Ungarn: Damals und heute

Ich schreibe diese Zeilen am 6. Oktober, einem denkwürdigen, schwarzen Tag im Verhältnis Ungarns zu Österreich. Am 6. Oktober 1849 wurden auf Geheiß des Österreichischen Monarchen Kaiser Franz Josef, 13 ungarische Generäle in Arad hingerichtet. Das österreichische Herrscherhaus nahm nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution mit Hilfe russischer Truppen Rache an den ungarischen Widerstandskämpfer. Dieser Racheakt blieb vielen Ungarn auch nach dem Ausgleich 1867 und der Gründung der Österreichisch – Ungarischen Monarchie in Erinnerung. Und die nationalistischen und chauvinistischen Kräfte im heutigen Ungarn nehmen diesen traurigen Tag noch immer zum Anlass, um gegen die ausländischen, nicht zuletzt österreichischen Einflüsse Stellung zu nehmen und um ihren andauernden Freiheitskampf zu rechtfertigen. Als wären Ungarn bzw. die ungarischen Herrscher von Gräueltaten immer unbefleckt gewesen. Die ungarische Geschichte, genauso wie die Geschichte aller Staaten belegt das Gegenteil. Und wenn heute zunehmend Statuen von Hitlers Gehilfen Horthy aufgestellt werden, zeigt das auch nicht von einem korrekten Verhältnis zur eignen Geschichte.

Es waren auch ungarische Kräfte die nach 1918 die Habsburger – Monarchie wiederherstellen wollten. Und auch heute noch findet man vielfach eine positive Einstellung zu Kaiser Franz Josef und insbesondere zu Kaiserin Elisabeth, Sisi genannt. So auch in Szeged, dem ersten Termin meines zweitägigen Ungarnaufenthalts. Beim Rundgang durch die Stadt und beim Besuch im Rathaus war die starke Präsenz des Herrscherhauses sichtbar. Denn unmittelbar nach der Zerstörung der Stadt durch eine furchtbare Überschwemmung kam nämlich das Herrscherpaar in die Stadt zum Ausdruck der Sympathie und um rasche Abhilfe zu versprechen. Und auch viele europäische Städte haben einen Unterstützungsfonds zum Wiederaufbau von Szeged gegründet. Wäre das auch heute der Fall?

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Neustart Europa“ hielten wir eine Diskussion zum Thema „Beschäftigung und Ausbildung“ ab. Viel mehr Menschen als erwartet kamen zur Veranstaltung und das zeigt das Interesse an offenen Diskussionen, organisiert von der demokratischen Linken. Etwas was wir auch am nächsten Tag in Budapest erlebten. Aber davor besuchte ich noch ein in der Nähe von Szeged gelegenes Dorf, in dem auch viele Serben leben, und zwar in großer Eintracht mit der ungarischen Bevölkerung. In einem Interview mit dem serbischen Lokalfernsehen machte ich meine Prinzipien in der Minderheitenfrage klar. In Ungarn unterstütze ich die Entfaltungsmöglichkeiten der serbischen, slowakischen etc. Minderheiten. In Serbien, in der Vojvodina und in der Slowakei unterstütze ich die entsprechenden ungarischen Minderheiten. Und überall, wo es notwendig ist, unterstütze ich die Integration der Roma.

Auch ein Besuch bei einem Metallunternehmen in dem Dorf Desk stand auf der Tagesordnung. Dabei konnte ich sehen, wie durch ein engagiertes Unternehmertum und eine entsprechende Arbeitnehmerschaft ein ehemaliger Staatsbetrieb in ein, erfolgreiches auch exportorientiertes Unternehmen verwandelt werden konnte. Schritt für Schritt wurde und wird der Maschinenpark erneuert. Sicher helfen auch die niedrigen Löhne, die in dieser Region gezahlt werden. Aber vor allem ist es die Flexibilität und die „Maßanfertigung“, die diesem Betrieb einen Vorteil verschafft.

Szeged ist die einzige Großstadt in Ungarn, die noch einen sozialistischen Bürgermeister hat. Er ist ein sehr dynamischer Politiker, der mehrmals wieder gewählt wurde. Bei einem gemeinsamen Treffen mit dem Chef der ungarischen Sozialisten Mesterházy und dem Vorsitzenden einer linksliberalen Bewegung Bajnai merkte ich die allgemeine Wertschätzung für ihn. Für mich war es sehr befriedigend, dass sich die beiden progressiven Politiker zu einem gemeinsamen Bündnis zusammengeschlossen haben. Denn nur gemeinsam besteht die Chance den BürgerInnen Ungarns eine überzeugende Alternative zu bieten. Alle progressiven Kräfte sollten sich im Klaren sein, dass sie nur vereint dem nationalistischen Kurs Orbans wirksam begegnen können.

In Budapest stand vor allem eine Konferenz der „Progressive Economics“ auf der Tagesordnung. Seitens der S&D Fraktion haben wir eine eigene Aktion „Progressive Economics“ ins Leben gerufen, um auch über die Grenzen der Sozialdemokratie hinaus fortschrittliche Ökonomen für ein konkretes Engagement für eine alternative Wirtschaftspolitik zu interessieren. Drei europäische Wirtschaftsinstitute hatten bereits voriges Jahr in unserem Auftrag eine – zur Prognose der EU Kommission – alternative Wirtschaftsvorschau erstellt und machen das heuer im Herbst wieder. Aber wir wollen die Diskussion über eine zur Austeritätspolitik alternative Wirtschaftspolitik darüber hinaus weiterführen. Und so haben wir nach einer ersten Konferenz in Lissabon eine entsprechende Konferenz in Budapest speziell zur osteuropäischen Wirtschaftslage abgehalten, die ebenfalls gut besucht wurde. Auch an dieser Konferenz nahmen die beiden Chefs der progressiven Kräfte, Mesterházy, von der größeren MSZP und Bajnai teil.

Pressekonferenzen in Szeged und Budapest, Gespräche mit den KandidatInnen für die nächsten EU Parlamentswahlen sowie ein Besuch bei einer Veranstaltung von PensionistInnen im öffentlichen Dienst, denen die FIDESZ Regierung, rückwirkend die Pensionen gekürzt hat, rundeten meinen Besuch in Ungarn ab. Orban macht es der Opposition mit seiner nationalistischen Politik gegen die ausländischen Konzerne (Banken, Energieunternehmen etc.) nicht leicht. Er spielt sich als Robin Hood der ungarischen Bevölkerung auf und beim letzten Parteitag der FIDESZ vor wenigen Tagen bezeichneten sich die führenden Politiker als Freiheitskämpfer, nicht zuletzt gegen die EU.

Anstatt in der EU gemeinsam mit anderen gegen die Steuermanipulation der Multis zu kämpfen und konkret gegen die Energiearmut der unteren Einkommensschichten vorzugehen, wettert er gegen die Banken und Energieunternehmen, um sie als die Feinde Ungarns abzustempeln. Und auch der europäische Haftbefehl, der jüngst auf Veranlassung kroatischer Behörden gegen den Chef des ungarischen Erdölkonzerns MOL wegen Bestechung erlassen wurde, ist für Orban Anlass zu Attacken gegen Kroatien und die kroatische Regierung. Diese ständigen Scheinkämpfe sollen all die demokratie-, wirtschafts- und sozialpolitischen Mängel der derzeitigen ungarischen Politik zudecken. Aber es wird nicht leicht sein gegen eine solche Propaganda seitens der FIDESZ Regierung auf die wahren Ursachen der ungarischen Misere aufmerksam zu machen. Aber für Ungarn und für Europa wären ein Durchbruch der Opposition und eine Abwahl der chauvinistischen Politik in Ungarn wichtig.