Weltenbürger

Der bekannte libanesische Autor Amin Maalouf lässt in seinem Buch “ Les désorientés“ seine Hauptfigur Adam in dessen Tagebuch folgendes schreiben: „Ich bin auf einem Planeten geboren, nicht in einem Land. Doch, sicher bin ich auch in einem Land geboren, in einer Stadt, in eine Gemeinschaft, in eine Familie, von einer Mutter, und in einem Bett….Aber das einzig wirklich Bedeutende, für mich wie für alle Menschen, ist dass ich auf die Welt gekommen bin. Auf die Welt! Geboren zu werden, heißt auf die Welt zu kommen, nicht in dieses oder jenes Land, nicht in dieses oder jenes Haus.“

 

Ein sehr mutiger und großer Anspruch wird mit diesen Worten ausgedrückt. Das Menschsein ist das wesentliche nicht die nationale, regionale, ethnische oder familiäre Herkunft. Heutzutage allerdings hat man oft den Eindruck, dass das Partikulare wichtiger ist als das allgemein Menschliche. Dabei geht es nach wie vor um die universellen Werte, die immer wieder in Frage gestellt werden und die von neuem jeden Tag verteidigt werden müssen.

 

Auch mein persönliches Bekenntnis zu Europa verstehe ich – so wie viele meiner KollegInnen – als ein allgemeines und nicht als ein partikulares. Wenn ich mich für ein einiges Europa einsetze, dann nicht weil ich ein angeschlossenes Europa möchte und weil ich Europa für eine wertvollere Region als die anderen Regionen dieser Welt halte. Aber das einige Europa kann die kleinteiligen, partikularen Begrenzungen innerhalb unseres Kontinents überwinden und vor allem den engstirnigen Nationalismus der in Europa in der Vergangenheit immer wieder zu Krieg geführt hat. Und Europa kann vieles von dem wieder gutmachen, was in der Vergangenheit durch Nationalismus und Kolonialismus an Schäden angerichtet wurde. Vor kurzem hat der französische Präsident Francois Holland in Algerien endlich offen zu den Untaten des Kolonialismus beispielhaft Stellung bezogen.

 

Aber natürlich geht es auch um die Gestaltung unserer globalen Welt. Und da muss sich Europa besonders anstrengen ein gewichtiges Wort mitzureden. Der Anteil der europäischen an der Weltbevölkerung geht stetig zurück. Derzeit ist unsere Wirtschaft durch besondere Schwächen gekennzeichnet. Die USA und andere holen sich auch Vorteile durch die oft auch umweltgefährdende Gewinnung von Schieferöl und Schiefergas. Das führt zu „billiger“ Energie (betriebswirtschaftlich gesehen) und damit zu Wettbewerbsvorteilen, die zu einer Abwanderung der Industrieproduktion und damit von Arbeitsplätzen aus Europa führt. Ebenso wie soziales Dumping, das diejenigen Länder und Firmen betreiben die von den Löhnen bis zu den Arbeitsbedingungen oft nicht einmal Mindeststandards respektieren.

 

Dies sollte allerdings nicht zu einem letztendlich für die europäischen Arbeitsplätze schädlichem Protektionismus führen. Denn die wirtschaftliche Verflechtung ist zu weit fortgeschritten für eine „wirksame“ Abschottung. So beträgt der Importanteil an den Exporten heute im Durchschnitt bereits 40% und ist im Steigen begriffen. Das heißt, dass der Protektionismus ( Beschränkung bzw. Verteuerung der Importe) immer mehr selbstschädigend wirkt. Aber umgekehrt müssen die Europäer für faire Wettbewerbsverhältnisse und Handelsbeziehungen eintreten, wollen sie sich nicht deindustrialisieren. Und mit der Industrie würden vielfach auch Forschung und Entwicklung aus Europa abwandern.

 

Aber gerade gute Ausbildung, Forschung und Entwicklung sind die Schlüsselfaktoren für die Wettbewerbsfähigkeit. Und dazu braucht es Weltoffenheit und Erfahrungsaustausch und keine engstirnigen Kleingeister. Und damit sind wir wieder beim Tagebuch Eintrag aus Amin Maaloufs „Les désorientés“. Wir alle brauchen und schätzen Bindungen. Aber wir sollen nie vergessen, dass wir heute als Gesellschaften, aber oft auch als Einzelne nur erfolgreich sein können, wenn wir uns vorerst als (wissbegierige und innovative) Menschen sehen und auch im anderen primär den Menschen sehen und dann erst seine nationale, regionale und ethnische Herkunft bzw. auch sein Geschlecht. Nur so kann die Diskriminierung von Mitmenschen und die mangelnde „Nutzung“ von wertvollem „Humankapital“ vermieden werden.

 

Vor allem aber sollten wir eine menschliche Gesellschaft anstreben, eine Gesellschaft mit Toleranz und Respekt. Wie Ereignisse auf allen Kontinenten demonstrieren, nicht zuletzt die furchtbareren Massenvergewaltigungen im Kongo oder auch in Indien sind wir noch weit entfernt von solchen Gesellschaften. Aber auch in Europa selbst bleibt noch viel zu tun, denken wir nur an die leider zahlreichen ethnisch und politisch bedingten Attentate. Für Überheblichkeit besteht also kein Anlass. Ja wir alle sollten vom Prinzip ausgehen, dass wir zuallererst in die Welt geboren werden und damit Weltenbürger oder Weltenbürgerin sind.