichnung danken – und auch allen die am Zustandekommen dieser Ehrung beteiligt waren bzw. sind.

Und natürlich danke ich all jenen Freunden und Freundinnen, die sich die Zeit genommen haben heute ins Rathaus zu kommen.

Selbstverständlich  weiß ich, dass das auch viel mit meinem fortgeschrittnen Alter zu tun hat. Aber als geborener Niederösterreicher – wie der Herr Bürgermeister – sehe ich darin dennoch auch eine Anerkennung für mein Wirken für Wien.

Und meinerseits gibt mir die Ehrung Gelegenheit all jenen zu danken, die mir die Möglichkeit gegeben haben für diese Stadt zu arbeiten bzw. mit denen ich für diese Stadt arbeiten konnte und ein wenig noch kann- von den MitarbeiterInnen in meinem politischen Heimatbezirk bis zu den Bediensteten diese Hauses.

Im Bereich der Architektur, der Fachhochschulausbildung, der internationalen Politik und der Vorurteilsbekämpfung werde ich weiterhin aktiv bleiben und versuchen meine Erfahrungen in das gesellschaftliche Leben dieser Stadt einzubringen.

2. Gitti und ich sind ziemlich gleichzeitig nach Wien „zurückgekehrt“ und so können wir gemeinsam mit unseren Verwandten und FreundInnen diese Stadt wieder mehr genießen.

Natürlich waren wir immer hier zu Hause, aber jetzt können wir mehr die -durchwegs- positiven Veränderungen spüren. Die Stadt ist jünger, vielfältiger und lebendiger geworden. Und sie wächst wieder.

3. Als Amtsführender Stadtrat für Planung habe ich mit meinen MitarbeiterInnen zum Zeitpunkt als der Eiserne Vorhang fiel, eine Studie über die wahrscheinliche Entwicklung und  das mögliche Wachstum der Stadt in Auftrag gegeben.

Es wurden mehrere Szenarien berechnet. Das Szenario extremen Wachstums nannten wir das Sao Paulo Szenario in Anlehnung an die hohen Wachstumsraten mancher südamerikanischer Städte.

Das tatsächliche Bevölkerungswachstum Wiens hat diese Entwicklung sogar übertroffen – allerdings nicht mit den negativen Begleiterscheinungen von Armut und Slums. Wien ist eben anders.

Die soziale Grundeinstellung vor allem auch der soziale Wohnungsbau – und jetzt glücklicherweise wieder auch der kommunale Wohnungsbau- haben das Wachstum in geordnete Bahnen gelenkt und das wird auch in Zukunft so geschehen.

Natürlich bringt Wachstum auch Probleme mit sich, aber sie sind den Problemen schrumpfender Städte bei weitem vorzuziehen. Und an einigen schrumpfenden Städten im Osten Deutschlands kann man das ablesen.

Ja, die Infrastruktur wird stärker in Anspruch genommen – und als eifriger Benützer öffentlicher Verkehrsmittel spüre ich das hautnah. Aber der konsequente Ausbau dieser Verkehrsmittel und die vermehrten Möglichkeiten für Fussgänger und Radfahrer sind nicht zu übersehen.

Ja,  es gibt auch mehr Menschen mit anderer Hautfarbe, Sprache, Kultur und Religion. Aber sie bereichern nicht nur unser Sozialprodukt sondern auch unsere Vielfalt.

4. Vielfalt hat unserer Stadt noch nie geschadet, Einfalt. Engstirnigkeit und Fremdenhass schon.

So zeigt die aktuelle Ausstellung im jüdischen Museum das Aufblühen der Stadt in Zeiten der freigewordenen Vielfalt.

Im Gegensatz dazu zeigt die aktuelle Ausstellung im Architekturzentrum Wien die geplante Zerstörung der gewachsenen Stadt durch Rassenhass, Nationalsozialismus und Krieg. Der Unterschied könnte nicht deutlicher sein.

Ich bin jedenfalls froh in einer Leopoldstadt zu leben, die heute wieder eine Lebendigkeit und Vielfalt aufweist, die die Planungen sowie die Vertreibungs-  und Vernichtungspolitk der Nationalsozialisten zerstören wollte.

5. Sicher erfordert die verstärkte Vielfalt bzw. Multikulturalität vermehrte Anstrengungen an gesellschaftlicher Integration – aber von beiden Seiten. Integrationsunwillige gibt es nicht nur bei manchen ZuwanderInnen sondern auch bei manchen schon länger Ansässigen und ich fürchte dort sind sie sogar häufiger anzutreffen.

Nationalismus und Fremdenhass lösen die Integrationsprobleme jedenfalls nicht. Nur ein offener und ehrlicher Dialog kann aus der Vielfalt der Kulturen zur solidarischen Gemeinschaft in der Stadt führen.

Das Gegenteil versuchen einige kleine Grüppchen von Extremisten, die in den letzten Tagen mit antisemitischen oder antiislamischen Parolen Veranstaltungen gestört haben. Aber das Bekenntnis der politisch Verantwortlichen ist stark genug um solche Störmanöver ins Leer laufen zu lassen.

Ein sehr österreichischer Dichter, Franz Grillparzer meinte einst resignierend sinngemäß : der Weg führt von der Humanität über den Nationalismus zur Bestialität.

6. Europa – und mit Europa Wien –  gingen nach dem Zweiten Weltkrieg den umgekehrten Weg: von der Bestialität ging es über die Wiederherstellung von Nationen zu einem gemeinsamen und humanen Europa.

Dabei ist auch Europa noch keineswegs fertig und muss mit vielen Herausforderungen wie den Flüchtlingsströmen fertig werden. ( Bei dieser Gelegenheit möchte ich vor allem die Tatsache hervorstreichen, dass Wien seine diesbezüglichen Aufgaben erfüllt.)

Wir sind weder bei der Neugestaltung  Wiens als nachhaltige, soziale Stadt, noch beim Aufbau eines gemeinsamen Europas schon am Ziel. Aber es darf keinen Weg zurück zur Engstirnigkeit und Einfalt geben.

Ich werde auch weiterhin meinen bescheidenen Beitrag dazu leisten, dass wir weiter nach vorne  und nicht zurück gehen werden.